Am Anfang war der Sud

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Trockeneis*, 22. Dezember 2009 .

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  1. 22. Dezember 2009
    Am Anfang war der Sud

    Von Frank Thadeusz

    Erfanden die Urzeitbewohner den Ackerbau, um sich mit alkoholischen Getränken versorgen zu können? Ein US-Forscher glaubt: Die Neigung zum Trunk sicherte dem Menschen das Überleben

    Der Sündenfall hat wohl nicht mit einem Apfel begonnen. Sehr viel wahrscheinlicher ließ eine Handvoll matschiger Feigen den Menschen vom rechten Weg abkommen. Ein Bewohner der Vorzeit klaubte das Fallobst vom Boden auf und stopfte es arglos in den Mund. Angenehm breitete sich ein bittersüßes Aroma in seinem Gaumen aus. Dann mischte sich Alkohol in sein Blut. Seither funkte sein Hirn eine neue Botschaft: mehr davon!
    Die ersten Begegnungen mit Alkohol in Form von vergorenem Obst ereigneten sich wohl noch eher zufällig. Doch einmal vertraut mit dessen Wirkung, setzte der Mensch für die regelmäßige Dröhnung alle Hebel in Bewegung, behauptet der Archäologe Patrick McGovern.
    Das Streben nach einer gesicherten Versorgung mit alkoholischen Getränken gehörte offenkundig sehr viel früher als lange angenommen zu den Grundbedürfnissen der menschlichen Gemeinschaft: Schon vor rund 9.000 Jahren, lange vor der Erfindung des Rads, rührten Bewohner des Steinzeitdorfs Jiahu in China bereits eine Art Met mit zehn Prozent Alkoholgehalt an, wie McGovern jüngst herausgefunden hat.


    Spuren von prähistorischem Honigwein

    Der Abkömmling trinkfester Iren untersuchte in seinem molekular-archäologischen Institut für "Kochkunst, fermentierte Getränke und Gesundheit" am University of Pennsylvania Museum Tonscherben, auf die Archäologen während Grabungen im Tal des Gelben Flusses gestoßen waren.
    Der rauschebärtige Wissenschaftler gilt weltweit als Experte, wenn es darum geht, Spuren von alkoholischen Getränken an prähistorischen Fundstücken zu identifizieren. Die tönernen Überbleibsel aus Asien unterzog er der sogenannten Flüssigchromatografie mit Massenspektrometrie-Kopplung.
    In den Poren der Tonsplitter entdeckte der Molekulararchäologe im Labor Reste von Weinsäure und Bienenwachs. Offenbar verrührten die Siedler im vorgeschichtlichen China Früchte und Honig zu einem berauschenden Sud.
    Phytosterole weisen überdies auf wilden Reis hin; unbeleckt von chemischen Vorkenntnissen, speichelten die nach Rausch gierenden Vorzeitmenschen im Mund offenbar Reisklumpen ein, um so die Stärke im Getreide zu knacken und in Malzzucker umzuwandeln.
    Die zerkauten Klumpen spuckten sie in die Maische. Oben auf der Brühe schwammen Spelzen und hefiger Schaum. Mit langen Strohhalmen saugten die Dürstenden den Trunk aus den dünnhalsigen Kannen. In einigen Gegenden Chinas wird bis heute auf diese Weise Alkohol verzehrt.


    Eine süffige Überlebenshilfe

    McGovern erkennt in der frühen Gärkunst eine weise Überlebensstrategie: "Energiereichen Zucker und Alkohol in sich hineinlaufen zu lassen war eine fabelhafte Lösung, um in einer feindlichen und rohstoffarmen Umgebung zu überleben."
    Die neuesten Funde aus China fügen sich lückenlos in seine Beweiskette: Rasch verbreitete sich in der Jungsteinzeit demnach das Handwerk der Alkoholmischer an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt. Schamanen und Dorfalchimisten verquirlten Obst, Kräuter, Gewürze und Getreide so lange in Kübeln, bis daraus ein süffiges Gebräu entstand.
    Damit jedoch begnügt sich McGovern nicht. Er geht noch viel weiter und versucht sich gar an einer Neudeutung der Menschheitsgeschichte (siehe Buchkasten links). Seine kühne These: Der Ackerbau und mithin die gesamte Neolithische Revolution, die vor rund 11.000 Jahren einsetzte, ist letztlich das Ergebnis des kaum hemmbaren Drangs nach Trunk und Rausch.
    "Die vorhandenen Indizien deuten darauf hin, dass unsere Vorfahren in Asien, Mexiko und in Afrika Weizen, Reis, Mais, Gerste und Hirse vor allem kultivierten, um alkoholische Getränke zu produzieren", glaubt McGovern. Auf diese Weise habe sich ♂️♂️ saufaus die nackte Existenz gesichert.


    Lange schon bewegt Archäologen die Frage, ob zuerst Brot oder Bier vorhanden gewesen sei. McGovern vermutet, dass die Urahnen zunächst noch gar nicht in der Lage gewesen waren, das recht komplizierte Verfahren des Bierbrauens zu bewältigen. Das Brotbacken aber misslang ihnen erst recht, denn das wilde Getreide ist dafür denkbar ungeeignet.
    Aufwendig mussten die Hungrigen erst die Spreu von den winzigen Körnern fummeln. Der Ertrag stand in keinem Verhältnis zur dafür nötigen Mühsal. Wenn überhaupt, backten die frühen Bäcker vermutlich kaum genießbare Stachelfladen, in denen als ungewünschte Beigabe reichlich Spelzen steckten.
    Zunächst bereicherte deshalb vermutlich ein hybrides und doch nahrhaftes Gesöff - halb Fruchtwein, halb Met - den Speiseplan der Bauern. Hingebungsvoll widmeten sich die steinzeitlichen Saufkumpane der kostbaren Flüssigkeit. In der neolithischen Ausgrabungsstätte Hadschdschi Firus Tepe im Zagros-Gebirge in Nordwestiran entdeckte McGovern vorzeitliche Weinregale, in denen die luftdicht verschlossenen Karaffen lagerten. Ihren Trank veredelten die Dörfler mit dem Harz der Atlantischen Pistazie. Die Beigabe versprach heilende Wirkung, etwa bei Infektionen, und wurde von Maladen als frühes Antibiotikum eingenommen.


    Geheimnisvolle Kerben in Weingefäßen

    Die Bewohner der Ortschaft lebten komfortabel in geräumigen Hütten aus Lehmziegeln. In den Küchen fast aller Behausungen stießen der US-Forscher und sein Trupp auf die Überreste von Weingefäßen. "Das Trinken im Dorf war kein Privileg der Reichen", glaubt McGovern. Auch die Frauen kippten reichlich mit.
    Ausgerechnet in Gefäßen aus Iran, wo heutzutage der Genuss von Alkohol mit Peitschenhieben geahndet wird, sichtete der Amerikaner die erste vorzeitliche Bierquelle. Zunächst rätselte er über den Zweck von dickbauchigen Gefäßen mit breiter Öffnung aus der prähistorischen Siedlung Godin Tepe. Die bekannten Weingefäße hingegen besaßen einen eher kleinen Ausguss.
    Ratlos war McGovern auch angesichts kreuz und quer in den Boden der Behältnisse geritzter Kerben. War er einer geheimnisvollen Inschrift auf der Spur?
    Im Labor isolierte der Gelehrte dann jedoch Calciumoxalat: Brauer kennen den Stoff als ungeliebtes Nebenprodukt der Bierherstellung. Heute filtern Brauereien die Kristalle problemlos aus dem Getränk heraus. Ihre findigen Vorreiter um 3.500 vor Christus hatten die Kerben in die 50-Liter-Kannen geritzt, damit sich die winzigen Steine dort festsetzen konnten: McGovern war auf die ersten Bierpullen der Menschheit gestoßen.


    Moderater Alkoholkonsum als Vorteil

    Auf nahe der Ortschaft gelegenen Feldern ernteten die Urbauern Gerste, die sie mit Basaltgestein zerstampften. Das gemahlene Getreide verbrauten sie zu einer beachtlichen Fülle an Sorten. Die Einwohner Godin Tepes delektierten sich an karamellsüßem Dunkelbier, bernsteinfarbenem Pils und süffigem Export.
    Etwa zur gleichen Zeit huldigten die Sumerer der Fruchtbarkeitsgöttin Nin-Harra, die ihnen als Erfinderin des Bieres galt. Ihr zu Ehren kritzelten die Schöpfer der mesopotamischen Hochkultur eine Anleitung zum Bierbrauen auf kleine Tontafeln. Grundzutat ihres Bieres war Emmer, eine Getreideart, die inzwischen beinahe gänzlich verschwunden ist.
    In den Biertrinkern der Frühzeit vollendete sich jenes Menschheitsprojekt, das torkelnde Hominiden auf der Streuobstwiese angestoßen hatten. "Für unsere frühen Vorfahren war moderater Alkoholkonsum von Vorteil, und sie haben sich biologisch daran angepasst", spekuliert McGovern.
    Dieses Erbe lastet bis heute auf den Menschen. Der Autor selbst sieht sich in dieser Hinsicht immerhin einigermaßen im Lot: Einerseits waren es seine Vorfahren, die McGoverns, die den ersten Pub in ihrer Heimatstadt Mitchell in South Dakota eröffneten. Andererseits stammt ein besonders sittenstrenger Zweig der Familie aus Norwegen - und der lehnte jeglichen Alkoholkonsum strikt ab.



    Archäologie: Heilendes Harz im Wein - SPIEGEL ONLINE
     
  2. 22. Dezember 2009
    AW: Am Anfang war der Sud

    Der Spiegelbericht war doch in der vorletzten Ausgabe? - Hatte gestern Abend noch einmal alle durchgeguckt ob ich ein paar interessante Artikel vergessen habe.

    b2t:
    Besonders Bier stärkt den Körper, wenn es in geringen Mengen konsumiert wird und macht ihn merkbar leistungfähiger, zumindest ich habe es gemerkt. Als Jugendlicher, noch nicht lang her, habe ich oft über den Durst getrunken und hatte deftig mit der Verblödung zu kämpfen. Lag wohl auch daran das ich meist den Rausch ausschlafen musste und wenig zeit für Bildung investiert hatte. Leider wird Alkohol, besonders Bier, eher abwertend und schäbig gesehen was es gar nicht ist.

    Der Spiegel ist oft lesenwert und das einzige Magazin das noch etwas Niveu besitzt. Leider einiges an Werbung und Boulevard hinzugekommen und da muss natürlich auch einiges gutes weichen.
     
  3. 22. Dezember 2009
    AW: Am Anfang war der Sud

    Schon im Mittelalter trankt man Bier um dem Körper Kraft zu geben

    Nur heute ist das wohl anders, man trinkt um sich von der psychischen Belastung zu befreien
     
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