"Es gibt hier keine Familienpolitik"

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von z3Ro-sHu, 13. Mai 2006 .

  1. 13. Mai 2006
    In Israel hat der Mittelstand zu knapsen. Selbst Akademiker können sich ein Leben mit einer hübschen Wohnung, Urlaub und Auto nur leisten, wenn beide arbeiten. Familien mit nur zwei Kindern werden vom Staat wenig unterstützt.

    Klar, neue Möbel wären nicht schlecht, Urlaub machen, ohne dass man ständig aufs Geld schauen müsste, auch ein zusätzlicher Computer wäre hilfreich. Doch im Großen und Ganzen ist Tamar Korenhandler, 46, zufrieden: Die vierköpfige Familie hat zwei Autos, eine geräumige Wohnung im gehobenen Jerusalemer Vorort Ramat Scharet, leistet sich eine Woche Europa im Jahr, und Noa, die jüngere der beiden 15 und 17 Jahre alten Töchter, gehört zur israelischen Meistermannschaft in der rhythmischen Sportgymnastik.

    Um sich das Leben einer Mittelklassefamilie leisten zu können, sind beide Elternteile berufstätig. Efraim, 50, ist als Historiker beim Staatsarchiv in Jerusalem beschäftigt; um 7.30 Uhr verlässt er das Haus, zwischen 18 und 19 Uhr kehrt er zurück. Tamar arbeitet als Musiktherapeutin mit schwer erziehbaren Kindern. Weil die Arbeit aufreibend ist, hat sie Anfang des Jahres auf 23 Stunden reduziert.

    Das Akademikerpaar muss aufs Geld achten. "Wir sind sehr sparsam", sagt Tamar, "und kaufen nicht ständig Klamotten". Für die Woche Urlaub in Europa sparen sie das ganze Jahr. "Wenn nur einer von uns arbeiten würde, könnten wir nicht verreisen." Die Vierzimmerwohnung in dieser Gegend unweit der Jerusalemer Shopping Mall können sie sich nur leisten, weil Tamars Eltern die Wohnung gekauft haben und die Korenhandlers darin mietfrei leben. Für 130 Quadratmeter in dieser Gegend zahlt man leicht 800 US-Dollar im Monat - für Tamar und Efraim wäre dies zu viel.

    Es gäbe billigere Wohnungen in ähnlicher Qualität. Vom Staat subventionierte Neubauwohnungen in nach wie vor expandierenden Siedlungen wie Maale Adumim nahe Jerusalem in dem von Israel seit 1967 besetzten Gebiet. Doch die Korenhandlers wollen jenseits der grünen Linie - der Grenze vor 67 - nicht leben, "weil ich meine, dass wir dazu kein Recht haben", sagt Tamar. Und in ihrem alten Viertel, dem Jerusalemer Vorort Ramott, wollen sie auch nicht mehr sein, obwohl die Wohnungen billiger sind - dort haben inzwischen zu viele orthodoxe Juden Einzug gehalten, deren Einstellungen und Bräuche die säkularen Korenhandlers nicht teilen.

    "Als die Kinder klein waren, war das Leben hart", sagt Tamar. Vom Lohn gehen rund 40 Prozent an Steuern und Sozialversicherung ab. Vom Staat gab es wenig Unterstützung. Kindergeld? "Vergiss es!", sagt die 46-Jährige, als die Mädchen noch Babys waren, hätten die 300 Schekel (60 Euro) vom Staat für beide Kinder grade mal gereicht, um die Windeln zu finanzieren. "Es gibt hier keine Familienpolitik", schimpft Tamar - es sei denn, man hat mehr als vier Kinder, dann fließt Geld. "Die Religiösen bekommen eine Menge staatlicher Unterstützung - nicht selten haben sie zehn Kinder oder mehr." Auch müssten die Ultraorthodoxen in Stadtvierteln wie Mea Schearim wegen ihres Kinderreichtums so gut wie keine Steuern zahlen, während man für Wohnraum in Ramat Scharet hohe Grundstückssteuern zahle.

    Die Korenhandlers leben in einer Art Zwischenzeit. Aus dem Gröbsten sind sie raus, doch neue Belastungen kommen auf sie zu. "Jetzt ist das Leben ganz okay", sagt Tamar. Tochter Noa besucht eine experimentelle Schule im Zentrum Jerusalems, in der es keine Prüfungen und keine Noten gibt. Tamar freut sich auf ihr Sabbatical, ein Jahr, während dem sie 75 Prozent ihres Lohnes bezieht und nach Interesse studieren kann. Sie will Fotografie-Kurse belegen und Gesangsunterricht nehmen. Nur Tochter Rotem ist derzeit sauer. Die 17-Jährige will den Führerschein machen. "Doch den können wir uns derzeit nicht leisten", sagt die Mutter. 2500 Schekel (500 Euro) habe man dafür nicht übrig.

    Doch in wenigen Jahren werden die Töchter nach ihrem zweijährigen Militärdienst mit dem Studium beginnen. Dann wird das Geld wieder knapper. "Wir legen schon seit Jahren monatlich auf die Seite", sagt Tamar. Allein die Studiengebühren schlagen mit 10.000 bis 12.000 Schekel (2000 bis 2500 Euro) pro Jahr und Tochter zu Buche. Drei Jahre dauert es bis zum Bachelor-, ein weiteres Jahr ist für den Master-Abschluss nötig.

    Sind die zusätzlichen Belastungen während der Studienjahre der Töchter überwunden, wird das nächste finanzielle Großprojekt in Sicht kommen: die Zeit im Ruhestand. Mit 65 geht der durchschnittliche Israeli in Pension. Die Renten sind niedrig, besonders nach den Realkürzungen zuletzt. Im Schnitt liegt sie bei 300 bis 400 US-Dollar, mit einer zusätzlichen Finanzspritze aus der Sozialversicherung kommen die Pensionäre auf 500 bis 600 US-Dollar im Monat.
    Aus dem Stand hat die neu gegründete Rentnerpartei (Gil) sieben Sitze in der Knesset geholt und ist mit zwei Ministern, darunter dem Eichmann-Jäger Rafi Eitan, in die Regierung eingezogen. Sie will vor allem für höhere Renten und niedrigere Medikamentenkosten streiten. "Meine Pension wird sehr, sehr gering sein", sagt Tamar, auch die ihres Mannes werde nicht sehr hoch sein. Sie entspräche etwa den Mietkosten, doch glücklicherweise müssen die Korenhandlers keine Miete zahlen.

    quelle:http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,414484,00.html
     
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