#1 7. September 2007 Die Individualisierung von Portalen, der legale Online-Tausch von Musikstücken unter Freunden und die Zusammenstellung von ähnlicher Musik nach semantischen Kriterien – all das sollen mehr Nutzer ins Web 2.0 locken. Bei der Münchner Medienkonferenz Media in Transition stellten sich eine Reihe von Anbietern neuer Web-2.0-Anwendungen vor. Jeder hofft, dass er das nächste "große Ding" im Web hat, gleichzeitig warnen viele vor einem neuen Hype. Einen Crash wie im Jahr 2000 werde es nicht mehr geben, meinte aber der Gründer von Sevenload, Ibrahim Evsan siegesgewiss. Und das, weil auch nicht mehr die gleichen Investitionsrisiken eingegangen würden. "Wir werden mit Web 2.0 Erfolg haben", ist sich Evsan sicher. Besser als Web 1.0 will zum Beispiel das Einstiegsportal Pageflakes sein, weil es stark individualisierbar ist und den auf registrierte (und teilweise bezahlende) Nutzer beschränkten Bereich ("walled garden") von Angeboten wie AOL oder Yahoo aufbricht. Pageflakes-Gründer Christoph Jantz zeigte am Beispiel AOL, wie konstant die großen Einstiegsportale ungeachtet von Breitband-Zugängen, nutzergenerierten Inhalten und Individualisierung geblieben seien. In zehn Jahren habe etwa AOL lediglich zwei Spalten mehr und ein bisschen mehr Farbe hinzugefügt. Abgesehen vom Einheitsblau bei AOL sind die Nutzer auf die von AOL ausgewählten Informationsangebote festgelegt. Pageflakes dagegen erlaubt die Integration unterschiedlicher Angebote und eine Auswahl bevorzugter Themenschwerpunkte, ähnlich wie Netvibes. Die Leute auf dem eigenen Angebot zu halten erklärt Evsan zur Hauptherausforderung für die einmal gestarteten Web-2.0-Angebote. Mittelfristig will er seine Kunden auch dazu bringen, dass sie sich vermehrt authentifizieren und identifizieren. Nur so könne man den einzelnen Kunden dann auch gezielt ansprechen, "mit Dingen, die für ihn relevant sind." Einen einzigen Single Sign-on, der Evsan bei der Beobachtung von Kundenbewegungen ein Stück weiterbringen könnte, schlägt aber in der Konsequenz nicht einmal Simon Willison vor, ehemaliger Lab-Entwickler von Yahoo, Experte für das Identitätsmanagement-System Open ID und einer der Autoren des Web-Frameworks Django. Zwar verwies Willison auf die Neutralität und Unabhängigkeit von Open ID von einer zentralen Kontrollinstanz wie etwa bei Microsofts Passport und dessen Nachfolgern (Windows Live ID) oder ähnlichen Industrieinitiativen. Trotzdem erwartet er nicht, dass Nutzer tatsächlich eine einzige Open ID für alle Bewegungen im Netz nutzen, er selbst hat ebenfalls mehrere IDs. Außerdem habe Open ID 2.0 Features, die auf das Datenschutzproblem reagieren, indem der jeweilige Open-ID-Provider jeweils verschiedene Identitäten hinterlegen kann. Auch MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg; Direktor des Fraunhofer Instituts für Digitale Medientechnologie, ist skeptisch, was einen Single Sign-On angbelangt, selbst bei der Hinterlegung entsprechender Zertifikate aus einer Public Key Infrastructure (PKI). Brandenburg mahnte angesichts des Web-2.0-Optimismus, man dürfe die 80 Prozent Nutzer nicht vergessen, die zu Hause am Fernseher oder vor dem CD-Player sitzen. Er rechne damit, dass der Internetanschluss zum klassischen Fernsehgeräte kommen müsse, um die Leute abzuholen: "Das digitale Zeitalter hat gerade erst begonnen, wir sind erst am Start." Brandenburg setzt einige Hoffnung auf die Möglichkeiten von automatisierten, auf der Analyse von Signalen basierende Suche. Das Fraunhofer-Institut hatte bei der IFA seine von Magix unter der Bezeichnung Mufin Musicfinder auf den Markt gebrachte Technik AudioID vorgesellt. AudioID erlaubt, wie bei Mufin realisiert, die Zusammenstellung von Playlists ähnlich klingender Musikstücke anhand eines Referenzstückes. Dabei werden, erklärte Brandenburg gegenüber heise online, auch Elemente wie Tempo und Rhythmus ausgewertet. Anders als in früheren Entwicklungsstadien erlebe man bei der Zusammenstellung der Playlists von der eigenen Festplatte nun auch keine so großen Überraschungen mehr. Das Thema digitale Musik bescherte den Konferenzteilnehmern zum Abschluss der zweitägigen Tagung dann auch noch den klassischen Schlagabtausch zwischen einem gerade in Deutschland startenden norwegischen Musikportal und einem Vertreter der Musikbranche. Die Vorstellung von EZMO, einem Portal, dass Nutzern eine laut den Betreibern legale Möglichkeit zum Tausch von Musikstücken eröffnen will, ließ zumindest Tim Evert eher skeptisch zurück. Evert stellte bei der Konferenz selbst Celas vor, die von der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA und deren britischen Kollegin MCRS-PRS gegründete Online-Lizensierungseinrichtung für das Repertoire des Musikriesen EMI. EZMO-Gründer und CEO Petter Karal verwies darauf, das Nutzer über EZMO ihre Stücke mit sieben Freunden austauschen können. "Das entspricht deutschem Recht", meinte Karal. Dabei wird sind von Usern hochgeladene und für andere Nutzer freigeschalteten Stücke lediglich als Stream und nicht zum Download verfügbar; wer ein Stück dann selbst haben will, soll in Zukunft per "Kauf-Click" die Musik direkt in seinen eigenen Onlinebestand bei EZMO aufnehmen können. Der Vorteil des Systems, den Karal Nutzern verspricht: Die bei EZMO hinterlegte Musik lässt sich von überall her nutzen. An einem Client fürs Mobiltelefon wird gearbeitet. Nicht garantieren könne das Unternehmen allerdings, dass Nutzer hier auch Stücke einstellen, die sie selbst nicht gekauft hätten, räumte Karal ein. Zwar verpflichten die Geschäftsbedingungen die Nutzer dazu. Aber die Unterscheidung in illegale und legal erworbene Stücke könne EZMO nicht leisten. Everts Klage, dies sei die übliche Ausrede der Anbieter von Portalen, die von "User Generated Content", also von den Nutzern selbst bereitgestellter Inhalte, leben, konterte Karal mit dem Hinweis, die Musikbranche reagiere reflexhaft, sobald das Wort Sharing auftauche. Natürlich stehe es der Branche frei, nicht nur auf das bröckelnde alte Geschäft mit Musik, sondern auch auf neue Chancen für den Vertrieb zu verzichten. Karal beklagte das Desinteresse der Musikbranche, der großen Labels mehr noch als der Verwertungsgesellschaften, Verhandlungen über sinnvolle Regelungen mit einem Neuling wie EZMO zu führen. Verhandlungsangebote habe bislang erst ein Partner beantwortet, und der habe vorgeschlagen, dass EZMO sein Geschäftsmodell ändere. John Buckman, Gründer des alternativen Musikportals Magnatune und im Direktorium von Creative Commons, warnte vor dem Versuch, mit den traditionellen Labels zusammenzuarbeiten. Er empfahl Karal zwei Wege: sich entweder auf Indie-Labels zu beschränken oder gar selbst Inhalteanbieter zu werden – oder aber schlicht (und wohl nicht ganz ernsthaft gemeint), mit Piraterie groß zu werden und dann schnell sein Portal zu verkaufen, genauso wie YouTube. Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/95633/from/rss09 + Multi-Zitat Zitieren