Libanons Elite-Krieger rüsten zur Entscheidungsschlacht

Shnuppl · 24. Mai 2007

Quelle: Lager Naher al-Bared: Libanons Elite-Krieger rüsten zur Entscheidungsschlacht - SPIEGEL ONLINE

Lager Naher al-Bared: Wie sich Spiros und Rommels Einheit auf die Schlacht einschwören - SPIEGEL ONLINE

LAGER NAHER AL-BARED

Libanons Elite-Krieger rüsten zur Entscheidungsschlacht

Aus Tripoli berichtet Ulrike Putz

Sie wollen zuschlagen, mit voller Wucht, die Fatah al-Islam ausrotten - sobald der letzte Zivilist das Lager Naher al-Bared verlassen hat. Libanons Elitetruppen schwören sich auf die Entscheidungsschlacht mit den radikalen Palästinensern ein. Manche schossen im Blutrausch schon auf Kinder und Alte.

"In den nächsten 48 Stunden werden wir sie auslöschen", sagt der libanesische Elite-Soldat, der hinter einem Wall frisch zusammen geschobener roter Erde liegt. "Sie" - das sind die Kämpfer der radikalen Palästinensergruppe Fatah al-Islam im Flüchtlingslager Naher al-Bared.

Leere Hülsen großkalibriger Munition übersäen den Boden. Etwa 200 Meter entfernt stehen die rußgeschwärzten Ruinen des Lagers nördlich der libanesischen Hafenstadt Tripoli. Von den Dächern aus machen Scharfschützen von Fatah al-Islam Jagd auf die libanesischen Ranger, die sich östlich des Camps eingegraben haben. "Ich hoffe, dass sie uns bald angreifen. Dann schlagen wir zurück und machen sie fertig" , sagt der Offizier, der Spiro genannt werden will.

Spiro wird mit seiner mitleidlosen Prognose wahrscheinlich recht behalten. Am vierten Tag der blutigen Kämpfe zwischen islamistischen Kämpfern und der libanesischen Armee scheint ein Massaker unausweichlich: Die Miliz, die sich in einem palästinensischen Flüchtlingscamp nördlich der libanesischen Hafenstadt Tripoli verschanzt hat, ist von einem Großaufgebot der Armee eingekesselt. Allein 700 Elite-Kämpfer warten auf die entscheidenden Schlacht, die die Kämpfer der Fatah al Islam nicht gewinnen können und nicht zu überleben gedenken: Sprecher der nach Einschätzung westlicher Geheimdienste al-Qaida-nahen Gruppe haben angekündigt, ihre Mitglieder werden sich nicht ergeben, sondern bis zuletzt möglichst viele ihrer Feinde in den Tod reißen.

Wie viele der Milizionäre noch am Leben und kampfwillig sind, ist unklar. Von einem hochrangigen Offizier war am Mittwoch zu hören, dass sich über 750 Mann im Lager verbarrikadiert hätten. Die Kämpfer der Fatah al Islam seien genauso gut ausgerüstet und ausgebildet wie die Armee, sagt der Offizier. "Aber sie sind bereit, Selbstmord zu begehen, und das könnte man als ihren Vorteil beschreiben."

Seit Sonntag hatten sich die Miliz und die Armee heftige Kämpfe geliefert, bei denen nach Agenturberichten rund 70 Milizionäre und Soldaten starben. Bevor eine am Dienstag vereinbarte Waffenruhe den 30 000 Einwohnern des extrem dicht besiedelten Elendslagers Naher al-Bared die Flucht ermöglichte, sollen auch mindestens 20 Zivilisten bei den Gefechten mit teils schwerem Geschütz ums Leben gekommen sein. Die libanesische Regierung wirft der Miliz vor, Terroranschläge geplant und ausgeführt zu haben. Das Lager Naher al-Bared habe dabei als Versteck und Kommandozentrale gedient. Im Libanon leben etwa 300 000 vor den Kriegen des Nahen Ostens geflohene Palästinenser in zwölf Camps, zu denen die libanesischen Sicherheitsbehörden keinen Zutritt haben.

Das Terrain umittelbar am Lagerrand, auf dem sich Spiros Einheit eingegraben hat, war letzte Nacht noch in den Händen der Fatah-al-Islam-Kämpfer. Im Morgengrauen haben die Ranger das Feld eingenommen, das Schilf planiert, Erdwälle zwischen Zypressen geschüttet. Wie viele Menschen er im Laufe der letzten Tage getötet hat, kann Ranger Rommel nicht sagen. "Es waren wohl ziemlich viele", sagt der 27-Jährige, den seine Eltern allen Ernstes nach dem deutschen Kommandeur des Afrika-Korps benannt haben. "Am Anfang war es ein Schock, nach all dem Training in einem richtigen Kampf zu sein." Später dann sei es gewesen wie im Film. "Ein Rausch, bei dem es einem egal ist, ob man auf Kinder, Alte oder Kämpfer schießt."

Bald werde dieser Film wohl wieder anlaufen, sagt er: "Wir haben gezielte Hinweise darauf, dass unsere Stellung in der Nacht das Ziel von Selbstmordattentätern sein wird." Die Informationen besagen, dass es alte Frauen sein werden, die sich anschleichen werden, um sich nahe der Soldaten in die Luft zu sprengen.

Es ist das erste Mal seit Beginn der Kämpfe, dass Spiros und Rommels Einheit zur Ruhe kommt. Die Männer rauchen, kauen frische Pflaumen und reißen derbe Witze über die Freundinnen des jeweils anderen. Ein Soldat verteilt Plastiktüten mit Fladenbrot, Thunfischdosen, Tomaten. Fragen beantworten die meisten in exzellentem Englisch: Sie hätten Teile der Ausbildung in den USA absolviert, manche besitzen eine doppelte Staatsangehörigkeit.

Immer wieder sind die Männer in den vergangenen 72 Stunden mit Stoßtrupps in das nahe Lager vorgedrungen. Der Häuserkampf steckt ihnen in den Knochen. "Diese Kämpfer sind keine Religiösen, sie sind Sadisten", sagt Husam, der sich im Gefechtslärm heiser gebrüllt hat. "Sie haben einige von unseren Leuten geköpft." Bei toten Kämpfern der Fatah al Islam hätten er und seine Kameraden ägyptische, sudanesische und Pässe von Bangladesch gefunden. "Die wenigsten sind von hier, das sind Fanatiker von außen, die sich hier versammelt haben."

Flüchtlinge suchen Schutz in Nachbarlagern

Ein paar Kilometer südlich lässt ein langer Treck von Flüchtlingen das Lager hinter sich. Es geht langsam voran. Damit im Schutze der Zivilisten keine Kämpfer fliehen, werden alle Personalien überprüft. Beim Brotholen erschossene Nachbarn; eine zerstörte Bauernexistenz, als eine Granate elf Kühe tötete: Die Menschen haben drei Tage lang Entsetzliches erlebt und fliehen nun in eine ungewisse Zukunft in ein benachbartes Palästinensercamp. Auch, wenn es die libanesische Armee war, die das Lager und damit die Menschen unter Beschuss genommen hat: Lobende Worte für die Fatah al-Islam hört man nicht.

Das ganze sei von Ausländern initiiert, die vor ein, zwei Jahren ins Camp gekommen seien, sagt auch Mahmud Darwish. Gezielt hätten die Männer in palästinensische Familien eingeheiratet und mit sehr viel Geld unbekannter Herkunft Apartments im Lager gekauft, sagt der Informatik-Student. Ein Apotheker berichtet, die Islamisten hätten sich in den vergangenen Monaten immer offener gezeigt: "Nicht zu übersehen, auf Mofas mit langen Bart und in betont züchtiger Kleidung." Mit der Zeit seien die Islamisten immer selbstbewusster geworden: "Wenn ein Mann in ihrer Gegenwart geflucht hat, haben sie ihn umstellt und beschimpft."

Die Palästinensische Befreiungsorgansiation PLO in Naher al-Bared hatte deshalb schon seit Monaten versucht, die Islamisten zu isolieren. Dass die libanesische Armee sich nun eingemischt hat, ist - unabhängig vom dadurch entstandenden Leid der Bevölkerung - nicht im Sinne der einflussreichen Sippen im Lager: Nachdem am Dienstag der Waffenstillstand in Kraft trat, hat die PLO angekündigt, selbst mit den Radikalen aufräumen zu wollen. Wäre es die libanesische Armee, die den Radikalen Einhalt gebietet, würde das die Hausmacht der PLO im Lager empfindlich schwächen. Dass die PLO es schafft, im Alleingang mit den Milizionären aufzuräumen, gilt jedoch als unwahrscheinlich.

Den Soldaten bleibt eine kurze Frist, in der sie sich auf den kommenden entscheidenden Kampf vorbereiten müssen. In dieser ersten Stunde der Ruhe nach 72 Stunden Adrenalinschub schauen die jungen Männer jedoch auch zurück. "In diesem Bus wollten sich Leute retten", sagt Spiro neben einem im Schilf liegenden Fahrzeugskelett, in dem alle Scheiben fehlen. Auf dem Asphalt der kleinen Straße, die vom Lager in die umliegenden Felder führt, sind große Lachen Blut getrocknet. "Sie sind auf uns zugefahren, es hätten auch Kämpfer sein können", sagt er.

Es war seine Einheit, die den Bus erst beschoss und dann drei Tote und mehrere Verwundete aus dem Wrack barg. "Entsetzlich, aber so ist Krieg halt."

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