Die Gefahr des Populismus oder Europas brüchiger Frieden

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Melcos, 14. Juni 2011 .

  1. 14. Juni 2011
    Die Gefahr des Populismus oder Europas brüchiger Frieden

    von Ian Kershaw

    Die Wirtschaftskrise ist noch längst nicht vorbei. Die Menschen bedrücken existenzielle Ängste. Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit sind weitverbreitet. Und in immer mehr europäischen Staaten feiern populistische Parteien Wahlerfolge. Welche Folgen hat das für unsere Demokratie?

    Kürzlich erklärte Baroness Warsi, Muslima und prominente Ministerin in der englischen Regierung, die Islamophobie habe in England den „Dinner-Table-Test“ bestanden. Islamfeindlichkeit gelte inzwischen nicht mehr als anstößig, sondern als völlig normal; Intoleranz und Vorurteile gegen den muslimischen Glauben und dessen Anhänger nähmen zu. Kritiker hielten der Baroness entgegen, das Verhalten von immer mehr in Großbritannien lebenden Muslimen gebe Anlass zu berechtigter Besorgnis; es sei fraglich, ob die strikte Befolgung des islamischen Glaubens sich mit den Werten westlicher Demokratien vereinbaren lasse.

    Auch wenn die Ministerin mit ihren Bemerkungen allein Großbritannien im Blick hatte, lassen sich ihre Beobachtungen zweifellos auch auf andere Länder Europas übertragen. Wenn wir dieser Kontroverse die Ressentiments gegen Immigranten hinzufügen, wie sie in vielen Teilen des Kontinents verbreitet sind, dann ist der Rassismus bei weitem nicht überwunden. Und angesichts der in diesen Ländern unheilvollen und gar nicht lange zurückliegenden Geschichte von Rassenhass und Faschismus stellt sich die Frage: Wie gefährlich ist dieser neue Rassismus? Kündigt sich in Europa ein neuer politischer Extremismus an? Deuten die Zeichen tatsächlich in diese Richtung? Ist Europa erneut auf dem Weg zu rassischer Intoleranz, gibt dies der extremen Rechten womöglich Auftrieb und beschert ihr neue Erfolgsaussichten?

    Als der Eiserne Vorhang fiel, regte sich zaghafter Optimismus. Doch nur allzu schnell verging die Hoffnung, das Ende der sowjetischen Zwangsherrschaft über den Ostblock und der nuklearen Konfrontation würde zu einer neuen Ära des Friedens, der Einigkeit und Prosperität führen. Schon in den neunziger Jahren brachte der aggressive Nationalismus in den zusammenbrechenden postkommunistischen Staaten des ehemaligen Jugoslawien Krieg und ethnische Säuberungen auf europäischen Boden zurück. Das Ende der Sowjetunion, so hatten es manche verkündet, bedeute „das Ende der Ideologie“ oder gar „das Ende der Geschichte“ – Behauptungen, die schon bald hohl klangen.

    Zu Beginn des neuen Jahrtausends musste sich Europa an die Klänge des islamischen Dschihadismus gewöhnen. Das Beben, das die Angriffe vom 11. September 2001 in den USA auslösten, ließ kein Land Europas unberührt. Der Kontinent wurde Teil des von George W. Bush erklärten „Krieges gegen den Terror“. Wie die Terroranschläge in London und Madrid zeigten, war keine europäische Hauptstadt mehr sicher vor den Selbstmordbombern. Die Furcht vor islamistischem Terror löste im öffentlichen Bewusstsein das alte Schreckgespenst der „Roten Gefahr“ ab.

    Die rasche Ausweitung der globalen Wirtschaft sowie die Integration neuer Mitgliedstaaten aus Osteuropa in die Europäische Union haben die Arbeitsmärkte inzwischen liberalisiert und ausgeweitet. Natürlich zog das ärmere Migranten auf Arbeitssuche in die reicheren Wirtschaften Westeuropas, was wiederum rasch zu gesellschaftlichen und politischen Spannungen führte – der Unmut richtete sich gegen die Neuankömmlinge. Diese mochten zwar entscheidend zum wirtschaftlichen Wachstum der reicheren Länder beitragen, dass sie im Land blieben und sich in Europas Städten – meist in den ärmeren Vierteln – ansiedelten, war unerwünscht. Viele Einheimische, ihrerseits unterprivilegiert und selbst an der Armutsgrenze lebend, wandten sich vehement gegen diese „Eindringlinge“. Sie würden, so dachte man – zumeist irrtümlich –, bei Einstellung, Wohnungssuche und Sozialfürsorge ungerecht bevorzugt. Der Boden für ein mögliches Wiederaufleben faschistischer Tendenzen war bereitet.

    2008 dann, im Gefolge der amerikanischen Bankenkrise, kam der wirtschaftliche Absturz, die schwerste Rezession seit den dreißiger Jahren. Unwillkürlich dachte man an die Bedingungen, die Hitler und den Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gebracht hatten. Europas führende Staaten mussten zur Rettung von Finanzinstitutionen kaum vorstellbare Summen aufbringen, um eine komplette wirtschaftliche Kernschmelze abzuwenden. Dafür häuften sie enorme Schulden an, die nun wiederum abgebaut werden sollen, indem man der Bevölkerung tiefe Einschnitte in öffentliche Ausgaben zumutet, was den Lebensstandard der Menschen spürbar – zum Schlechteren – beeinflusst.

    Der Euro selbst, der bei seiner Einführung 1999 als veritables Symbol europäischer Einigung galt, ist möglicherweise in Gefahr. Zeigt er doch, wie manche Ökonomen sagen, die inhärenten Risiken, die man sich einhandelt, wenn eine einzige Währung auf unterschiedliche Volkswirtschaften ausgedehnt wird, von denen einige zudem noch schwere und grundsätzliche Schwächen aufweisen. Es mussten bereits Reserven zu Rettungsaktionen für Griechenland und Irland mobilisiert werden. Portugal ist der nächste Kandidat, möglicherweise wird Belgien folgen. Sollte auch Spanien unter den Rettungsschirm flüchten müssen, könnte dies das Ende des Euro einläuten – eine Katastrophe für die Europäische Union.

    Deutschland, das mit seiner starken produzierenden Industrie von steigenden Exporten mit stetigem Wachstum profitiert, gehört wohl zu den europäischen Nationen, die gestärkt aus der Rezession hervorgehen werden. Doch selbst in der deutschen Bevölkerung herrscht unübersehbar Unmut. Die anderen, aus Sicht vieler Deutschen, „nichtsnutzigen“ Länder Europas seien auf Hilfe angewiesen, um ihre schlecht geführten Volkswirtschaften zu retten. Und natürlich stamme das Geld dazu aus Fonds, die durch harte deutsche Arbeit gefüllt worden seien. In der deutschen öffentlichen Meinung macht das große europäische Projekt von Einheit und Harmonie einer weniger idealistischen – wenn auch anderswo in Europa durchaus normalen – Betonung nationaler Interessen Platz.

    Trotz einer Krise solchen Ausmaßes, die zudem von einem unregulierten Bankensektor, vor allem von großen Investmentbanken und aus Gier und Inkompetenz verursacht wurde, ist es, möglicherweise überraschend, zu keinem politischen Erdbeben gekommen. Stattdessen hat sich die bestehende politische Ordnung – zumindest an der Oberfläche – konsolidiert. Mochten sie auch schwanken, insgesamt blieben die Regierungsinstitutionen in Europa intakt – anders als während der großen Depression der dreißiger Jahre; es kam zu keinem Zusammenbruch staatlicher Systeme wie in der Zwischenkriegszeit. Und es sieht auch nicht danach aus, als stünden faschistische oder andere extremistische Bewegungen kurz vor der Machtübernahme. Das politische Establishment hat die Krise überall in Europa überstanden – zumindest bis jetzt.

    Zugegeben, unter der Oberfläche ist die Lage alles andere als rosig. Die Kluft zwischen regierenden Eliten und Regierten ist groß. Selbst in Ländern, die weniger europaskeptisch sind als Großbritannien, betrachten die meisten Wähler die EU-Regierung in Brüssel ebenso wie das Europäische Parlament in Straßburg als weit entfernt und losgelöst von ihrem Alltagsleben.

    Die verbreitete Antipathie gegen das politische Establishment beschränkt sich keineswegs auf die Ansichten zur Europäischen Union. Auf nationaler Ebene haben die Volksparteien um ihre traditionelle Anhängerschaft und Basis zu kämpfen. Generell herrschen gegenüber der Politik eine große Entfremdung und Indifferenz. Mögen Konservative in vielen Ländern den Regierungschef stellen, nur selten können sie sich auf eigene Mehrheiten stützen; häufig werden sie lediglich von einem Drittel der Bevölkerung gewählt. Aber auch den Sozialdemokraten ist ihre traditionelle Basis weggebrochen. Der Zusammenbruch der alten Industrien (wo Sozialdemokraten vor allem ihre Anhänger fanden), der Niedergang der Gewerkschaften, der soziale und demografische Wandel, der die traditionelle Verbindung von Partei und Klassenzugehörigkeit aufgelöst hat, sowie der Verlust dessen, was auch nur entfernt an die Vision einer besseren Gesellschaft erinnern würde, haben das Potenzial der Linken geschmälert. Sozialdemokratische Parteien, einst die Herolde einer besseren Zukunft für die Unterprivilegierten, sind selbst Teil des politischen Establishments geworden, zu Managern des Status quo wie andere auch. Liberale Parteien diverser Couleur mögen als Koalitionspartner häufig an der Regierung beteiligt sein, Rückhalt und Zuspruch um ihrer selbst willen finden sie nur bei einer Minderheit.

    Hinzu kommt das weitverbreitete Gefühl, Politiker gleich welcher Richtung hätten eher ihren persönlichen Vorteil als das öffentliche Interesse im Sinn. Auch das trägt zum Gefühl der Entfremdung bei.

    Mit all dem hat die politische Volatilität zugenommen. Seit einigen Jahren öffnet sich der „politische Raum“. Populistische Bewegungen haben das genutzt, sind in dieses Vakuum vorgestoßen und haben damit die Instabilität noch erhöht. Es gibt Situationen, in denen gerade randständige Bewegungen die Demokratie stärken können. „Grüne“ Politik ist ein Beispiel dafür: Zunächst kleine Interessengruppen haben in einigen Fällen ihre Anziehungskraft ausgeweitet und wurden zu bedeutsamen Spielern im parlamentarischen System, konnten spürbar Einfluss nehmen auf die Politik anderer Parteien.

    Doch es ist zu befürchten, dass auch Bewegungen der extremen Rechten den „politischen Raum“ ausnutzen, der mit der Schwächung der gemäßigten Parteien entstanden ist. Sie könnten von den Ressentiments gegen Immigranten und Muslime profitieren – und damit die Grundlagen der Demokratie untergraben.

    Die Befürchtungen, Europa stehe erneut an der Schwelle einer Entwicklung zum Faschismus, mögen berechtigt sein, doch wird es so weit wohl nicht kommen. Damit soll die Existenz neofaschistischer und rassistischer Bewegungen in den meisten europäischen Ländern nicht geleugnet werden, ebenso wenig, dass Ressentiments gegen Immigranten geschürt werden, in manchen Fällen von Parteien, die sich als authentische „nationale“ Stimmen in der Politik präsentieren.

    Besorgniserregend ist derzeit die Lage in Ungarn. Die extrem nationalistische – manche sagen neofaschistische – Jobbik-Partei hat bei den Wahlen im vergangenen Jahr fast 17 Prozent der Stimmen erhalten, und das in einem Land, das derzeit faktisch unter einer Einparteienherrschaft der rechten Fidesz steht. Die beiden Parteien der österreichischen Rechten – denen auch einige alte und neue NS-Sympathisanten angehören – gewannen in der Nationalratswahl 2008 zusammen rund 28 Prozent der abgegebenen Stimmen; beide machten sie programmatisch Stimmung gegen die Europäische Union und Immigranten. Gleichzeitig verzeichneten die gemäßigt linke SPÖ und die konservative ÖVP Stimmenverluste. Selbst im „roten Wien“ ging die rechtsextreme FPÖ aus den Gemeinderatswahlen 2010 als zweitstärkste Partei hervor und gewann 27 Prozent der Sitze im Stadtparlament. In Italien mobilisierte die Lega Nord, Hauptpartner in Silvio Berlusconis Regierung, Stimmen, indem sie den wachsenden Unmut gegen Immigranten, insbesondere gegen Nordafrikaner, ausnutzte und zugleich die Gefahren betonte, die der „wahren“ katholisch-italienischen Kultur durch den Multikulturalismus drohten. In Belgien stand rund ein Viertel der Bevölkerung Flanderns hinter dem nationalistischen Vlaams Blok, bevor er sich 2004 selbst auflöste und als Vlaams Belang neu formierte. Allerdings ist die Zustimmung für die umbenannte Partei in jüngster Zeit auf etwa 15 Prozent gefallen, nachdem die Mitte-Rechts-Partei Nieuw-Vlaamse Alliantie die separatistische Politik zu ihrer Sache gemacht hat.

    Anderswo in Europa finden extrem nationalistische und faschistische Parteien meist nur wenig Rückhalt. In Frankreich, einem der größten und bedeutendsten Länder der Europäischen Union, hat der Front National (vor wenigen Jahren noch die drittgrößte Partei in Frankreich), extrem rechts, explizit nationalistisch und fremdenfeindlich und gewiss nicht nur leicht faschistisch getönt, nach einem zwischenzeitlichen Tief bei den jüngsten Kantonalwahlen wieder leichte Erfolge vorzuweisen. Ob der Front sich unter der neuen Führung von Marine Le Pen wieder richtig erholt, bleibt abzuwarten. In Deutschland kommt die NPD, in der sich auch Bewunderer der „guten alten Zeit“ des Nationalsozialismus aufgehoben fühlen, über den politischen Rand nicht hinaus; mit einem Stimmenanteil von bundesweit höchstens 2 Prozent hat sie keinen Sitz im Bundestag. Vor einigen Jahren noch stand die Partei vor allem in den neuen Bundesländern deutlich besser da und konnte in die Länderparlamente von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern einziehen; auch dort hat sie inzwischen an Rückhalt verloren. In Großbritannien war es der neofaschistischen British National Party (BNP) trotz ökonomischer Krise, latenter Fremdenfeindlichkeit und populärem Antiislamismus nicht möglich, bei den Parlamentswahlen 2010 auch nur einen Sitz zu erringen; zugleich verlor sie die Hälfte ihrer bis dahin gehaltenen Sitze in den lokalen Vertretungen. Selbst in einem Londoner Stadtwahlkreis, den sie dem bisherigen Labourabgeordneten abjagen wollte, indem sie den Niedergang des Viertels zum Thema machte, scheiterte die BNP und blieb in diesem Wahlgang unter 15 Prozent.

    Kurz, in keinem größeren europäischen Land scheint eine faschistische oder extrem nationalistische Partei auch nur entfernteste Chancen zu haben, die Macht zu erringen.

    Gleichwohl machen Immigranten und ethnische Minderheiten in vielen Ländern leidvolle Erfahrungen, sind gewalttätigen Übergriffen und der Diskriminierung durch Sympathisanten der rechten Szene ausgesetzt, so klein diese im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung auch sein mag. Es wird ihre Opfer nicht trösten, dass die faschistischen Schläger keine Chance haben, politisch an die Macht zu gelangen; allerdings zeigt es auch, dass faschistische Vorurteile und diskriminierende Ziele inakzeptabel bleiben und keinen staatlichen Rückhalt finden. In ganz Westeuropa sind sich die wichtigen politischen Parteien, bei allen sonstigen Differenzen, einig in der Verurteilung der extremen Rechten. Mehr noch: Die Menschen in Europa haben sich trotz akuter wirtschaftlicher Probleme nicht in bedrohlichen Zahlen von der bestehenden Gesellschaftsordnung zugunsten antidemokratischer oder autoritärer Parteien abgewandt.

    Obwohl die Krise durch das Finanzkapital verursacht wurde, blieb die Linke merkwürdigerweise mehr oder weniger in der Defensive, verlor sogar an Rückhalt und hatte, als die konservative Rechte drastische Einschnitte beschloss, keine politisch oder wirtschaftlich überzeugende Alternative zu bieten. Die nationalistischen oder neofaschistischen Politgruppen waren gezwungen, sich an den Parlamentswahlen zu beteiligen und das Risiko einzugehen, ebenfalls an Rückhalt zu verlieren. Damit kommt der diesen Bewegungen inhärente Fraktionalismus in Gang, es sei denn, sie verweigern sich generell demokratischen Wahlen und Politikformen und beschränken sich auf paramilitärische und außerparlamentarische Aktivitäten. Diese mögen widerwärtig sein, garantieren aber, dass die Rechten an den äußeren Rändern der politischen Szene bleiben.

    Vergleicht man die derzeitige Lage mit den Bedingungen im Europa der Zwischenkriegszeit, wird deutlich, warum man zuversichtlich davon ausgehen kann, dass die Demokratie nicht erschüttert werden wird. In den zwanziger Jahren war Europa ein Kontinent, der sich selbst zerrissen hatte. Der gerade zu Ende gegangene Erste Weltkrieg hatte um die zehn Millionen Menschen das Leben gekostet. Demokratie war, außer in den Ländern am westlichen Rand des Kontinents, ein zartes Pflänzchen, das, nachdem es gerade mit schmächtigen Wurzeln in unfruchtbaren Boden eingesetzt worden war, zu kämpfen hatte, um den heftigen Stürmen zu trotzen. Das Erbe von Gewalt, nationaler Erniedrigung und wirtschaftlicher Verarmung war kaum dazu angetan, einen aussichtsreichen Start in neue demokratische Verhältnisse zu ermöglichen. Während die gerade befreiten Massen sozial und ideologisch tief zerrissen waren, war es den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten gelungen, sich Macht und Einfluss weitgehend zu sichern; überall richteten sie sich entschieden gegen demokratische Erneuerung, gegen jede Schwächung ihres gesellschaftlichen und politischen Einflusses. Die russische Revolution hatte gerade erst stattgefunden, gefolgt von einem furchtbaren Bürgerkrieg mit großem Blutvergießen und heftiger rassischer Gewalt; und beides zeigte den herrschenden Eliten (wie auch den besitzenden, statusbewussten Mittelklassen) in ganz Europa, was sie erwarten würde, sollte der Bolschewismus in ihrem Land triumphieren. Auf der anderen Seite bot die Aussicht auf eine revolutionäre Erhebung in ihrem Land den Millionen, die in den linken Parteien organisiert waren, die Rückhalt hatten in der industriellen Arbeiterklasse, und den besitzlosen Armen auf dem Land, Hoffnung auf Erlösung aus ihrem Elend.

    Damit waren gerade in den Ländern, die der Krieg und seine Folgen am schlimmsten getroffen hatten, alle Voraussetzungen für nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände gegeben. Bereits ausgezehrt gerieten diese Staaten in eine Legitimitätskrise, als sich unzufriedene Massen dann noch mobilisieren ließen durch neue, gefährliche politische Parteien, hinter denen starke paramilitärische Kräfte bereitstanden, das alte System hinwegzufegen. Politische Gewalt war an der Tagesordnung. Die Aussicht auf eine autoritäre Herrschaft, die Schluss machen würde mit den Zerrissenheiten der Parteipolitik, mit deren offenbar gewordener Unfähigkeit, für Stabilität und Aufschwung zu sorgen; Schluss machen auch mit Parteien, die nicht viel mehr als die eigenen Interessen im Sinn zu haben schienen – diese Aussicht auf Neubeginn überzeugte immer mehr Menschen. Neue Führer wurden gesucht, mit eiserner Faust sollten sie die internen Kräfte vernichten, die die nationale Einheit bedrohten, sollten wieder Ordnung schaffen, den nationalen Stolz aufrichten und militärische Stärke wiederherstellen.

    Doch selbst unter solchen Bedingungen war der Übergang in ausgewachsenen Faschismus eher die Ausnahme als die Regel. In Süd- und Osteuropa hielten sich, auf die alten Eliten gestützt, zumeist reaktionäre Militärdiktaturen an der Macht – häufig mit den Insignien des Faschismus ausgestattet, manchmal auch unter Mitwirkung kleiner faschistischer Bewegungen. In der Krise der unmittelbaren Nachkriegszeit kam allein in Italien eine faschistische Partei an die Macht. In Deutschland kämpfte die Weimarer Demokratie Anfang der zwanziger Jahre ums Überleben, und es gelang ihr gerade so, die Bedrohung durch die Linke, vor allem aber durch die extreme Rechte abzuwehren, bis sie dann, ein Jahrzehnt später, unter den ganz anderen Verhältnissen der Großen Depression unterging – als eine Krise der Wirtschaft zu einer des Staates wurde, auch zu einem Kampf um die kulturelle Identität des Landes. Die darauffolgenden Schrecken sind bekannt.
    Lesen Sie im fünften und letzten Absatz des Artikels,

    Es liegt auf der Hand, dass der Faschismus nur unter ganz spezifischen Bedingungen triumphieren konnte. Selbst wenn Restbestände faschistischer Bewegungen überlebt haben und heute neu formiert werden, als politisches Großphänomen war der Faschismus zeitgebunden – Teil eines internationalen Machtkampfs zwischen liberalen Demokratien und den extremen Kräften der Linken und der Rechten.

    Die jüngste Wirtschaftskrise und die politischen Reaktionen darauf zeigen, dass Europa heute, trotz all seiner Probleme, Lichtjahre entfernt ist von den Bedingungen, die den Faschismus hervorbrachten. Statt sich, wie in den dreißiger Jahren, auf eine fatale, nationalistisch‑protektionistische Wirtschaftspolitik zurückzuziehen, konnte die Katastrophe abgewendet werden – mit internationalen, wenn auch nicht reibungslos koordinierten Plänen zur Rettung der Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich bewährt, Institutionen, die es in den dreißiger Jahren noch nicht gab, wie etwa die Europäische Zentralbank, spielten eine große Rolle bei den Bemühungen, den Zusammenbruch nationaler Wirtschaften zu verhindern. Die meisten europäischen Länder blieben stabil und durchliefen keine Legitimitätskrise. Auch wenn die Basis aller Volksparteien schwindet, führt dies in den meisten Teilen Europas nicht zu neuen mächtigen faschistoiden Parteien.

    Die feindselige Stimmung gegen Zuwanderer ist zwar unbestritten, doch seit die Regierungen begonnen haben, den Strom zu lenken, hat sich das Problem verringert. Islamophobie ist ein ernstes Problem. Zweifellos weitverbreitet, führt sie sehr leicht in ausgesprochen rassistische Denk- und Wahrnehmungsmuster. Dennoch fällt auf, dass auch die Ressentiments gegenüber Muslimen politisch eingedämmt sind. Die großen politischen Parteien dulden sie nicht. Die dem Faschismus nahen Fraktionen versuchen zwar, die Islamophobie auszunutzen, können damit aber keinen größeren politischen Durchbruch erzielen.

    Trotz allem europaweiten Wehgeschrei, trotz einiger unangenehmer Anzeichen dafür, dass der Multikulturalismus um seine Durchsetzung zu kämpfen hat, ein Ruck nach rechts außen scheint unwahrscheinlich – soweit man das derzeit sehen kann.

    Zwei Szenarien sind allerdings vorstellbar, die diese relativ optimistische Bewertung erschüttern könnten.

    Erstens: Es kommt zu einer weiteren, noch schwereren Bankenkrise, die zum Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems führt. Weit hergeholt ist das nicht. Schließlich wurden die Finanzinstitutionen, die den jüngsten Zusammenbruch verursacht haben, nicht reformiert. Relativ unbeschadet haben sie den immensen Aufruhr überlebt, den sie mit eigenem Missmanagement herbeigeführt haben. „Casino“-Banken, die die Wirtschaft an den Rand des Ruins gebracht haben, sind weiterhin intakt und könnten das gleiche Spiel ohne Weiteres noch einmal spielen. Regulationsprozeduren sind noch immer so lasch, wie sie es vor dem Zusammenbruch waren. Kommt es im Bankensektor nicht zu Veränderungen, sind weitere Katastrophen nicht ausgeschlossen. Und dann? Sind Europas finanzielle Fundamente wirklich stark genug, um eine neuerliche Krise zu überstehen? Wird noch einmal der politische Wille da sein, kollektive Rettungsaktionen einzuleiten, um mit den Banken auch die Ersparnisse, die Lebensgrundlagen von Millionen zu retten? Oder wird Europa dann wieder in zänkische Nationalstaaten auseinanderbrechen, von denen jeder unter dem Druck der eigenen Bevölkerung versuchen wird, die nationalen Interessen zu wahren, während ihn die Flut des ökonomischen Zusammenbruchs verschlingt? Die extreme Rechte gedeiht in Krisen, wenn Banken zusammenbrechen, sich die Ersparnisse der Menschen in nichts auflösen, die Wirtschaft implodiert, Millionen Arbeiter auf der Straße landen, die Regierung die Kontrolle verliert und Ärger und Wut der Massen zum ernsthaften Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung führen. Kommt es zu solch einer Krise, könnte sie der radikalen Rechten genau den Vorwand liefern, sich der „alten Ordnung“ ein für alle Mal zu verweigern, einen scheinbar attraktiven Neuanfang anzubieten und nebenbei ethnische Minderheiten und Immigranten zu Sündenböcken zu stempeln.

    Zweitens: Es kommt zu einer Serie größerer Anschläge – vielleicht unter Verwendung einer „schmutzigen“ Atombombe – in europäischen Städten. Das könnte in Europa eine Welle der Feindseligkeit gegen die muslimische Bevölkerung auslösen – auch wenn diese in ihrer überwältigenden Mehrheit aus friedlichen, gesetzestreuen und hart arbeitenden Bürgern besteht. Auch dieses Szenario böte Rechtsextremisten eine Plattform, latente Antipathie in offen rassistische Gewalt umzumünzen. (Eine andere Frage ist, ob das auch den Weg zur Macht öffnen würde.)

    Höchstwahrscheinlich – ein stilles Stoßgebet wäre gleichwohl angebracht – wird es zu keinem dieser Szenarien kommen. Sehr wahrscheinlich wird Europa so weiterwursteln wie bisher, mit den üblichen Aufs und Abs auf der politischen Bühne, doch ohne grundsätzlichen Wandel. Integration wird weiterhin nur partiell erfolgen. Dabei wäre in einer globalen Wirtschaft Zusammenarbeit durchaus notwendig; Europa wird sich, wenn es eine laute Stimme im Weltgeschehen behalten will, um größere Einheit bemühen müssen. Doch in Nationen mit so viel historischem Gepäck wirken nationale Interessen und innenpolitische Rücksichtnahmen verstärkter Integration oft entgegen. Vermutlich werden sie die weitere Integration blockieren, zumindest in absehbarer Zukunft. Langfristig wird das Europas relativen wirtschaftlichen Niedergang und Verlust an politischem Einfluss zur Folge haben.

    Quelle: Cicero

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    Ganz fair ist die Analyse bei den Franzosen und Italienern nicht, hier ist die Regierung bereits ziemlich rechts eingestellt, deshalb verwundert es auch nicht, dass dort die ganz Extremen nicht wirklich Fuß fassen konnten.

    Das erste Szenario mit der neuen Bankenkrise ist bereits im vollen Gange. Sollte es zum Zusammenbruch kommen werden die Mächtigen ihre Lösung präsentieren, wenn sie nicht ganz lebensmüde und fantasielos sind.

    Langfristig wird man nicht drum rum kommen mehrere, andere Wirtschaftssysteme zu haben, damit endlich wieder ein Wettbewerb entsteht wie vor dem Mauerfall.
    Ganz nach dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft.
     
  2. 14. Juni 2011
    AW: Die Gefahr des Populismus oder Europas brüchiger Frieden

    Dazu passt auch ganz gut der folgende Artikel und letztlich ist es das, was ich hier seit die Sarrazin Debatte begonnen hat gesagt habe. Das Ganze ist lediglich eine Ablenkung des "Pöbels" von den wirklichen Problemen, denen wir gegenüberstehen. Das Volk merkt wieder einmal nicht wie es von Politik, Banken und Wirtschaft an der Nase herum geführt wird. Stattdessen greift man rechtsradikales Gedankengut auf und versucht dies mit dem Argument - man müsse Probleme auch ansprechen können - oder - lass die Vergangenheit Vergangenheit sein - wieder im mainstream etablieren. Dieses Forum ist ein Paradebeispiel dafür.


    Europa am braunen Abgrund | Linksnet


    Europa am braunen Abgrund

    Die Krise der EU und der Aufstieg des Rechtspopulismus

    In Griechenland, Spanien und Portugal kämpfen sozialdemokratische Regierungen um ihr Überleben. Nach dem Generalstreik vom 11. Mai ist ungewisser denn je, wie lange Giorgios Papandreou die Mehrheit des Landes und der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) noch hinter sich hat. Gegen Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) - und mit ihm gegen die gesamte politische Klasse - richtet sich die Wut jener »Indignados« (der Empörten), die zu Zehntausenden in Madrid, Barcelona, Valencia und anderen Städten die öffentlichen Plätze in Besitz genommen haben, um für elementare Menschenrechte zu kämpfen: Wohnungen, Jobs, Mindestlöhne, ein Leben mit Zukunft, ohne Angst. Und in Portugal wird am 5. Juni über die Zukunft der Minderheitsregierung der Partido Socialista von José Sócrates entschieden. Sozialdemokratische Regierungen gibt es zudem noch in Österreich und Norwegen; in Irland ist die Labour Party als Juniorpartner in Regierungsämter gewählt worden - aber mehr hat die Europäische Sozialdemokratie unter den führenden Parteien Europas derzeit nicht aufzubieten.

    Ist das überhaupt relevant? Das fragen nicht nur Zyniker. Denn in den so genannten Krisenstaaten agiert die Sozialdemokratie an der kurzen Leine des Europäischen Rats, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds - Wahlen hin oder her.1 Die politischen Entscheidungen werden in Brüssel, Frankfurt und Washington getroffen - nationaler Gestaltungsspielraum nahe Null. Vehement unterstützt wird das von den GenossInnen aus Österreich, die strikte Sparpolitik fordern. Nur Norwegen ist in der Lage, sich das Schauspiel gleichsam vom Olymp seines Ölreichtums aus anzuschauen.

    Das Gegenbild zum Niedergang der Sozialdemokratie ist der Aufstieg des Rechtspopulismus.

    Im skandinavischen Osten avancierten die »Wahren Finnen« zur drittstärksten Partei; indem sie Regierungsgespräche zielgerichtet an der Frage der Zustimmung zum EU-»Rettungsfonds« im Falle Portugal platzen ließen, profilieren sie sich als zentrale Oppositionspartei zu einer Regierung, die Konservative, Sozialdemokraten, Grüne und »special interests« unter einen Hut bekommen muss.

    Noch interessanter ist die Situation in Dänemark, wo die konservative Minderheitsregierung auf die Unterstützung der rechtspopulistischen »Dansk Folkeparti« (DF) angewiesen ist. Dort spielt Europa gleich zweifach eine die Innenpolitik prägende Rolle. Zum einen mit der Entscheidung, das Schengen-Abkommen de facto aufzuheben und Grenzkontrollen wieder einzuführen - in einem Land, das bereits eines der restriktivsten Ausländergesetze Europas aufweist. Um dies durchzusetzen, musste die DF der von der Europäischen Kommission koordinierten Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre zustimmen. Ein riskantes Manöver, hatte die Partei doch bis dato die Verteidigung des bestehenden Systems der Alterssicherung auf ihre Fahnen geschrieben.

    Hier erkennt man das Muster eines »modernisierten« Rechtspopulismus: Auf Islamophobie zugespitzte Ausländerfeindlichkeit, verbunden mit einem exkludierenden - alles nicht Nationale ausgrenzenden - System sozialer Sicherung. Und beides verknüpft mit einer an Schärfe zunehmenden Ablehnung einer europäischen Integration, die bis weit in das bürgerliche Lager als eine von der Peripherie erpresste »Transferunion« wahrgenommen wird. Antisemitismus - das zeigt sich u.a. in der Neuaufstellung des Front National in Frankreich - wird zu einem nachgeordneten Element.

    Ein kurzer Blick auf die FPÖ: Die Wahlbevölkerung traut dieser Partei gegenwärtig mit knapp 30% zu, Österreich zu regieren. Im Gegensatz zu früher bekennt sich ein Großteil der Bevölkerung klar zur FPÖ, es gibt keinen Schmuddelfaktor mehr, der Parteivorsitzende Strache gilt inzwischen als seriöser, als es Haider je war. Die Leute haben genug von »denen da oben«. Rote und Schwarze reden von Gerechtigkeit und Leistung, Kampfbegriffe für die nächsten Wahlen. Aber diejenigen, die das alles zahlen, können diese Phrasen nicht mehr hören. Sollen wir den Griechen noch Geld geben? Straches Antwort: Schmeißt die Faulenzer raus. Wie bekämpfen wir die Arbeitslosigkeit? Klar - wir lassen keine Ausländer mehr rein. Und ausländische Studenten - die sollen sich auch vom Acker machen. Das geht alles nicht laut EU-Recht, weiß auch Strache, aber ohne Europäische Union ginge es viel besser.

    So hat sich eine gefährliche Gemengelage herausgebildet: Zunehmend hektischer sind die 27 EU-Regierungen von den Finanzmärkten gezwungen, auf die Bankenkrise und die massive Überschuldung vieler Euro-Staaten zu reagieren - mit einer Krisenpolitik, die in der Öffentlichkeit immer mehr als eine Politik des »Schreckens ohne Ende« wahrgenommen wird. Und gleichzeitig geraten die nationalen politischen Systeme unter Druck von Rechtsaußen. Ob in den skandinavischen Ländern, den Niederlanden, Belgien oder Frankreich: Der Einfluss rechtspopulistischer Parteien wächst. Wobei sich das Gebräu aus Europa-Skeptizismus und nationalistischer Rückbesinnung in den politischen Arenen unterschiedlich artikuliert: In Italien, Ungarn und Österreich sind Rechtspopulisten durch Regierungsbeteiligung längst hoffähig geworden. In den Niederlanden sucht die Wilders-Partei - wie die »Wahren Finnen« - eher eine Rolle außerhalb der Regierung. Das sichert ihr Einfluss, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

    Auch in den großen »Kernländern« der EU lässt sich eine deutliche Erosion der europäischen Idee ausmachen.2 Nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Wochenzeitung »Freitag« förderte zutage: Rechtspopulistisches Gedankengut trifft längst auf breite Zustimmung in der Bevölkerung.

    70% der Befragten sind der Auffassung, dass Deutschland zu viel Geld nach Europa transferiert.

    Knapp die Hälfte verlangt, dass die Zuwanderung nach Deutschland drastisch reduziert werden muss.

    38% sind der Meinung, der Islam passe nicht zum westlichen Lebensstil und sei eine Bedrohung »unserer« Werte.

    30% fordern ein »unabhängiges Deutschland ohne den Euro, in das keine Europäische Union hineinregiert«.3

    Die hohen Zustimmungswerte sind erschreckend, aber nicht überraschend. Die Ausbreitung rechtspopulistischer Anschauungen ist Ausdruck einer Destabilisierung der Lebensverhältnisse. Die Erosion der »gesellschaftlichen Mitte«4 und eine verstärkte Abwärtsmobilität in Richtung der prekären sozialen Schichten bilden den Nährboden für wachsende Verunsicherung in der »gesellschaftlichen Mitte«.

    Seit geraumer Zeit beobachten wir eine europaweite Zunahme von Ressentiments. Für die Belastung der sozialen Netze und der öffentlichen Haushalte werden Sündenböcke gesucht. Es wächst das Vorurteil, ein Teil der Gesellschaft bestehe aus Parasiten - seien es Arbeits- und ArmutsmigrantIn­nen, Faulenzer, »Sozialschmarotzer« oder ganz schlicht »Kriminelle«. Die These ist weder neu noch überraschend: Ökonomische, gesellschaftliche Umbrüche und kulturelle Modernisierungsprozesse haben den Verlust von gewohnten Milieus, von Sicherheiten und tradierten Orientierungen zur Folge. Ein möglicher Mechanismus, mit solchen Prozessen und Erfahrungen umzugehen, besteht darin, sie umzudeuten, d.h. zu nationalisieren und zu ethnisieren. Fremde, Außenseiter, sozial schwächere Gruppen dienen der Angstabwehr und der eigenen Aufwertung.5 »Jede Ausgrenzung von Gruppen, wie Sündenbock-Schemata überhaupt, basiert im Kern auf einer rechtsextremen Einstellung, da sie die Ungleichwertigkeit von Menschen im Alltag legitimiert und verfestigt. Die Legitimation von rechtsextremer Einstellung wird immer dann erfahren, wenn die Ungleichheit in der Gesellschaft ... zur Erfahrung der Ungleichwertigkeit wird. Dies gilt insbesondere und beispielhaft auch im sozioökonomischen Bereich: Jede Form von Denunziation von Arbeitslosen als zu faul, als nicht leistungsbereit, oder die periodisch auftretende Ahndung von Transferempfängern als Betrüger schafft ein Klima der Stigmatisierung und Ungleichwertigkeit, das der Nährboden für rechtsextreme Einstellungen ist.«6 Die Ausgrenzung speist sich aus dem Ressentiment gegenüber Menschen in noch verletzbarerer Position, denen die Rolle von »Verursachern« oder doch zumindest von »Verstärkern« der sozialen Probleme zugeschrieben wird.

    [...]

    Quelle: Europa am braunen Abgrund | Linksnet

    Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Richard Detje ist Redakteur von Sozialismus.

    Ref.1-19 siehe Originalquelle
     
  3. 14. Juni 2011
    AW: Die Gefahr des Populismus oder Europas brüchiger Frieden

    zu 1.:
    Muss ich gänzlich zustimmen, wir zahlen viel, zuviel. Aber trotzdem wir müssen uns der Vernatwortung unseres Landes für die EU bewusst werden. Wir sind einer der stärksten, wenn nicht sogar die wichtigste Triebfeder, der EU. Folglich haben wir uns zu kümmern!

    zu 2.:
    Die Einwanderung muss nicht "gestoppt" werden, sondern es müssen konkrete Ziele formuliert werden, was mit einer Integrationspolitik erreicht werden soll. Dies hat in 60 Jahre keine Partei geschafft.

    zu 3.:
    Ja, leider Gottes profitieren diese Parteien am rechten Rand von derartigen Geschehnissen. Meiner Meinung nach sollten die "großen" Volksparteien wieder versuchen, diese "Randgruppen" links wie rechts (SPD/CDU) abzufedern.

    GruSS _ViEcH_
     
  4. 14. Juni 2011
    AW: Die Gefahr des Populismus oder Europas brüchiger Frieden

    Problematischer als die offensichtlich rechtspopulistischen Anlaufstellen ist die Integration derer Leitmotive in die eigenen Parteiprogramme, besonders auf der konservativ gewandten Seite. Rechts macht es sich zur Aufgabe, Makroökonomie und -soziologie in den Mikrokosmos des wahlberechtigten oder zukünftig wahlberechtigten Bürgers zu tragen. Dabei gewinnen sie sehr wohl Stimmen von undifferenzierten und innerlich Integration suchenden Wählern, nehmen dem Durchschnittsbürger aber meist nicht die Scheu von einer Ummodellierung des eigenen traditionellen politischen Modells. Dies gilt insbesondere für geschichtlich belastete Staaten wie Deutschland, auch wenn das niemand gerne hören mag.

    Die Problematik gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen, liegt darin, dass Themen, die durch das Erstaufgreifen von Seiten des Rechtspopulismus dergleichen Gedankengut anhaften haben, von den libertären Parteien aufgegriffen werden - meist mehr schlecht und unbeholfen als gut und gesichert. Somit erreichen belastbare Begriffe wie Nationalismus, Xenophobie, Islamophobie und Rassismus ihren Einlauf in den gesellschaftlich mehrheitlichen Konsens. Der Mensch lebt in Ängsten, sie sind es, die ihn antreiben, sich nach bestimmten psycho-spezifischen Einflüssen zu richten. Ist im Vorhaben, die Angst nicht nur individuell, sondern summiert anzusprechen, auszurufen und forciert offenzulegen, ein Erfolg zu verzeichnen, lässt sich diese Angst ausschlachten.

    Heute heißen diese Ängste Wirtschaftskrise, geopolitischer Konflikt und Multikulturalismus. Punktuell wie Nadelstiche setzen hier die jeweiligen Informationsmaschinerien jedweder Art an, um immer spezifisch und aktuell, aber selten umfassend und andauernd - denn Aktualität heißt nicht notwendiges Vergessen, Beiseitelegen oder Verdrängen nach der Hochphase - über das eine oder das andere Thema zu berichten. Finanzkrise, Afghanistan, Sarrazin. Eurokrise, Libyen, Sarrazins Saat (oder dessen kurzfristige Wiederkehr).

    Das informations-, aktions und vertrauensbasierte Wechelswirkungsprinzip zwischen Regierungen und Regierten gerät durch die Macht, die der Faktor Angst besitzt, ins Wanken. Diese Angst ist kein Medium, dem man sich heute auf vertrauter Ebene nähern kann, weil sie genauso nutzbar ist, wie ein Erdölfeld, ein Atomkraftwerk oder ein Offshore-Park. Die Angst hat es geschafft, schafft es und wird es wohl auch zukünftig schaffen, den gemeinen Bürger mindestens stückweit, mitunter stückweise, schleichend im Ganzen Stück zu einem Instrument zu machen, auf dem gespielt wird, dessen Ton aber im Lärm des hundertfachen Orchesters aber untergeht.

    Was fehlt? Ein Dirigent. Ein Orchester voll misstönender, egozentrischer, mitunter latent sozial kontaktfähiger Spieler, die zudem unvorschriftsgemäß auf ihren Instrumenten spielen, die ihnen im ursprünglichen Sinne wie ein weiteres Körperteil, wie ein gesamt-individual initiierendes, gelten sollten, kann ohne einen gemeinsamen Fixierungspunkt, der die Vereinigung der zuerst mikro- und daran geknüpft makrodimensionaler Körper bezweckt, nicht das tun, was es eigentlich sollte. Ohne eine gemeinsame Linie, die nicht oktroyiert, sondern akzeptiert und gemeinschaftlich toleriert ist und von keinen, oder nur minimalen und vorerst vernachlässigbaren, Tendenzen widernatürlicher Art durchsetzt ist, gibt es keine gemeinsame Zukunft.

    Das EU-Gebilde wird sich aufgrund von Verlustängsten der Regierenden halten, solange, bis der lose Bund der Entscheider nicht mehr fähig ist, den notorischsten Querkopf bei der Stange zu halten - ungeachtet der Richtigkeit seiner Unvereinbarkeit mit den vereinbarten Handlungsnormen. Die Xenophobia, Fortuna für die Landung in einer von Verlust- und Existenzängsten geprägten Welt dankend, kann nur dann Einzug in das gemeine Wohnzimmer erhalten, wenn die Angst den Blick für die eigene Situation, die erwachsen seienden, erwachsenen und erwachsenden Möglichkeiten und für den soziokulturellen, mikro- wie makroökonomischen Zusammenhang verschleiert.

    Keine leichte Aufgabe, das ist wahr, aber jede Zeit braucht ihre Vorreiter. Ohne Modernisierungswillige, die resistent gegen die Assimilierung vernunftwidersprechender Leitmotive sind, kann nichts geschehen. Die Wut der Vernunft soll in ihrer erstigen Individualität und folgenden gesamtgesellschaftlichen Massentauglichkeit schöpfend wirken, um einem Prozess des Verfaulens moralischer, sozio-kultureller, libertärer, historisch bewusster und futuristisch kluger Inhalte des Menschen zuvorzukommen, Einhalt zu gebieten und destruktiv gegenüberzutreten. Man muss dem Menschen die Angst vor der Realität nehmen.
     
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