Die Untersuchungsmethodik
Ein internationales Team, geleitet vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Leipzig, sammelte Daten von 235 Personen mit bekannten pathogenen Varianten des GRIN2A-Gens. Von diesen Proben konnten 196 verwendet werden. Von den 121 Individuen lagen klare Informationen über eine Diagnose einer psychischen Erkrankung vor. Die gesamte Analyse umfasste Menschen im Alter von einem bis 62 Jahren. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die psychiatrischen Diagnosen in erster Linie bei ursprünglich diagnostizierten Individuen, typischerweise Kindern und Jugendlichen, erfolgten – mit einem Medianalter von 12 Jahren in der Kohorte.
Ergebnisse der Studie
Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen unterteilt: 84 mit GRIN2A „Null“-Varianten, die das Gen vollständig stören, und 37 mit „Missense“-Mutationen, die das Protein zwar verändern, jedoch nicht vollständig eliminieren. Unter den Trägern von Null-Varianten hatten 23 von 84 – also 27,4 % – mindestens eine psychische Erkrankung, was angesichts des jungen Durchschnittsalters der Teilnehmer eine signifikant hohe Zahl darstellt. Zu den Diagnosen gehörten 13 Stimmungsstörungen, 12 Angststörungen und acht psychotische Störungen. Für die Gruppe mit Missense-Varianten stellte sich heraus, dass nur zwei von 37 Trägern eine psychische Störung aufwiesen. Dies zeigt, dass Null-Varianten mit einem etwa sechsmal höheren Risiko im Vergleich zu denjenigen, die nur leichte Veränderungen im GRIN2A-Gen aufweisen, assoziiert sind.
Bedeutung der Ergebnisse und Vergleich mit Populationsdaten
„Unsere aktuellen Ergebnisse zeigen, dass GRIN2A das erste bekannte Gen ist, das allein eine psychische Erkrankung verursachen kann", bemerkte Professor Johannes Lemke, der die Studie leitete. Um die Bedeutung dieses Risikos zu verstehen, verglichen die Forscher ihre Kohorte mit der finnischen Bevölkerungsdatenbank FinRegistry, die mehr als fünf Millionen Menschen umfasst. Die Analyse wurde auf die Kindheit und frühe Jugend beschränkt, da in dieser Zeit die Symptome in der GRIN2A-null Kohorte auftraten. Kinder mit Null-Varianten zeigten eine 87-fache Wahrscheinlichkeit, eine psychotische Störung zu entwickeln, sowie eine sechsfach höhere Wahrscheinlichkeit, bis zum Alter von 12 Jahren eine Angststörung zu haben. Diese Statistiken sind einige der höchsten, die jemals in der psychiatrischen Genetik beobachtet wurden.
Zusammenhang mit anderen Erkrankungen
Lemke erklärte weiter, dass bestimmte Varianten dieses Gens nicht nur mit Schizophrenie, sondern auch mit anderen psychischen Erkrankungen assoziiert sind. Überraschenderweise traten diese Störungen im Zusammenhang mit einer GRIN2A-Veränderung bereits in der Kindheit oder Jugend auf – was im Gegensatz zur typischen Manifestation im Erwachsenenalter steht.
Neurologische Aspekte und therapeutische Ansätze
GRIN2A-Mutationen sind seit langem mit Epilepsie, geistiger Behinderung oder Sprachstörungen bei Kindern verknüpft. In dieser Studie wurde jedoch festgestellt, dass sechs Individuen mit GRIN2A-null-Varianten keine Vorgeschichte von neurologischen Erkrankungen hatten, aber trotzdem eine psychiatrische Störung aufwiesen. Dieses Gen spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der elektrischen Erregbarkeit von Nervenzellen. Einige Varianten führten zu einer verminderten Aktivität des NMDA-Rezeptors, was entscheidend für die Signalübertragung im Gehirn ist.
Um die Symptome der Betroffenen zu lindern, testeten die Forscher hochdosiertes L-Serin, ein Supplement, das vom Gehirn in einen natürlichen Aktivator des NMDA-Rezeptors umgewandelt wird. Alle vier Personen mit GRIN2A-null-Mutationen zeigten Verbesserungen – Halluzinationen und Paranoia verschwanden, während einer der Probanden weniger Anfälle hatte. Es bedarf jedoch weiterer Studien, um zu klären, ob L-Serin eine wirksame Behandlungsoption darstellt.
Fazit und Ausblick
Obwohl psychische Erkrankungen nicht alle auf GRIN2A-Varianten zurückzuführen sind, zeigt diese neue Forschung doch, dass es möglich ist, eine Erkrankung auf ein einzelnes Gen zurückzuführen. Die Ergebnisse plädieren für eine frühzeitige genetische Testung im Kindesalter, um das Risiko für psychische Erkrankungen besser einschätzen zu können.
Die Studie wurde im Fachjournal Molecular Psychiatry veröffentlicht.
Quellen: Universität Leipzig Medizinisches Zentrum