#1 21. November 2007 Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts zum Tatort Internet wurde nicht nur die Position der Polizei zum Internet beleuchtet, die BKA-Chef Ziercke vortragen konnte. Mehrere Referate erläuterten die Nutzung des Netzes durch Terroristen. Am Anfang der "Expertenanhörungen" gab der Kommunikationswissenschaftler Gabriel Weimann von der Universität Haifa einen Überblick über islamistische Websites. Weimann beobachtet in einem Langzeitprojekt seit 10 Jahren die Kommunikation islamistischer Gruppen. Gab es 1998 nur 12 Webseiten mit radikal islamistischen Inhalten, konnte seine Forschungsgruppe 2003 bereits 2.650 Webangebote zählen. Heute sollen es über 5.860 Seiten sein, die vor allem der Propaganda und dem Einsammeln von Geldmitteln dienen sollen. Auch die Kommunikation zur Anschlagsvorbereitung sowie die Nutzung als virtuelle Trainingscamps konnten die Forscher nachweisen, doch würde diese Rolle allgemein überschätzt, erklärte Weimann. Aktuelle Trends bei der Nutzung des Internet seien das "Narrowcasting", die gezielte Verbreitung gruppenspezifischer Angebote wie das Hamas-Web speziell für Kinder oder die Verteilung von Computerspielen durch die Hisbollah. Ein weiterer Trend sei die Einrichtung von virtuellen Gemeinschaften für Islamisten, die in der Diaspora leben. Beim Online-Training durch Webseiten zählten praktische Anleitung für das Kidnapping oder die Benutzung von Google Earth zu den Top-Themen. Für die Bekämpfung terroristischer Internetprojekte empfahl Weimann in seinem auf Englisch gehaltenen Vortrag die Strategie "creating noise in the flow of information". Nur in der deutschen Übersetzung der Rede findet sich die nicht mündlich vorgetragene Warnung vor der zunehmenden Überwachung des Internet: "Derartige Maßnahmen können autoritäre Regierungen und Behörden ohne nennenswerte Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit mit Instrumenten ausstatten, mit deren Hilfe die Privatsphäre verletzt, der freie Informationsfluss beschnitten und die Meinungsfreiheit beschränkt wird, und können somit dem durch den Terrorismus selbst verursachten Blutzoll einen weiteren hohen Preis in Form von verringerten bürgerlichen Freiheiten hinzufügen." Nach der drastischen Schelte der Berufskritiker durch den BKA-Präsidenten wollte Weimann nicht als Warner dastehen. Der Arabist Yassin Musharbash, Redakteur bei Spiegel Online und Verfasser des Buches "Die neue Al-Qaida" beschäftigte sich mit der Rolle des Internet als Fern-Universität. Unmittelbar nach der Zerschlagung ihrer logistischen Basis in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 habe Al-Qaida das Netz nutzen können, um eine fortlaufend weitergeschriebene "Enzyklopädie des Dschihad" zu veröffentlichen. So brauchten Terroristen nicht zur Ausbildung in den Osten zu reisen. Der Wert der Enzyklopädie liegt nach Musharbash vor allem in den neuen Materialien zum Hacking oder zum Einsatz der Steganografie. Ein echter Ersatz für ein reales Ausbildungslager könne die "Wiki-Qaida" jedoch nicht sein, denn echte Attentäter würden zur Ausbildung immer noch in Lager reisen, die von Al-Qaida überall gegründet würden, wo dies gerade möglich sei. Der Internet-Nutzer islamistischer Websites sei vielmehr ein neuer Aktivisten-Typ, den Musharbash als "Terror-Ehrenamtlichen" definierte. Hans Elmar Remberg, der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wies in seinem Vortrag gleich mehrfach daraufhin, wie wichtig die Verzahnung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Arbeit sei. Nur mit diesem ganzheitlichen Ansatz könne der islamistische Terrorismus bekämpft werden, bei dem der Verfassungsschutz die für die nachrichtendienstliche Abschöpfung von Informationen zuständig sei. Im Rahmen der "Vorfeldaufklärung" müsse alles dafür getan werden, dass das Internet nicht als Möglichkeit für die Rekrutierung von neuen Kämpfern wie für den Rückzug von ehemaligen aktiven Kämpfern genutzt werde. Mit einem Überblick zu den Aktivitäten von Rechtsextremisten durch den stellvertretenden Leiter des von den Ländern betriebenen jugendschutz.net schloss der Streifzug durch die dunklen Seiten des Netzes. Stefan Glaser berichtete von ähnlichen Dingen wie Weimann: Gezielte multimediale Angebote für Jugendliche liegen im Trend. Vor allem über Computerspiele, aber auch über Handy-Angebote sollen Jugendliche für rechtsextreme Inhalte sensibilisiert werden. Hoch im Kurs stehen Glaser zufolge soziale Netzwerke wie Youtube und SchülerVZ bei der Verbreitung von rechtsextremen Inhalten. Außerdem spiele der Geldtransfer eine wichtige Rolle, der über Web-Shops auf ausländischen Servern erfolge. Im Jahre 2006 konnte jugendschutz.net 320 Angebote mit "unzulässigen Inhalten" aus dem Netz entdecken und entfernen. Hartnäckig würden sich aber "Nazi-Provider" im Ausland halten. Der Auftritt von jugendschutz.net erfolgte vor dem Hintergrund einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von kinderpornographischen Inhalten, die das BKA, die freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), jugendschutz.net und der Verband der Internetwirtschaft (eco) auf der Herbsttagung vereinbaren wollen. Im engen Schulterschluss mit dem BKA soll die Verbreitung von Kinderpornographie gestoppt werden. Siehe zur Herbsttagung des BKA auch: * BKA-Chef fordert Kompetenz-Center für Polizei in der digitalen Welt * Tatort Wiesbaden: BKA berät über das kriminelle Potenzial des Internets Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe: * Von Datenschutz und Schäuble-Katalog: Terrorbekämpfung, TK-Überwachung, Online-Durchsuchung (Detlef Borchers) / (jk/c't) Quelle:http://www.heise.de/newsticker/meldung/99354 + Multi-Zitat Zitieren