Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Master_P · 4. April 2009

{bild-down: http://www.spiegel.de/img/0,1020,1481041,00.jpg}

Hartmann steht im Graben, hüfttief, in den Händen hält er eine Schaufel und schippt Erde. Er hat ein Ziel. Waldstetten soll näher an die Welt. Hartmann gräbt sein Dorf ans Internet.

Waldstetten liegt in einem Winkel oben rechts in Baden-Württemberg. Helmut Hartmann ist der Ortsvorsteher, ehrenamtlich, in seine Zuständigkeit fallen 600 Einwohner, 210 Telefonanschlüsse und ein daumendickes Kupferkabel. "Des Kabel isch des Problem", sagt Hartmann. Es ist zu dünn. Das Dorf braucht Glasfaser, sagt er. Deshalb ist er hier mit seiner Schaufel.

Hartmann, 58 Jahre alt, ist immer in Bewegung. Wenn er spricht, bilden sich Atemwölkchen vor seinem Mund, es sieht aus, als wäre der Ortsvorsteher mit Dampf betrieben, während er sich durch den steinigen Boden arbeitet. Er sagt, für ihn sei die Arbeit ein Ausgleich zu seinem Beruf als Schuldirektor. Es ist der letzte Grabungstag, ein Samstagmorgen, mehrere Waldstettener graben mit: Schorsch fährt den Bagger, Maximilian schneidet mit einer Motorfräse den Asphalt auf, ein Anstreicher hackt, ein Klempner schaufelt, das Dorf packt an.

Andere Dörfer wollen auch Glasfaser wie Waldstetten, aber sie wollen, dass der Staat bezahlt. Hartmann wollte nicht warten auf den Staat, er war früher dran als Merkel, Steinbrück und das Konjunkturpaket. Wenn alle helfen, ist eine Gemeinschaft stark: Das ist das Hartmann-Prinzip, es klingt wie in einem Heimatfilm aus den fünfziger Jahren. Das Modell Waldstetten.

Hartmann sagt: "Du brauchsch ein Ziel für alle." Er sitzt in seinem schwarzen Mercedes, Mittagspause, und steuert auf einen Hügel zu. Oben steigt er aus dem Wagen und deutet mit dem Finger auf eine Wasserpfütze, sein Gesicht schimmert in dem braunen Wasser. Unter der Pfütze, sagt Hartmann, liegt der Anfang.

Er muss ein bisschen ausholen. Zuerst wollte Waldstetten gar kein Kabel, sie dachten über andere Möglichkeiten nach, über Richtfunkverbindungen, sie informierten sich über UMTS. Eine Firma aus Bayern bot an, das Dorf per Satellit mit dem Internet zu verbinden. Waldstetten würde eine große Schüssel auf das Dach der alten Schule bekommen, die Schüssel würde Daten an einen Satelliten funken, der sie an einen Computer in Madrid sendet. Madrid wäre Waldstettens Tor ins Internet.

Der Ortsvorsteher überlegte. Madrid, das Weltall, ein Satellit. Ihm war unwohl dabei. Was ist, wenn Wolken aufziehen? Wie oft regnet es in Madrid? Die Sache war waghalsig, zudem teuer. Hartmann schlief unruhig. Eines Nachts schreckte er hoch. Er hatte eine bessere Idee.

Die Post hatte vor vielen Jahren ein Glasfaserkabel in den Berg vor dem Dorf gelegt, ein Testkabel, kaum benutzt. Hartmann ging zur Telekom, man sagte ihm, man könne eine Abzweigung vom Glasfaserkabel ins Dorf ziehen, das koste 200.000 Euro. Hartmann zuckte. Waldstetten hat nicht so viel Geld, genau genommen hat es gar keins. Er zog wieder ab.

Hartmann ist ein Herumwälzer, er wendet ein Problem im Kopf hin und her, bis er eine Lösung hat. Die Abzweigung vom Postkabel auf dem Hügel war die Lösung des Internet-Problems, nur zu teuer, er musste das Dorf dafür gewinnen. Er verteilte Flugblätter in der Gesangsstunde, sprach in der Turnhalle über die "Technik eines Telefon- und Internet-Anschlusses" und hielt einen Vortrag zum Thema "Wie gut und wie böse ist das Internet?"

Es ist nicht so, dass bisher niemand in Waldstetten ins Internet kam. Es war nur viel zu langsam. Wenn Hartmanns Frau zu Hause am Computer nach Kochrezepten suchte, wartete sie manchmal fünf, manchmal acht Minuten, bis die Seite aufgebaut war.

Hartmann hatte bald genug Unterstützer. Er ging erneut zur Telekom. Das Dorf würde die Röhre selbst legen. Die Telekom willigte unter der Bedingung ein, dass mindestens 115 Einwohner Internet-Verträge abschließen.

Im Spätsommer vergangenen Jahres begannen sie dort zu graben, wo die Pfütze ist. Sie zogen eine Furche durch Apfelbaumwiesen, durch die Schafweide, 70 Zentimeter tief, schleppten kopfgroße Steine, zerrten an Wurzeln. Schwitzend, ächzend, damit Waldstetten der elenden Unvernetztheit entfliehen möge.

Ein Dorf, abgeschnitten, unverdorben, verbindet sich mit der Welt, es ist eine wärmende Geschichte. Hartmann gab Interviews in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen. Er ist nachdenklich geworden, er sitzt jetzt im Wohnzimmer, seine Frau hat Apfelkuchen gebacken. Hartmann hat sich in den letzten Monaten mit dem Internet beschäftigt, er sieht nicht mehr nur Vorteile.

Er sieht stattdessen, wie seine Schüler immer länger vorm Computer sitzen, allein, sie werden dicker, vielleicht auch aggressiver. Hat nicht der Amokläufer von Winnenden viel Zeit im Netz verbracht? Das Internet holt nicht nur das Gute aus den Menschen, das ist ihm beim Graben klargeworden.

Sie sind jetzt fertig, im Boden unter seinem Dorf liegt ein schwarzes Plastikrohr, durch das die Telekom bald das Glasfaserkabel mit Druckluft schießt. Waldstetten hat dann Internet. Helmut Hartmann, Schaufler, Ortsvorsteher, Schuldirektor, Problemwälzer, wird die Vernetzung nicht aufhalten, selbst wenn er wollte, er könnte es nicht mehr.

Klicke in dieses Feld, um es in vollständiger Größe anzuzeigen.

Q

Find ich klasse, dass der Hartmann das organisiert hat. Glaub ich würde da auch helfen wenn ich in sonem Dorf wohnen würde

Aber auch mal wieder ein Beispiel dafür wie weit das HS-Internet wirklich verbreitet ist.

Anzeige

creative16 · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

man könnte jetzt lange über vor- und nachteile des internets streiten, aber ungeachtet dessen hat sich gezeigt, dass etwas eigeninitiative oft auch resultate bringt.
dieses beispiel kann man wohl einen spatenstich für die globalisierung nennen...

klaxx · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Ich finde ein Spatenstick für die Globalisierung triffts ganz gut. Die anderen Dörfer könnten sich ja ein Beispiel nehmen und das selbst in die Hand nehmen.

Was für eine Eigeniniziative der Mann hat. Schuldirektor und ehrenamtlicher Ortsvorsteher(Was is das eig genau?! ).
Und für sein alter ist das richtig zu respektieren.

600 Leute ans Internet anzuschliesen woohoo^^
Ich will auch aufs Dorf hinaus mit HS-Internet

schull3 · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

es ist ja leider so das die internetanbieter sowas nicht aus eigener initiative machen .. man muss unterschriften sammeln oder anträge stellen um in einer ländlichen gegend internet zu bekommen .. wir haben damals ganze 2 jahre nach der anfrage gewartet ! kann mir gut vorstellen das schon viele eine solche idee hatten "grab ich mir doch selber das kabel ein" ... aber er hat es durchgezogen ! RESPEKT !8o

angel1502 · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

sowas verdient respekt .. nicht nur die idee zu haben sondern auch den willen un die überzeugungskraft andere dazu zu motivieren, wie oben schon gesagt wurde "Spatenstich für die Globalisierung" und es wird gezeigt "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg"

Jeffo · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Find ich richtig klasse :] .
Der Mann hat echt meinen Respekt

mr.knut · 4. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

sauber, dann immer weiter so.
die leute die es einfach machen bringen anderen den großen nachteil das man ihnen vorhalten kann es doch selbst zu machen...

enteka · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Von dem Fall habe ich auch schon gehört. Ich finde es gut, dass die Dorfbewohner die Initiative ergriffen und sich nicht vertrösten lassen haben. Eigentlich ja eine Schande, dass die Internetgesellschaft sich nicht darum kümmert, aber wenn der Berg nicht zum Propheten kommt..

Zeysto · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

So viel initiative sollte es öfters und häufiger geben. Man siehe es wird nicht immer alles mit Geld gelöst...
Ich ziehe meinen Hut vor dem Mann (auch wenn ich streng genommen nie einen trage^^)...

mfg

Zeysto

SiCkneZ · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Und? Dann haben die anderen eben Pech gehabt. Soll jeder "nichts" tun, nur, weil andere keinen Bock oder sonst was haben?

Finde die Aktion jedenfalls sehr gut. Zeigt, dass man mit Zusammenhalt sehr viel erreichen kann und nebenbei mal 200.000€ spart.

babbal · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Finds auch korrekt. Mein Bruder wohnt auch in so einem Kaff, wo kein DSL zur Verfügung steht.
Ich weiss nicht, wie er es aushält, vorher einen Ort weiter mit ner 16.ooo Leitung, jetzt ganz abgeschnitten und mit Modem online.

Der Mann, der das organisiert hat sollte einen Orden bekommen für seine Initiative.

soemjm80 · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

das ist Initiative-> Respekt , das sollte Schule machen und für
alle "noch nicht erschlossenen" Regionen als Beispiel gelten

RuPP · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

wenn ich in seinem Dorf leben wuerde. Wuerde ich tag und nacht lang arbeiten also finde das Klasse das er das macht. Respekt

Gretchen · 5. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Hartmann for Bundeskanzler! Ganz ehrlich :]

Ich würde das sofort und auf der Stelle nachmachen, auch wenn ich alleine Buddeln müsste. Aber:

So ein Kabel gibts bei uns nicht! Und wie soll ich das jetzt anstellen mit dem Highspeed Internet? Wer mir darauf eine Antwort gibt, bekommt natürlich eine BW. Im Nachbardorf ca. 1km weiter gibts 6k.

Sowas verdient echt Respekt, Leute die handeln und nicht nur heiße Luft von sich geben.

Ja, klar. Die armen, unschuldigen schwäbischen Provinzkinder werden jetzt zum Amokläufer. Nein, er soll sich keine schlimmen Gedanken machen, der Typ hat richtig gehandelt.

Naja ich hoffe bei uns gibts auch irgendwann die Möglichkeit zum Handeln.

Bis dahin
Mfg
Gretchen

SiCkneZ · 6. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Denke du hast es dir gerade selbst beantwortet oder? Nen Kilometer rum graben und es ist geschafft.

Gretchen · 6. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Jein, die einfache Idee hatte ich schon^^

Das Problem ist ja, die Verteilerstelle sitzt 5km weit Weg, u.a. hinter einem Fluss und Waldgebiet. Von da kommt ein >Kuper<kabel. Also ist das nicht so einfach... Entweder ein Verstärker oder eine neue Verteilerstelle wäre da glaube ich die Lösung, beides zu teuer für 400Seelen.

MfG

nico2008 · 7. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

ja eigeninitiative lohnt sich eben . Allerdings sollte jeder die Chance haben HS Intzernet zu bekommen aud die Dörfer, kann da nur aus Erfahrung sprechen da ich auch in nem Dorf wohne und hier nur ne lahme Leitung habe und der Anbieter keine höhere Leitung legen will.
Da müssen wir wohl auch anfangen zu graben :-D

sw33tlou · 8. April 2009

AW: Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

das nenne ich mal einsatz. ich glaube ich könnte das garnicht so ganz ohne internet.

Nützliche Suchen

Badisches Dorf gräbt sich ans Internet

Videos zum Themenbereich