#1 19. September 2005 Nach verfehlten Wahl-Prognosen Wie sinnvoll ist die Demoskopie? {bild-down: http://www.tagesschau.de/styles/container/image/style_images_default/0,1307,OID4726862,00.jpg} Nach der Wahl Makulatur: Sonntagsfrage vom 8. September Als Gerhard Schröder nach der Wahl in der SPD-Zentrale vor Presse und Publikum trat, hielten die Versammelten kurz den Atem an. Mit donnernder Stimme polterte der Kanzler "gegen Medienmacht- und Manipulation" - ein Angriff auf die Medienvertreter, mit dem in dieser Schärfe niemand gerechnet hatte. Was war geschehen? Wochenlang hatten die Meinungsforscher die SPD im Umfragetief und zeitweilig gar unterhalb der 30-Prozentmarke verortet. Dass seine Partei nun sogar über 34 Prozent geschafft hatte, galt dem Kanzler offenkundig als Beweis für eine Verschwörung der Demoskopen. Am Wahlabend mussten die Wahlforscher allerdings mit einem noch größeren Problem umgehen: Fast alle großen Meinungsforschungsinstitute haben das Abschneiden der Union drastisch falsch eingeschätzt. Manfred Güllner von Forsa etwa sah die CDU/ CSU noch wenige Tage vor der Wahl bei 41 bis 43 Prozent. Tatsächlich landete die Union jedoch bei 35,2 Prozent. Manche Institute verweisen entschuldigend darauf, dass immerhin die Ergebnisse der übrigen Parteien exakt vorausgesagt wurden. In Wahrheit hatte jedoch beispielsweise keiner der fünf großen Namen in der deutschen Demoskopie für die Liberalen mehr als acht Prozent ermittelt. Emnid und Infratest dimap kamen in ihren letzten Umfragen vor der Wahl sogar nur auf 6,5 Prozent für die FDP. Die Not der Wahlforscher Entsprechend groß scheint nun die Not der Wahlforscher. Denn wem nützt die Demoskopie, wenn sie unverlässliche Daten liefert? "Solche Bewegungen in so kurzer Zeit haben wir vorher nicht erlebt", räumte Infratest dimap-Chef Richard Hilmer gegenüber tagesschau.de ein. Allerdings dreht Hilmer den Spieß um: "Die Parteien sind da schon ein bisschen selber Schuld". So würden die Wähler ihre Präferenz für eine Partei heute viel schneller überdenken als zu früheren Zeiten. Jene Milieus, die ehedem eine lebenslange Parteibindung garantierten, würden immer kleiner oder lösten sich auf. "Erhebliche Verwerfungen" wie etwa der Parteienspendenskandal der CDU im Jahr 2000 oder die Hartz-Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung würden vom Wähler unmittelbarer und weitaus heftiger abgestraft als vergleichbare Vorkommnisse zu früheren Zeiten. Gleichzeitig sei es für die Parteien heutzutage aber auch leichter, wieder Boden gut zu machen. Nicht nur die jüngste Aufholjagd der SPD sei für diese neue Entwicklung ein deutlicher Anhaltspunkt, meint Hilmer. Er verweist auf den dramatischen Umfragen-Einbruch der Union nach Bekanntwerden der Schwarzen Kassen Helmut Kohls. "Die Wähler sind immer Gebildeter" "Die Wähler sind immer gebildeter, die wissen, was sie da machen", lautet Hilmers Erklärung für schwankendes Abstimmungsverhalten. Das auch Infratest dimap seine Last mit den "reflektierteren" Wählern hat, streitet Hilmer nicht ab. Renate Köcher von Alllensbach hat angesichts unsicherer Prognosen bereits erwogen, die Erhebungspraxis des Instituts zu ändern. Forsa-Chef Güllner rät derweil davon ab, mit Prozenten hinter dem Komma zu arbeiten. Solche Werte seien unseriös. Infratest dimap - das für die ARD den Deutschlandtrend erstellt - sieht sich da auf dem richtigen Weg. Eine Woche vor der Wahl hatte das Institut auf Wunsch der ARD auf weitere Umfragen verzichtet. Der Wähler sei "mündig genug, um seine Entscheidung alleine zu treffen", erläutert Hilmer das Verfahren. Den Manipulationsvorwurf des Kanzlers weist der Demoskop denn auch zurück. "Ziemlich konstruiert" sei dessen Schelte. "Wenn irgendetwas erwiesen wurde, dann, dass der Wähler sich nicht durch Medien oder Umfragen leiten lässt", behauptet er. Als Beweis dient ihm die jüngste Bundestagswahl: "Wäre es so, dann hätte das Ergebnis zwangsläufig anders ausfallen müssen." quelle: tagesschau.de + Multi-Zitat Zitieren