BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von m00pd00p, 9. September 2014 .

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  1. 9. September 2014
    Quelle: Byung-Chul Han: Tut mir leid, aber das sind Tatsachen | ZEIT ONLINE


    Bin eben auf diesen Artikel gestoßen und fand ihn höchst interessant. Vielleicht regen die paar Quotes den ein oder anderen auch zum lesen an. Um die Diskussion anzustoßen frage ich einfach mal, wie _ihr_ Freiheit definiert und ob ihr sie in Gefahr seht. Wenn ja, wie lässt sich diese Kriese bewältigen? Eine Revolution von unten ist eher nicht zu erwarten und von oben erst recht nicht. Warten wir auf den großen Knall oder ist das für euch apokalyptisches Gefasel eines Pessimisten?
     
  2. 9. September 2014
    AW: BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

    Sers, interessant erstmal, dass du mir quasi "zuvorgekommen" bist mit der thematischen Verknüpfung, denn ich habe heute einen passenden Artikel dazu gelesen, den ich auch hier zur Diskussion stellen wollte. Das Gerüst in dem er schwebt ist zwar ein anderes, aber die Inhalte überschneiden sich dann doch, insbesondere auf deine Fragestellung bezüglich "Freiheit".
    Hier also zunächst der Text:

    Quelle.

    Sehr wichtig im Bezug auf den Begriff Freiheit und dessen Bedeutung finde ich die Verbindung mit den Schlagworten Individualismus und Selbstverantwortlichkeit. Gerade letzteres ist ein scharfes, zweischneidiges Schwert. Die Freiheit alles zu werden oder nichts zu bleiben steht ja ganz explizit in den Köpfen der amerikanischen Gesellschaft geschrieben und gehört auch bei uns mittlerweile zum Grundtenor, wenn auch Sozialstaat, etc. weiterhin existieren. Dass von Arbeitlosen oft pauschal als "Hartzer", "Sozialschmarotzer" oder ähnlich gesprochen wird, ist leider Nebeneffekt dieses Denkens. Denn wenn der, der seine Freiheit alles zu tun zu nutzen weiß und "aus Nichts Geld" macht, dann ist der, dem dies eben nicht gelingt, selber Schuld. Was hier oftmals nicht beachtet wird, sind sowohl die Umstände unter denen die Versuche zu einem Gelingen zu kommen unternommen wurde, wie auch die Willenskraft und die Versuchsmenge, die in diesem Falle eben nicht dazu geführt hat, dass man am Ende erfolgreich dasteht.

    Der Individualist, der scheinbar jede Lebenslage meistert und sich wie ein Chamäleon wechselnden Bedingungen anpasst, wird gefeiert - besonders dann, wenn er andere dazu bringt, sich seinem Farbspiel anzupassen und nach seiner Zunge zu tanzen. Wer aber scheitert wird oft nicht einmal mehr bemitleidet.

    Die Freiheit als Zwang fängt heute schon nach der Schule an, beziehungsweise während. Natürlich hat man weiterhin zumindest etwas Einfluss darauf, welche Fächer eine höhere Wertigkeit nicht nur für einen selbst, sondern auch am Ende auf dem Abschlusszeugnis haben. Auch hat man die Wahl zu studieren was einem Spaß macht, was einen zum Wunschberuf führt und man kann so Plätze vorhanden jede Ausbildung machen, die man sich wünscht. Aber wann ist das heute, das Studieren? Mit 17. Was soll das frage ich mich, wenn ich mit Menschen unter oder Anfang 20 konfrontiert werde, die sich schuldig fühlen, weil sie noch keinen Hochschulabschluss haben? Die sich zerreiben zwischen Regelstudienzeit, eigenem, oft okroyierten Anspruch und dem Ist-Zustand. Die Angst haben, keinen Job zubekommen, weil sie schon zig Freunde haben, die seit zwei Semestern schon fertig sind, die schon auf die Zielgerade des Masters zusteuern. Das ist meiner Meinung nach ein grandioses Beispiel für die Freiheit, die dem einzelnen auf dem Präsentierteller hingehalten wird, die Individualität und "Spirit" beschwört aber nicht weniger tut, als einen gemeinen Specht im Kopf einzunisten, der einen permanenten Erfolgsdruck aufbaut, dem die persönliche Freiheit oft genug zum Opfer fällt. Auch, weil die betreffenden Personen zu jung, zu unreif sind, um dies zu reflektieren und dagegen anzukämpfen, nein zu sagen zu einem wirtschaftlichen Diktat, das Arbeitskräfte so jung und frisch in allen erdenklichen Positionen haben will. Perfekt zugefeilt, individuell nur soweit, dass der eigene Käfig mit verschieden bunten Teppichen ausgelegt ist.
     
  3. 9. September 2014
    AW: BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

    Mit dem verbrauchen von endlichen Ressourcen (was durch den Kapitalismus rasant betrieben wird) sehe ich auch einen Zusammenhang mit Einschränkungen die sich dadurch ergeben werden.

    Die Folge ist also, dass Freiheiten auch in Form von Demokratie mit der Einschränkung von individuellen Freiheiten bezogen auf Ressourcen unvermeidbar sind.

    Sprich, der Kapitalismus ist auf die Wertschöpfung angewiesen und auf die "Freiheit" sich an der Natur zu bedienen. Eine "Planwirtschaft" die das verbietet und Rechte zuteilt wäre das Gegenteil und bei begrenzten Ressourcen langfristig wohl unumgänglich.

    Aber: Das muss nicht sein, auch die Technik leistet einen Beitrag um Umweltfreundlicher und Ressourcen effizienter zu werden. Viele Rohstoffe sind wieder verwertbar und die "Endlichen" würden auch in einer Planwirtschaft irgend wann aufgebraucht sein, daher ist eine technologische Entwicklung für das dauerhafte leben auf der Erde essentiell.

    Das ist aber alles nichts neues, deshalb ist der Mensch dabei andere Planeten zu erkunden um dort Ressourcen abzubauen. Letztendlich ist dem Kapitalismus (wenn nicht der technische und zeitliche Faktor ihn aus bremst) und den individuellen Freiheiten theoretisch keine Grenze gesetzt.

    Realistisch gesehen, sind wir noch zu weit von fremden Planeten entfernt und die Ausbeutung der Erde ist durch einen zu massiven "Neoliberalismus" bzw Kapitalismus frühzeitig ausgebeutet und verschmutzt.

    Deshalb wird der Mensch umdenken müssen, wenn nicht freiwillig dann zwangsweise durch eine vorausschauende Planung die globale Ressourcen einteilt. Die alternative wäre der Umweltkollaps.

    Eine "klassische" kommunistische oder sozialistische Diktatur kommt da natürlich langfristig auch nicht in frage, denn wie wir wissen ist diese Art von Planwirtschaft absolut miserabel und Umwelt-Effektiv genauso schädlich.

    Der beste weg könnte eine technokratische Weltregierung sein, deren Entscheidungen direkt durch Umweltexperten und Wissenschaftler gestützt werden.

    Auch das Wachstum der Weltbevölkerung würde eingedämmt werden, ein weiterer Faktor der aus der Endlichkeit von Ressourcen spricht und damit gegen ein Wachstums basiertes System.

    Das sind natürlich alles wilde Spekulationen, keiner weiß wie sich der Mensch entwickelt - wie viel Zeit für technische Fortschritte bleibt.

    Was also das Thema Freiheit angeht, wir können eher damit rechnen das egal welches System kommt, die Freiheiten aufgrund der oben genannten Probleme deutlich reduziert werden. Es sei denn es gibt einen unerwarteten Technologiesprung, der es uns ermöglicht fremde Planeten zu besiedeln.

    Bevölkerungswachstumshämmer in Form von Seuchen und Krieg bringen zwar etwas mehr Zeit, aber das ist auch keine dauerhafte Lösung, wenn der Rest dafür immer mehr Ressourcen verbraucht.
     
  4. 9. September 2014
    AW: BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

    Allgemein:

    Vorsicht mit Bereichen der Philosophie -

    Philsophie stellt eine Verbindung zum Jetzt her, jedoch gibt sie keine wirklichen Lösungsansätze heraus, sondern ist der VERSUCH, den Zeitgeist in Worte zu kleiden.

    Zuersteinmal, Fakt ist, daß immer wieder "mögliche Krisenszenarios" unter das Volk geworfen werden, denn wer Angst hat ist leichter (Ver)führbar

    Goldene Regel : Am anfang einer jeden Sache steht der Gedanke.

    Mit anderen Worten die Krise entsteht in deinem Kopf.

    @RR persnl.

    Scientology-Fan ? (Technokratische Weltregierung)
    impliziert -NWO -Polizeistaat und alle Macht geht v. der Regierung aus, sry aber genau das Hebst du mit deinem Post hoch,
    während wir uns doch eigentlich seit mehr als einem Jahrzehnt dagegenstemmen - aslo Meinungwechsel im Laufe der Zeit oder bin ich aussversehen in eine andere Dimension geraten.
    Oder ist der Original RR schon längst Versenkt worden und das Board übernommen ?
    (ein Hoch auf die Anonymität)

    so wieder allgemein :

    Jeder der nicht absolut ausserhalb irgendwelcher Gesellschaft lebt, wird gewisse Regeln des Zusammlebens akzeptieren müssen. -Kommste nich drumrum

    Jede Diskussion die dem Frieden dienen soll, impliziert das Spiel von Ying und Yang (dualistisches Denken)
    Das Sein vereint beides in sich.

    Jeder Versuch die Freiheit zu erklären engt sie genau in diesem Moment ein.

    und ausserdem bin ich da anders

    Also gehe jeder erstmal in sich und Frage sich ob er-sie-ES auch die Vorzüge der Gesellschaft genießt -egal wieviel oder wenig-
    Fängt bei den Klamotten an und hört nicht bei deinem nicht selbstgeschnitzten Skateboard/Bmx 0. Moped/Auto auf.

    -Wie gesagt : Der Bereich der Philosophie ist mit Vorsicht zu geniessen.

    Edit: man musste ich suchen bis ich Originalvideo fand :
    und nur für Erwachsene

    Spoiler
    http://vimeo.com/69531829
    grüz
    KK
     
  5. 9. September 2014
    AW: BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

    Das hast du falsch verstanden, die technokratische Regierung sollte natürlich auch wie bisher eine konstitutionelle Demokratie sein. Nur das die Bürger eben andere Vertreter wählen können die nicht nach Charisma und Versprechen aufgestellt sind, sondern nach Vernunft, die sich aus den Fähigkeiten ergibt. Dazu zählen auch Menschenrechtler, Datenschützer und Philosophen.

    Und das es eine Weltpolitik sein muss, sollte jedem klar sein, denn anders wird es nicht funktionieren. Der Umweltschutz betrifft alle und wenn nicht jeder mit macht und es gibt Schlupflöcher dann werden diese garantiert ausgenutzt.

    Was ich damit sagen wollte, das viele Freiheiten an Ressourcen gekoppelt sind (schon vom Wort Freiraum: Platz). Gibt es weniger Ressourcen und mehr Menschen, müsste geteilt werden.

    Es sollte jedem klar sein, das der westliche Luxus nie für alle Menschen machbar ist, aufgrund der limitierten Ressourcen. Theoretisch müsste also eine Seite den Gürtel enger schnallt und das Bevölkerungswachstum gemäßigt werden.

    Bisher treibt der Mensch mit seinem Ego aber weiter die darwinistische Praxis voran.

    Regeln sind also unvermeidbar - gegenüber der eigenen Spezies aber auch gegenüber anderen Lebewesen.
     
  6. 9. September 2014
    AW: BYUNG-CHUL HAN "Tut mir leid, aber das sind Tatsachen"

    @raid-rush:
    Technik könnte viele Probleme lösen, führt aber im Kapitalismus meist nur zu neuen Problemen. Grünes Wachstum wird es nicht geben. Ein Stichwort dazu ist der Rebound-Effekt: Etwa wird ein Produkt, das effizienter hergestellt werden kann, billiger und damit stärker nachgefragt/verbraucht. Das erklärt Niko Paech sehr gut: http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-06/wachstumskritik-paech

    @Nihilokrat:
    Sehr treffende Beschreibung des Phänomens. Zur (Illusion der) Willensfreiheit gibt es ja bereits mehrere Threads. Den Artikel von Mark Lilla fand ich eher durchwachsen. Er übersieht, dass die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus wunderbar mit rechtskonservativen Einstellungen in kulturellen, gesellschaftlichen Fragen einhergeht (Tea-Party, AfD usw.) und damit deutlich erfolgreicher ist als der 'reine' Liberalismus. Auch das Beispiel der Homosexualität ist ambivalent. So ist zwar die offene Feindschaft gegenüber Homosexuellen zurückgegangen, aber gleichzeitig ebenfalls massiv die Zahl der gleichgeschlechtlichen, sexuellen Erfahrungen von Nicht-Homosexuellen. Die Toleranz gegenüber Homosexuellen geht also mit einer Abspaltung des eigenen Begehrens einher und mit der Vergewisserung der eigenen 'Männlichkeit'. Die muslimischen Länder brauchen sicher keine "Theokratie", aber auch nicht unbedingt die westliche Form der bürgerlich-liberalen Repräsentativdemokratie. Das kurdische Nordsyrien (ebenfalls mehrheitlich muslimisch) zeigt aktuell mit dem Aufbau des Rätesystems, das westliche Ideen mit dortiger Tradition verbindet, wohin die Reise gehen könnte: http://www.academia.edu/7552789/Die_Demokratische_Autonomie_in_Rojava

    Die Erkenntnis, dass der Neoliberalismus die Freiheit instrumentalisiert ist nun nicht grade neu, aber sie stimmt und trifft im Prinzip auch schon auf frühere Formen des Kapitalismus zu. Das ist die berühmte "doppelte Freiheit" des Lohnarbeiters, frei von persönlicher Abhängigkeit und frei von Produktionsmitteln und damit sachlich abhängig von Ausbeutung durch Kapitalist*innen. Wenn Leute formal selbstständig werden, aber trotzdem nichts haben als ihre Arbeitskraft, die sie nun jedoch in prekärer Projektarbeit anwenden, hat sich am Kern des Herrschaftsverhältnisses nichts geändert. Man merkt, dass Byung-Chul Han seinen Foucault gelesen hat (Macht, Dispositive, Wissen eingebettet in Herrschaftstrukturen usw.).

    Daran anschließend fand ich die Ausführungen von Prof. Hartmut Rosa zum Thema der Beschleunigung sehr erhellend, die er erfreulich präzise hauptsächlich auf Wachstumszwang und Konkurrenzdruck des Kapitalismus zurückführt. Er geht auch auf das Paradox der doppelten Freiheit ein. Soziologie wie sie sein sollte!
    Vortrag: https://www.youtube.com/watch?v=mq-YcO_QAbY
    Artikel über sein Buch: http://www.zeit.de/2006/05/ST-Beschleunigung
    "Unter dem Druck der Frist "löschen wir ständig Feuer", machen Dinge gleichzeitig, beschleunigen die Partnersuche durch "fast dating" und steigern die "Erlebnisdichte pro Zeiteinheit". Mögen wir dabei auch an Zeitsouveränität gewinnen, so haben wir doch stets das Gefühl, auf rutschenden Abhängen zu leben, das wahre Leben zu versäumen und Dinge zu tun, die wir gar nicht wollen. Im Extremfall flüchten wir uns in die Depression, in die Pathologie der Zeit."

    Eine These ist, dass das Grundversprechen der Moderne gebrochen wurde. Das Versprechen, man könnte durch die Effizienz des Systems irgendwann die Knappheit und den ökonomischen Überlebenskampf überwinden. (Vortrag ab min. 28)
    Es ist offensichtlich geworden, dass immer mehr Wachstum notwendig ist, um in diesem System überhaupt den Lebensstandard zu halten. Es wird immer so weiter gehen (im Kapitalismus).
    Anders als Han bin ich nicht so pessimistisch was den Aufstand dagegen angeht. Die Krisen der letzten Jahre haben selbst in den USA eine neue Generation hervorgebracht, die im Gegensatz zu früheren Generationen erstmals lieber im Sozialismus als im Kapitalismus leben will. Der Fokus auf Deutschland führt in die Irre. In Spanien kommt die erst vor wenigen Monaten gegründete Partei "Podemos", hervorgegangen aus den Straßenprotesten, mittlerweile auf bis zu 20% in den Umfragen. Wir können uns in nächster Zeit noch auf einige Überraschungen einstellen (positiv wie negativ).
     
  7. Video Script

    Videos zum Themenbereich

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