Meilenstein: CRISPR-Genschere heilt Patientin mit seltene Blutkrankheit

Artikel von Carla Columna am 1. Dezember 2019 um 15:17 Uhr im Forum Gesundheit & Körperpflege - Kategorie: Wirtschaft

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Meilenstein: CRISPR-Genschere heilt Patientin mit seltene Blutkrankheit

1. Dezember 2019 von   Kategorie: Wirtschaft
Die ersten beiden Patienten, die eine CRISPR-basierte Behandlung für die erblichen Blutkrankheiten Sichelzellenkrankheit und Beta-Thalassämie erhielten, profitierten von der experimentellen Therapie und hatten anschließend nur vorübergehende und behandelbare Nebenwirkungen. Bei der sogenannten Beta-Thalassämie ist die Produktion des Blutfarbstoffs Hämoglobin gestört.


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Die beiden Patienten, die an zwei laufenden klinischen Studien teilnehmen, sind seit relativ kurzer Zeit frei von Bluttransfusionen und Krankheitssymptomen. Die ermutigenden Daten lassen jedoch hoffen, dass die Genombearbeitung eines Tages eine sichere und dauerhafte Heilung für beide Blutkrankheiten bieten könnte .

Die betroffenen Patienten müssen daher regelmäßig Bluttransfusionen erhalten. Doch unproblematisch ist auch diese Behandlung nicht. Denn dadurch reichert sich Eisen im Körper an, was die Organe schädigt. Die Lebenserwartung der Patienten sinkt daher auf fünfzig Jahre.

Bei einer 20-jährigen Patientin am Universitätsklinikum Regensburg könnte nun aber eine Trendwende gelungen sein. Denn seit der Behandlung mit der CRISPR-Genschere benötigt sie keine Bluttransfusionen mehr. Nach heutigem Stand wird sie von ihren Ärzten damit als geheilt betrachtet. Allerdings noch unklar, wie lange dieser Zustand anhält und ob doch noch Nebenwirkungen auftreten.


Die Ärzte aktivierten ein eigentlich abgeschaltetes Gen
Zur Behandlung der seltenen Krankheit entnahmen die Forscher der Patientin zunächst einige blutbildende Zellen aus dem Knochenmark. Anschließend bedienten sie sich eines Tricks. Denn sie nutzten die Genschere nicht etwa, um die defekten Genzellen, die bei gesunden Menschen für die Produktion von Hämoglobin verantwortlich sind, zu reparieren. Stattdessen aktivierten sie ein Gen, das diese Aufgabe eigentlich nur während der Entwicklung im Mutterleib übernimmt und dann eigentlich abgeschaltet wird. Nach dem Einsatz der Genschere wurden die noch im Körper vorhandenen Knochenmarkzellen mithilfe einer Chemotherapie zerstört und durch die behandelten Zellen ersetzt. Im Falle der Regensburger Patientin war diese Vorgehensweise erfolgreich: Untersuchungen zeigen inzwischen, dass rund 99,8 Prozent der roten Blutkörperchen fetales Hämoglobin in sich trugen.

Die Studie ist noch längst nicht abgeschlossen
Die Behandlung am Klinikum in Regensburg ist Teil einer internationalen Studie, bei der insgesamt 45 Patienten und Patientinnen mit der Genschere behandelt werden sollen. Diese ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Eine zweite Patientin in Nashville in den Vereinigten Staaten konnte zwar von der Sichelzellanämie geheilt werden. Bei den meisten Probanden der Studie hat die Behandlung aber noch nicht einmal begonnen. Dementsprechend sind die bisher veröffentlichten Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. Denn sie beruhen auf einer sehr dünnen Datenlage und konnten noch nicht von unabhängigen Stellen überprüft werden. Das Bostoner Online-Magazin STAT konnte aber zumindest Unterlagen einsehen, die von zwei an der Entwicklung der Verfahren beteiligten Biotech-Firmen zur Verfügung gestellt wurden.



Konkurrenz jenseits von Crispr
Crispr Therapeutics ist nicht die einzige Firma, die Gentherapien gegen Thalassämie und Sichelzellanämie entwickelt. Erst kürzlich hat Bluebird Bio eine Zulassung für "Zynteglo" bekommen. Dabei wird das defekte Beta-Hämoglobin-bildende Gen durch das eine intakte Kopie ersetzt, das mit Hilfe von entschärften HI-Viren (Lentiviren) ins Erbgut eingeschleust wird.

Dass die Crispr-Therapie ohne Viren auskommt, hält Novak für einen großen Vorteil: "Lentiviren produzieren pro Zelle zwei bis drei Mutationen." Das könne dazu führen, dass Krebs entsteht. Zwar könne auch die Gen-Schere statt an der gewünschten Stelle versehentlich auch anderswo ("off target") im Erbgut schneiden. Doch das passiere "nur mit einer Wahrscheinlichkeit von einer Mutation in vielleicht zehntausend Zellen", sagt Novak. "Daher sehen wir die Sicherheit unseres Produktes als höher an."

Andreas Kulozik, Direktor der Klinisch Pädiatrischen Onkologie am Hopp-Kindertumorzentrum der Uniklinik Heidelberg Zynteglo nannte die Methoden einen "Gamechanger": "Erstmals besteht die Möglichkeit, eine Heilung zu erreichen."

Zwei Patienten hat der Arzt bereits mit der Gentherapie Zynteglo behandelt. "Der eine Patient ist seitdem transfusionsunabhängig, die zweite Patientin benötigte binnen eines Jahres nach Therapie nur noch drei Transfusionen, hat also eine deutliche Reduzierung erreicht", sagte Kulozik.

Allerdings funktionieren die Gentherapien nicht bei allen Patienten. Bei Zynteglo waren 80 Prozent der insgesamt 32 behandelten Thalassämie-Patienten mindestens zwei, maximal fünf Jahre frei von Bluttransfusionen. Warum die Therapie bei einigen Patienten nicht funktionierte, ist offen. Es könnte damit zusammenhängen, dass das Gen an einem Ort im Erbgut gelandet ist, wo es nicht ausreichend gut aktiv werden kann. Oder zu wenige der veränderten blutbildenden Zellen sind im Knochenmark der Patienten angewachsen. Das müssen künftige Untersuchungen zeigen.

Ob die CTX001-Therapie von Crispr Therapeutics und Vertex Pharmaceuticals allen Patienten helfen wird, wird sich zeigen – wenn alle Daten vorliegen, auch über Nebenwirkungen. Und auch, ob es besser für Patienten ist, ein "Ersatzgen" ins Erbgut eingesetzt zu bekommen oder das Erbgut direkt mit einer Gen-Schere zu verändern.

Winzige Gen-Schere, riesige Kosten
Ob die Behandlungen dann erschwinglich sind, ist eine andere Frage. Wie teuer die Gen-Scheren-Therapie CTX001 sein werde, wenn sie erst zugelassen ist, dazu wollte sich Rodger Novak noch nicht äußern: „Ich kann keine Zahl nennen.“ Dass es nicht wenig sein wird, ergibt sich allerdings schon aus der Tatsache, dass „Zynteglo“ voraussichtlich etwa 1,6 Millionen Euro pro Patient kosten wird. Zwar gibt es in Deutschland nicht viele Patienten mit Beta-Thalassämie oder Sichelzellanämie. Doch mit dem Erfolg dieser und anderer Gentherapien, etwa gegen Krebs, stellt sich auch Novak die Frage, „wie sich die Gesundheitssysteme das überhaupt werden leisten können“.

In der Kosten-Nutzen-Kalkulation müssten aber auch die hohen Kosten berücksichtigt werden, die schon jetzt und über Jahrzehnte für die Behandlung von chronischen, mit großen Schmerzen und viele Organe in Mitleidenschaft ziehenden Erkrankungen wie Sichelzellanämie und Thalassämie verbunden sind, sagt Selim Corbacioglu. Auf Seiten des Erstattungssystems müsse es dazu kommen, „dass man einen Basispreis verhandelt und dann nach ein, zwei oder fünf Jahren Meilensteinzahlungen verabredet“, meint Novak. Bezahlt wird dann nur, wenn die Therapie erfolgreich ist.