Inflation: Mythos, Gespenst oder Risiko?

Artikel von raid-rush am 22. Oktober 2021 um 13:00 Uhr im Forum Finanzen & Versicherung - Kategorie: Wirtschaft

Inflation: Mythos, Gespenst oder Risiko?

22. Oktober 2021     Kategorie: Wirtschaft
Das Thema der Inflation ist überall angekommen, Fakt ist wir haben derzeit eine Inflation. Diese bewegt sich aber im Rahmen und wird laut EZB auch nur kurzfristig sein. Doch ist das wirklich so, wie lange wird die Teuerung anhalten und was bedeutet Inflation genau, welche Zusammenhänge gibt es und welche sind ein Mythos? Welche Inflationsentwicklung ist zu erwarten in den nächsten Jahren. Diese Fragen möchten wir hier genauer behandeln und eine tiefere Analyse zur Inflation in Europa und Weltweit geben.

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Banknote aus 1923 während der galoppierenden Hyperinflation.



Inflation ist nicht gleich Inflation

Inflation ist etwas sehr individuelles, jeder Mensch konsumiert anders und hat eine andere Zusammensetzung an Einkäufen und Dienstleistungen die er nutzt. Die Inflation wird deshalb anhand eines gemittelten Warenkorbs ermittelt - sie ist also kein sehr genauer Indikator sondern ein sehr Grober - da auch ihre Gewichtung nicht repräsentativ ist. Deshalb sprechen Fachleute auch häufig von der Kerninflation, welche die stark volatilen Preise der Energie und Lebensmittel auslässt.


Es ist auch wichtig zu verstehen das jeder Sektor unterschiedlich betroffen ist. Wichtig ist allerdings auch zu verstehen das bestimmte Sektoren sich grundsätzlich auf alle anderen Sektoren in der Teuerung auswirken können. Beispielsweise die Energie. Wir haben hier also einen Faktor der eine Grundinflation bestimmt.



Was verursacht die Teuerung

Grundlegend müssen wir erst mal verstehen warum die Preise steigen, häufig wird behauptet das Geld Drucken zur Inflation führt. Das erscheint im ersten Moment logisch. Tatsächlich ist es aber so, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation gibt!




Preisbildung, Margen und Produktionskosten

Um das genauer zu erläutern müssen wir uns anschauen wie der Markt und die Preisbildung funktioniert. Die Preise entstehen grundlegend erst einmal über die Nachfrage und die Produktionskosten auf der Angebot-Seite. Zwischen den Produktionskosten und dem Angebotspreis liegt eine Gewinnspanne die relativ groß ist und diese passt sich der Marktlage an. Wenn die Nachfrage groß ist und das Angebot knapp, können die Margen erhöht werden. Dieser Effekt ist sehr dynamisch und problemlos Anpassbar. Daher ist Angebot und Nachfrage meist sehr gut Ausgeglichen, denn der Kunde hat einen Sinn für Preis-Leistung und daher pendeln sich die Preise ein uns sind sehr stabil.

Doch was passiert wenn die Produktionskosten steigen, dann werden die Preise meist weitergegeben und dann stellt sich die Frage ob die Nachfrage weniger wird oder gleich bleibt, ob der Kunde bereit ist den Preis zu zahlen, andernfalls muss der Produzent seine Gewinnmarge verringern.

Was wir derzeit sehen ist das viele Konzerne genau dieses Spiel gerade durch machen, sie versuchen die gestiegenen Rohstoffpreise an den Kunden weiter zu geben. Doch der Wettbewerb und der Markt reagieren darauf nicht immer einverstanden so dass häufig nicht alle Kosten weitergegeben werden können und somit das Unternehmen seine Marge/Gewinn reduziert.



Beginn und Auswirkung der Teuerung auf Endpreise

Aller Anfang liegt bei der Wertschöpfung, die Rohstoffe. Um Rohstoffe zu gewinnen braucht es, Energie und Arbeitskraft. Sind ausreichend Rohstoffe vorhanden und diese leicht förder-bar sind die Preise niedrig. Werden Rohstoffe knapp und die Energie teurer steigen auch die Preise dafür.

Scheinbar ist das die Grundlage für die Preissteigerung... nicht ganz. Die Rohstoffpreise spielen durchaus je nach Produkt eine große rolle im Endpreis. Doch hier mal ein Rechenbeispiel, das zeigt das die Rohstoffpreise eben nur schrittweise Einmalig zuschlagen und dann Eingepreist sind ebenso machen sie häufig nur einen Bruchteil aus.


Angenommen der Preis von Eisen hat Symbolhafte 50 EUR.
Das Eisen kommt erstmals in eine Schmelze und wird zu einem Stahl-Band verarbeitet, hier kommen Leistungskosten, Logistik Transport dazu 50 EUR, so sind wir bei 100 EUR.

Der Rohstahl wird dann bei einem Autozulieferer verarbeitet, Bremse, Motor, Getriebe, Karosse. Sehr viel Arbeit... hier entsteht der Hauptanteil der Wertschöpfung vom Endprodukt. Symbolhaft 500 EUR Leistungskosten.

So sind wir bei 600 EUR.
Angenommen der Preis für Eisen steigt um 20%, dann erhöht sich also der Endpreis um 10 EUR also um 2%. Wir sehen also das die stark steigenden Rohstoffpreise sich stark verwässern und im Endprodukt gar nicht so heftig durchschlagen.

Steigen aber Beispielsweise die Leistungskosten durch höhere Löhne, macht sich das ggf. stärker bemerkbar, da der Anteil hier höher ist an den Gesamtkosten. Aber auch das betrifft nur einen Bruchteil der Produkte, da diese Weltweit hergestellt werden und somit eine starke Preis-Pufferung vorliegt.

Dazu kommt, das die Produktivität meist steigt, das heißt die Fertigung wird effektiver.



Die hier genannte Lohn-Preis-Spirale gibt es zwar, ist aber aufgrund der Globalisierung und starken Importe nicht so durchschlagend wie man vermuten würde. Zudem würde sich diese Marktwirtschaftlich selbst regulieren. Der Verbraucher wird irgend wann die Nachfrage reduzieren und somit das Unternehmen zu Einsparungen gezwungen: also entweder in keiner weiteren Lohnsteigerung/Kürzung oder Entlassungen. Letztendlich sind also Lohnerhöhungen sehr schnell am Ende wenn es wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist. Historisch wissen wir, das Lohnerhöhungen keinen realen Effekt haben auf die tatsächliche Kaufkraft. Weile eine Inflation (aus der Lohn-Preis-Spirale) diese ggf. verwässert sobald es nicht nachhaltig Tragbar wäre. Ob die Kaufkraft und der Wohlstand steigen können, bestimmen nicht die Löhne, sondern die wirtschaftliche Verfassung und damit die Handelsbilanz sowie Währungshärten.


Wir sehen also, das dies bisher KEINEN Faktor ist, der zu einer Nachhaltigen(dauerhaften) oder starken Inflation führt!

Halten wir fest: es gibt keine ernste Inflation ohne Angebotsmangel/Warenmangel




Grüne Inflation

Durch das reduzieren von Fossilen Energien werden die Energiekosten steigen, das ist Fakt und es gibt keine Alternative. Die Kosten der Entwicklung und Produktion neuer Energie ist teurer, deutlich teurer als fossile quasi extrem extrem billige Energie. Diese Transformation wird eine längerfristige Preiserhöhung mit sich bringen die auf ALLE Sektoren Auswirkung hat. Bisher wurden die Kosten für die Industrie durch Umlagen reduziert, somit kamen diese direkter beim Verbraucher an. Künftig werden sich aber die Kosten auf alle Verbraucher verteilen auch auf die Industrie und somit werden Produkte in allen Sektoren etwas teurer. Allerdings wie zuvor Beispielhaft berechnet, machen die Energiekosten am Endproduktpreis nicht viel aus. Die Teuerung liegt im unteren 0,5% Bereich. Deutlicher spürbar wird die Preissteigerung beim eigenen direkten Energieverbrauch: Heizung, Strom, Sprit. Hier muss und wird es eine kontinuierliche schrittweise Preissteigerung geben.


Diese "Grüne Inflation" wird allerdings auch nicht stark auf die Gesamtinflation wirken, und wird bei etwa 1% liegen. Sicher kann es mal ein Jahr sprunghaft höher steigen, dafür werden die Folgejahre geringer sein. Preissteigerungen sind immer in Schritten.



Ein großer Teil der grünen Inflation ist auch auf die CO2-Steuer bzw. generell Umweltsteuern zurückzuführen. Wo wir bei einem weiteren Punkt sind: Steuern können die Inflation in einem "einmal" Effekt ebenfalls erhöhen. So auch geschehen durch die MwSt. Senkung und Erhöhung im Corona-Hilfspaket. Wir sehen also, das auch Steuern die Inflation als statistischen Wert beeinflussen ohne das es eine tatsächliche Problematik im Angebotsmarkt gibt. Das heißt aber auch, das die Inflation aus dem Warenkorb kaum oder keine relevante Aussagekraft hat und ein sehr schwacher und schwammiger Faktor ist der sich nicht für Volkswirtschaftliche Berechnungen eignet. Es ist eher ein Indikator für Verbraucher der ggf. auch als Konsumförderer genutzt wird. Oder Kurz gesagt, Inflationswerte dienen als Konsumwerbung.




Währungsinflation (IMPORT Feedback)

Bei Harten Währungen wie dem EUR ist diese Art der Inflation kaum möglich, sie führt eher zu einer Deflation. Da der Wert der eigenen Währung im Vergleich zu den Währungen der Bezugsländer steigt oder selten sinkt. Das bedeutet das Rohstoffe und Waren die Importiert werden durch die Devisenstabilität verlässlich günstig bleibt oder sogar günstiger wird.

Diese Art von Inflation sehen wir vor allem in der Türkei, deren Währung stark verwässert wird durch hohe Schulden in Auslandswährung (USD) und durch steigende Importkosten durch schlechte Wechselkurse.


Häufig sind auch Energie-Export Länder betroffen deren Wirtschaftsleistung und Währungsstärke von hohen Verkaufspreisen abhängig sind. Russland oder auch Venezuela sind hier ein gutes Beispiel. Auch diese Länder sind sehr anfällig für eine Import-Inflation durch stark schwankende Währungseffekte und daraus entstehende negative Außenhandelsbilanzen.

Diese Länder benötigen große Mengen an Devisenreserven in Harter Währung um solche Schwankungen auszugleichen um für stabile Preise zu sorgen.



Doch wir haben aktuell über 4% und in der USA 5% Inflation, was ist das dann?

Das sind die Effekte der Lieferkettenproblematik und der Lockdowns, welche zu einer Marktverzerrung führen. Die Kunden wollen kaufen aber die Produkte sind noch nicht da. Es gibt in gewissen Bereichen noch Aufholbedarf in der Produktion, in vielen Bereichen liegt es einfach an der Verzögerung. Es gibt also keine echte Knappheit an Ware, welche eine grundlegende Inflationsproblematik darstellen würde. Die Produktivität ist stark und hoch allerdings fehlen eben einige Monate und Wochen in der es Stillstand gab. Immer noch stehen die Containerschiffe und warten im Stau. Sobald der Stau sich auflöst und die ursprüngliche Produktivität wieder da ist, wird sich das Angebot wieder oberhalb der Nachfrage befinden und wir tendieren wieder zu einer Marktsättigung die sich in einer Preisstagnation bzw. sogar Deflation bemerkbar machen kann.

Die EZB rechnet daher in den Folgejahren schon wieder nur noch mit 1.5% Inflation. Das hat eben viele stutzig gemacht und denken das kann nicht sein, warum ist das so, total seltsam... aber wie eben erklärt die Ursache der Inflation ist keine wie wir sie Historisch kennen.

Meiner Einschätzung wird es noch etwas länger dauern bis sich der Warenstau auflöst und die Produktivität wieder voll da ist, und das auch die Kunden ihr Angespartes in den Markt werfen und quasi Konsum- Nachholbedarf haben - der auf die angespannte Lieferkette trifft. Deshalb rechne ich für kommendes Jahr mit einer Inflation noch leicht oberhalb 2% - langfristig wird man wohl auf diesem Niveau etwa bleiben oder unterhalb.


Wir haben also gelernt, das Geld an sich, überhaupt keinen direkten Einfluss hat auf die Inflation. Denn Inflation gibt es immer nur dann WENN es einen Mangel an Waren gibt die einer verfügbaren Geldmenge gegenüberstehen. Inflation ist also ein Indikator für Waren/Leistungs-Mangel gegenüber einer großen Nachfrage. Inflation hat nichts mit der Geldmenge selbst zu tun, weil Geldmenge alleine verursacht noch keine übermäßige Nachfrage - in einem schon gesättigtem Markt.


Man könnte sich ja vorstellen das jeder hier jetzt eine Million EUR bekommt, ja würde ihr jetzt deshalb doppelt so viel Essen und doppelt so viel Autofahren und statt einem PC gleich 10 kaufen oder 10 Smartphones? NEIN. Fakt ist, das Geld immer mehr wird, es aber nicht in Konsum geht sondern in Anlagen! Genau das zeigen alle Statistiken und alle Beispiele wie Japan. Das Geld fließt in Investitionen und Wertanlagen. Die Folge ist eine:




Sachwert- und Rendite-Inflation

Das Geld Drucken verursacht also KEINE typische Verbraucherpreis Inflation sondern eine extreme Preissteigerung bei Investitionsprodukten wie Immobilien, Aktien, Gold, Kunst.

Japan ist ein gutes Beispiel das zeigt was passiert wenn 20 Jahre lang 0 Zins Geld gedruckt wird. Nahezu KEINE Inflation!

Es ist also ein Mythos und Märchen, das Geld-Drucken zur Inflation führt! Man muss eben auch mal Hinterfragen wie das ganze überhaupt funktioniert und dann kommt man drauf und versteht die Zusammenhänge.


In der USA ist die Lage etwas anders, aber ähnlich. Durch deren Handelspolitik und die hohen Außenhandelsdefizite haben diese durchaus ein höheres Inflationsrisiko als wir in Europa. Europa hat seit Jahren eine ausgeglichene Handelsbilanz.

Die USA wird langfristig mit einer höheren Inflation rechnen müssen. Weil der Umbau zur eigenen Produktion viele Grundstoffe (z.B. Stahl) wird die Preise steigen lassen. Nur so können sie ihr Handelsdefizit abbauen und die strategische Unabhängigkeit verbessern.

In Europa kann man also der EZB Aussage durchaus trauen auch wenn die Werte einer niedrigen Inflation nicht unbedingt beruhigend sind, sondern eher auf wirtschaftliche Anlauf-Probleme hindeuten.


(Ich hatte auch auf die Inflationsdynamik hingewiesen und das diese etwas unterschätzt wurde, was sich dann bestätigt hat. Ebenso wie deren Dauer, die ich auf 2 Jahre geschätzt habe - wohingegen Experten von 1 Jahr ausgehen - ich Begründe die Einschätzung mit der Verzögerung welche noch länger anhalten sowie Lieferkettenprobleme und dem sich deutlich langsamer auflösenden Lockdown-Nachstand.)




Risiken für die Inflation: KLIMA und UMWELT!

Es gibt aber auch Risiken die wir hinterher nicht mehr Beeinflussen können und die einen extrem hohen Preis haben. Das sind Schäden in Folge von Klimawandel und Umweltverschmutzung. Globale Missernten und Sturmschäden können die Preise für viele Rohstoffe vor allem Lebensmittel in die Höhe Treiben. Auch dieser Faktor spielt zunehmend eine Rolle. Beispielsweise werden die Nudelpreis bis kommendes Jahr vermutlich 8% zulegen, weil die Hartweizenernte sehr schlecht war aufgrund der ungewohnten Wetterlage.

Wir halten also fest, die Preise müssen und werden steigen, in Summe der längerfristigen Jahre wird die durchschnittliche Inflation im Bereich der 2% bleiben.

Die Kerninflation der nächsten Jahre wird vermutlich sogar deutlich unterhalb der 2% liegen, da die stärksten Preisanstiege durch Energie und Nahrungsmittel kommen.



Fazit:

Angst vor anhaltender Inflation ist unbegründet! Wir müssen uns aber auch klar machen, das eine gewisse Inflation wichtig und normal ist!

Was bedeutet das für die Leitzinsen und die Börse?
Die EURO- Leitzinsen werden voraussichtlich dauerhaft unterhalb der Inflation bleiben, ähnlich Japan. Lediglich die Anleihen-Renditen werden leicht steigen und sich der Realität einer hohen Verschuldung stellen, allerdings auch alles unterhalb der Inflation. Aktien werden in Zukunft zwar nicht mehr so rasant ansteigen wie die letzten 10 Jahre, aber sie werden zumindest langfristig eine Wertstabilität haben.

Die Renditen werden also schwach bleiben und dürfen es, da die Inflationsrisiken niedrig sind und es keine Gründe gibt für eine Zinserhöhung.

In der USA könnte das etwas anders aussehen. Die Renditen am Aktienmarkt sind enorm gesunken die Kurse Hoch und es ist nicht sicher ob die FED nächstes Jahr die Inflation schon unterhalb der 3,5% drücken kann. Es wäre also möglich das es leichte Zinserhöhungen (unter 0,5%) gibt bis ende nächsten Jahres, sofern sich die Wirtschaft deutlicher erholt hat und die Inflation nicht sinkt.

Den S&P500 sehe ich also durchaus als Korrektur gefährdet im nächsten Jahr.

Wenn etwas unklar war, oder ihr Fragen habt, gerne erläutere ich noch einiges genauer. Womöglich hab ich auch einige Dinge vergessen die ich erwähnen wollte und diese nachtrage. Hoffe es war für euch verständlich und informativ.