Kuriose Theorie: Verkehrte Welt

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Trockeneis*, 14. November 2009 .

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  1. 14. November 2009
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    Kuriose Theorie

    Verkehrte Welt

    Von Bernd Flessner

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    Wir leben nicht auf, sondern in einer Kugel, und der Himmel ist das Meer. Das glaubten Ende des 19. Jahrhunderts zwei US-Gelehrte - und versuchten ihre Theorie mit einem Riesenlineal zu beweisen. Ihr Weltbild hat auch heute noch treue Anhänger.

    Am 2. Januar 1897 treffen sich am Strand von Naples zwei Männer und blicken fasziniert auf den Golf von Mexiko. Naples ist eine Kleinstadt im Südwesten Floridas. Selbst im Winter ist es hier sommerlich warm, und mit Hurrikanen muss man erst wieder im Juni rechnen. Das ruhige Meer, die Palmen und der weiße Sand machen Naples zu einem idealen Urlaubsort.


    Die beiden Männer haben anderes als Zerstreuung im Sinn. Zwar haben der Strand und das Meer auch sie an diesen Ort gelockt, aber nur, weil hier die Bedingungen für ein noch niemals durchgeführtes Experiment besonders günstig sind. Nach einer kurzen Begutachtung des Strandes fixieren sie den Horizont, der für sie keiner ist. Dann wandern ihre Blicke ganz langsam den blauen Himmel hinauf, der ihrer Meinung nach ebenfalls nicht existiert. Jedenfalls nicht in der allgemein bekannten und naturwissenschaftlich akzeptierten Form. Denn die beiden sind fest überzeugt davon, dass sich vor ihnen nicht der Himmel erhebt, sondern das Meer.

    Sie heben die Köpfe um einige weitere Grade, dann zeigt der Ältere von ihnen mit dem Finger mitten ins himmlische Blau. Dort, schätzt er grob, müsste Mexiko liegen. Und noch höher über ihnen der Pazifik. Für eine Weile bleiben ihre Augen am Himmel kleben, als könnten sie tatsächlich den größten aller Ozeane über ihren Köpfen ausmachen.

    Während der Bewusstlosigkeit hat er eine himmlische Erscheinung

    Der Ältere, das ist der aus Trout Creek bei New York stammende Arzt Cyrus Reed Teed (1839-1908). Schon während seiner Ausbildung werden Heilmethoden, die man heute als alternativ bezeichnet, zu seinem Spezialgebiet. Sein Interesse reicht von der Homöopathie über Kräutermedizin der Indianer bis hin zu Therapieformen, bei denen Magnetfelder und Stromschläge zum Einsatz kommen. Auch vor der Alchemie, der mittelalterlichen Verbindung aus Chemie und Mysterienkultur, schreckt er nicht zurück.

    Seine andere Leidenschaft ist die Bibel, an deren Wahrheitsgehalt er fest glaubt. Weniger überzeugt ist er dagegen von dem Weltbild der modernen Naturwissenschaft, das im Lauf des 19. Jahrhunderts immer komplexer wird. Selbst das All ist nicht mehr das, was es einmal war: 1848 wird der Neptun entdeckt, die Marsmonde folgen 1877, die Erfindung der Spektralanalyse macht es von 1859 an möglich, die Elemente zu bestimmen, aus denen die Sonne und weit entfernte Sterne bestehen. Das All expandiert.

    Teed stellt sich dieser Entwicklung entgegen und ist auf der Suche nach einem anderen System. Der Zufall kommt ihm dabei zu Hilfe. Bei einem seiner merkwürdigen Experimente streckt ihn 1869 ein Stromschlag zu Boden. Während der Bewusstlosigkeit hat er eine himmlische Erscheinung, die ihm ein Weltbild vermittelt, das sich diametral von dem der Astronomie unterscheidet.

    Demnach leben wir nicht auf der Oberfläche einer Vollkugel, sondern auf der Innenfläche einer Hohlkugel. Die Rundung der Erde ist nicht konvex, sondern konkav. Doch warum haben Astronomen von Galileo Galilei bis Wilhelm Herschel dies nicht längst bemerkt? Ganz einfach, weil sie und andere Naturwissenschaftler von einer geradlinigen Ausbreitung des Lichtes und einer konstanten Lichtgeschwindigkeit ausgehen. Breiten sich Lichtstrahlen jedoch bogenförmig aus, sind sie also gekrümmt, entsteht für den Beobachter lediglich die Illusion einer vollkugelförmigen Erde und eines unendlichen Alls. Die wahre Erde hingegen, verkündet die himmlische Erscheinung, bestehe aus zahlreichen Zellen und Sphären.

    Der Boden unter unseren Füßen ist nur 100 Meilen (161 Kilometer) dick und besteht aus 17 Metall- und Steinschichten. Wie eine Eierschale umschließt er das innere Universum. Der Durchmesser der Hohlkugel beträgt lediglich 8000 Meilen (12875 Kilometer). Es gibt drei Sphären: Die erste ist die Atmosphäre auf der Erdoberfläche, gefolgt von einer Schicht Wasserstoff und schließlich Bor im Zentrum.

    Natürlich gibt es in diesem himmelszentrischen Weltbild auch für die Sonne einen Platz. "Die Sonne ist eine unsichtbare, elektromagnetische Energiequelle, die sich im Zentrum der Hohlkugel um sich selbst dreht. Dabei ist die sichtbare Sonne nur eine Reflexion wie der Mond", erläutert Teed in seinem Buch "Zellulare Kosmogonie oder die Erde als Hohlkugel", das 1898 erscheint. In nur 4500 Kilometer Höhe steht sie fest über der konkaven Erdoberfläche und ist entsprechend klein.

    Sonne, Mond und Planeten sind nicht real - sondern nur Reflexionen

    Auch der Mond, die Planeten und Sterne sind nicht real, sondern lediglich Reflexionen des Sonnenlichts. Da die Sonne auch eine dunkle Seite hat und im 24-Stunden-Rhythmus rotiert, ist in diesem Weltbild auch für Tag und Nacht gesorgt. Für die Jahreszeiten gibt es ähnliche Erklärungen. Selbst die Gravitation findet ihre Ursache in der Sonne, es sind besondere Strahlen, die von ihr ausgehen und von den Metallschichten im Boden reflektiert werden.

    Als Teed aus seiner Ohnmacht erwacht, kennt er nur noch ein Ziel. Er will dieses neue, ebenso faszinierende wie unglaubliche Weltbild, das ihm so unvermittelt offenbart wurde, in aller Welt verkünden. Aus dem verschrobenen, bibelfesten Arzt wird praktisch über Nacht ein Religionsgründer, der sich als eine Art moderner Messias sieht.

    Um seinen Ambitionen die nötige Aura zu verleihen, nimmt er die hebräische Version seines Vornamens - Koresh - und tauft die neue Glaubensgemeinschaft Koreshan Unity. In New York sammelt er 1870 die ersten Anhänger um sich. Später folgen Chicago und San Francisco. Großen Zulauf haben seine Vorträge und Predigten nicht. Nur einer kleinen Anzahl religiöser Fundamentalisten gefällt das kuriose Weltbild, denn es bietet eine Erde, die mit vielen Aussagen der Bibel übereinstimmt. Wie Teed lehnen sie die naturwissenschaftliche Weltsicht ab, die die Erde mehr und mehr zu einem bedeutungslosen Sandkorn am Rand eines unendlichen und somit unvorstellbar großen Universums degradiert.

    Schließlich gründet Teed in Estero in Florida mit 250 Anhängern eine religiöse, sozialistisch organisierte Gemeinschaft, die zeitweise auf 4000 Mitglieder anwächst. Zehn Millionen sind es bereits in Teeds Träumen, die eines Tages die Stadt Neu-Jerusalem errichten und bewohnen sollen. Den Grundriss mit 120 Meter breiten Straßen hat Teed längst entworfen.

    Ein Riesenlineal soll messen, ob die Erdkrümmung konvex oder konkav ist


    Auf einer Missionsreise nach Chicago lernt Teed den aus Kentucky stammenden Verleger, Erfinder und Landvermesser Ulysses Grant Morrow (1864-1950) kennen, der sich mit einem fragwürdigen Professorentitel schmückt. Beide Männer finden sich auf Anhieb sympathisch. Morrow ist schon lange auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und neuen Perspektiven. Die Idee einer hohlen, zellförmig strukturierten Welt begeistert ihn spontan, und er tritt umgehend der Koreshan Unity bei.

    Teed ist ebenfalls angetan von dem neuen Mitglied, denn Morrow hat in Chicago Naturwissenschaften studiert und sieht sich in der Lage, für Teeds Weltbild mithilfe eines wissenschaftlichen Experiments einen eindeutigen Beweis zu liefern. Und den braucht Teed dringender denn je. Zum einen macht sich die Presse hier und da über seine kleine Sekte lustig, andererseits keimen auch bei seinen Anhängern immer wieder Zweifel am zellularen Kosmos auf. Ein experimenteller Beweis soll endlich Klarheit schaffen.

    Um einen solchen hatte sich auch Teed schon bemüht, war aber kläglich gescheitert, da er ausschließlich optische Methoden eingesetzt hatte. Kritiker konnten daher die Resultate seiner Fernrohrexperimente mühelos als atmosphärische Phänomene und optische Täuschungen entlarven. Morrow schlägt ihm nach reiflicher Überlegung ein Experiment vor, bei dem die angenommene Krümmung der Lichtstrahlen keine Rolle spielt. Es soll ganz ohne Fernrohre, Sextanten und andere optische Hilfsmittel auskommen.

    Das Ziel der wandernden Messlatte ist das Meer

    Er besinnt sich seiner Kenntnisse der Geodäsie und entwirft ein gigantisches Lineal, mit dem sich mechanisch eine Horizontale herstellen lässt. Morrow will die Erdkrümmung vermessen, wie dies noch nie zuvor geschehen ist, weil bislang niemand diese Art von Vermessung für nötig befunden hat. Und dafür braucht er das Meer. Denn im Gegensatz zu einer Landschaft weist es, zumindest bei Windstille, weder Erhebungen noch Senken auf, die Oberfläche folgt präzise der Erdkrümmung, sei sie nun konvex oder konkav. Das aufwendige Unterfangen erhält den Namen "Koreshan Geodetic Survey".

    Morrow lässt sein Lineal bei der Pullman Railroad Car Company in Chicago bauen. Es besteht aus vier 3,64 Meter langen Segmenten aus Mahagoni, die an beiden Enden einen Querbalken tragen. Diese T-förmigen Abschlüsse bilden einen rechten Winkel und sollen für eine exakte Verbindung der Segmente sorgen, die auf jeweils zwei Ständern fixiert werden. Zusätzlich werden die Segmente durch ein Kreuz aus Stahlstangen in Form gehalten. Jedes Segment kann durch Verstellschrauben an den Ständern millimetergenau justiert werden.

    Das Riesenlineal, von Morrow "Rectilineator", Gradstreckenverleger, genannt, ist also insgesamt 14,56 Meter lang. Für die genaue horizontale Ausrichtung verwendet Morrow mehrere Wasserwaagen, von denen er die größte selbst entworfen hat. Gerne hätte er auf die Unterteilung in vier Segmente verzichtet, doch ist dies technisch nicht durchführbar. Auch eine insgesamt längere Konstruktion kommt aus technischen und wohl auch finanziellen Gründen nicht infrage. Um das außergewöhnliche Experiment durchzuführen, bleibt also Morrow nichts anderes übrig, als seinen Gradstreckenverleger kontinuierlich zu verlängern.

    Sind alle vier Segmente ausgerichtet, lässt er das hintere Segment abbauen und an das vordere als Verlängerung wieder ansetzen. Wie eine langsame Raupe bewegt sich die skurrile Apparatur im Frühjahr 1897 von Ost nach West über den Strand von Naples. Monatelang schaufeln Teeds Anhänger Sand aus dem Weg und stellen die Ständer immer wieder neu auf, während Morrow die Segmente mit seinen Wasserwaagen ausrichtet.

    Das Ziel der wandernden Messlatte ist das Meer. Verkleinert sich der Winkel in Relation zum Meeresspiegel, ist die Erde konkav - und die Hohlwelttheorie damit bewiesen. Alle 200 Meter misst Morrow die Distanz zwischen seinem Instrument und dem Meeresspiegel, wobei er natürlich den Tidenhub berücksichtigt. Bis zum Anfang Mai 1897 werden die Segmente 1045 Mal neu aufgestellt und justiert. Nach 3,8 Kilometern ist das Meer erreicht. Mit Booten überbrückt Morrow noch eine kurze Distanz, dann ist Schluss.

    Das Experiment gerät zu einer Art sich selbst erfüllenden Prophezeiung

    Das Ergebnis steht ohnehin schon fest: Das Auftreffen der Messlatte auf die Wasseroberfläche ist absehbar. Teeds himmelszentrisches Weltbild muss stimmen. Das Meer erhebt sich über uns, anstatt auf der Erdkugel hinter dem Horizont zu verschwinden. Teeds und Morrow jubeln.

    Für eine wissenschaftliche Revolution sorgt das Experiment dennoch nicht. Gleich mehrere Einwände sprechen nämlich gegen den von Morrow und Teed proklamierten Erfolg der Messung. So gibt es keine fachkundigen externen Zeugen, die den Ablauf kontrolliert haben, lediglich Morrows Tabelle mit den Messdaten liegt als Beweis vor.

    Außerdem weist der Gradstreckenverleger zahlreiche Mängel auf. Holz und Metall waren monatelang der salzigen Luft des Meeres ausgesetzt, sodass eine Verformung auf Dauer nicht zu verhindern war. Eine Schwachstelle ist auch das 1045-malige Umsetzen und Ausrichten der Segmente, bei dem sich kleinste Abweichungen im Millimeterbereich zu großen Fehlern summieren.

    Ein weiterer Punkt ist die feste Überzeugung aller Beteiligten, zu keinem anderen als dem lang ersehnten Ergebnis zu kommen. So gerät das einmalige Experiment zu einer Art sich selbst erfüllenden Prophezeiung ohne tatsächliche Relevanz.

    Dennoch verschwinden Teeds Weltbild und Morrows Messung nicht aus den Geschichtsbüchern, sondern tauchen in deutschen Werken wieder auf. Gleich vier Autoren, nämlich Karl Neupert, Johannes Lang, Peter Bender und Fritz Braun, veröffentlichen bis in die dreißiger Jahre hinein Bücher über das himmelszentrische Weltbild, nun auch Hohlwelt- oder Innenwelttheorie genannt. Wie Teed bringen auch sie vor allem religiöse Motive vor.

    Obwohl zumindest Langs Buch "Das neue Weltbild" (1933) populär wird, stoßen die Werke bei Physikern und Astronomen auf strikte Ablehnung. Auch die Nationalsozialisten haben kein Interesse. Lang und Bender landen sogar im Konzentrationslager, da ihre Ansichten den Nazis höchst suspekt sind. Den Grund erfährt man in Robert Henselings 1939 erschienenem Buch "Umstrittenes Weltbild". Der Autor, damals Vorbild für viele Astronomen, verweist darauf, dass die Innenwelttheorie eine "ausländische Vorläuferschaft" habe und eine "amerikanische Einfuhr" sei. Das widerlegt zwar nicht Teeds Weltbild, genügt jedoch den Nazis, es von vornherein abzulehnen.

    Eine kleine Anhängerschaft hält bis heute an der Theorie fest. Ihre Plattform indes ist ein Universum, in dem auch noch ganz andere Weltbilder zu finden sind: das Internet.



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    Was haltet ihr von der ganzen Theorie, oder war es für euch zuviel zu lesen ?
     
  2. 14. November 2009
    AW: Kuriose Theorie: Verkehrte Welt

    Habe es von Anfang bis zum Ende durchgelesen.Recht interessant. Naja kann der Theorie der "Verkehrten Welt" kein glauben schenken. Und vor allem wie schnell man aus Theorie Religion machen kann
    Richtig beweißen können die beiden das auch nicht, von daher...

    Als ich das gelesen hab dacht ich nur noch: Alles klar !
    Schon hier dran sieht man das das alles quatsch ist. Kann mal man von gehört haben, muss man aber nicht.
     
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