#1 11. Oktober 2007 Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass trotz gegenläufiger Urteile des Berliner Amts- und Landgerichts die "überwiegende Anzahl" der Bundesministerien und nachgeordneter Behörden IP-Adressen der Surfer aufbewahre. Es gebe Gründe für die Speicherung von Daten, betonte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier (CDU), am gestrigen Mittwoch auf Anfrage der Grünen im Bundestag. "Sie wird zum einen unter Sicherheitsgesichtspunkten zur Ermöglichung effizienter Reaktionen auf Angriffe aus dem Internet für erforderlich gehalten." Dies empfehle etwa das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Unter Statistikgesichtspunkten diene die Vorhaltung der Netzkennungen über nicht genannte Zeiträume zur Feststellung, "wie das Internetangebot angenommen wird und welche Themenbereiche besonders gefragt sind". Nur so könnten auch häufige Anfragen von Parlamentariern zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Webpräsenzen beantwortet werden. Allein das Bundesjustizministerium, gegen das sich die Entscheidung der Berliner Gerichte konkret richtete, und das Bundesforschungsministerium haben laut Altmaier die Speicherung gestoppt. Das bedeute ganz konkret etwa bei Ersterem, "dass dort derzeit weder IP-Adressen noch andere personenbezogene Daten der Personen protokolliert werden, welche die Internetseite dieses Ministeriums aufrufen". Im Geschäftsbereich des Justizministerium würden Netzkennungen derzeit aber noch beim Bundesgerichtshof, beim Bundesfinanzhof, beim Bundesverwaltungsgericht, beim Bundespatentgericht und beim Deutschen Patent- und Markenamt für die Abrechnung kostenpflichtiger Internetangebote beziehungsweise für die genannten statistischen Zwecke protokolliert. In welcher Weise sich die Rechtsprechung auf diese Praxis auswirke, werde zurzeit einzeln in eigener Verantwortung der Behörden geprüft. Dies gelte auch für alle anderen Ressorts der Bundesregierung und deren nachgeordnete Bereiche. Altmaier äußerte sich auch zur gleichzeitig mit den Berliner Urteilen bekannt gewordenen "anlassbezogenen Speicherung von IP-Adressen" von Besuchern der Internetseite des Bundeskriminalamtes (BKA) über die "militante gruppe". Generell beruhe ein solches Verfahren als "erste Ermittlungsmaßnahme durch das BKA" auf der kriminalistischen Erfahrung, "dass sich Täter insbesondere bei Straftaten, die ein großes öffentliches Interesse geweckt haben, regelmäßig über den Fortgang der Ermittlungen informiert haben". Nur in solchen Fällen bewahre die Strafverfolgungsbehörde die Netzkennungen unter Berufung auf die allgemeine Ermittlungsbefugnis aus den Paragraphen 161 und 163 Strafprozessordnung auf. Diese Rechtsauffassung werde von der Generalbundesanwaltschaft laut einem Vermerk vom 4. April 2005 gestützt. Das BKA sei im Verantwortungsbereich der Bundesregierung die einzige Behörde, die so verfahre. Wolfgang Wieland von den Grünen wollte von dem Regierungsvertreter daraufhin wissen, ob der Bürger auf dem Weg zum E-Government beim Kommunizieren mit Behörden eigentlich noch Vertrauen haben könne. Jeder Surfer müsse ja schon jetzt befürchten, dass er, "wenn er beim BKA auch nur nachsieht", weitere Ermittlungsschritte auf sich lenken könne. Altmaier glaubt dagegen nicht, "dass irgendein Internetangebot staatlicher Stellen als Lockvogelangebot bezeichnet werden kann". Vielmehr halte er es für nachvollziehbar, dass man in "einzelnen, abgegrenzten Fällen zu ermitteln versucht, wer hinter einer bestimmten IP-Adresse steht". Die Regierung gehe davon aus, dass diese Praxis "auf einer einwandfreien Rechtsgrundlage beruht". Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, legte das "Geständnis" ab, sich nach den Auseinandersetzungen um den G8-Gipfel auch für die Internetseite zur "militanten gruppe" interessiert zu haben. Sie wollte wissen, ob sie nun auch zu den Verdächtigen zähle oder beim BKA als gefährliche Linksextremistin gespeichert sei. "Da Sie nach allen mir bekannten Informationen bei den Vorgängen in Heiligendamm nicht im Umfeld krimineller Handlungen, sondern sehr wohl staatstragend in Erscheinung getreten sind, können Sie davon ausgehen, dass Sie weder beim BKA noch irgendwo sonst als Verdächtige geführt werden", versuchte Altmaier die Innenexpertein aber zu beruhigen. Der grüne Geheimdienstexperte Hans-Christian Ströbele hakte derweil bei Berichten über das Abhören von Internet-Telefonaten unter anderem durch das Zollkriminalamt (ZKA) nach, bei dem angeblich ähnliche Verfahren wie vor einer heimlichen Online-Durchsuchung eingesetzt worden sein sollen. Ein solcher Zugriff sei aber von einer Bundesbehörde aus nicht erfolgt, beschied Altmaier. Insbesondere habe das ZKA nicht "mithilfe eines Trojaners" auf Festplatten von Bürgern zugegriffen. Die Überwachung von verschlüsselt geführter Internet-Telefonie könne technisch in einer Weise erfolgen, dass eine nicht näher spezifizierte Schnüffelsoftware auf dem Endgerät eines Teilnehmers installiert werde. Diese ermögliche es, die Telekommunikation vor der Verschlüsselung an die Überwachungsstelle auszuleiten. Nur auf diese Weise können derzeit kryptierte VoiP-Gespräche überwacht werden. Altmaiers Erläuterungen decken sich mit den Angaben des bayerischen Landeskriminalamtes. Die Maßnahmen des ZKA seien auf Antrag einer Staatsanwaltschaft durch Gerichtsbeschluss angeordnet und dabei auf die allgemeine Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung gestützt worden. "Umfasst war von der Anordnung ausdrücklich die Übertragung einer Software auf das Endgerät des Beschuldigten", betonte der Staatssekretär. Auf welchem Wege die Spionagekomponente auf den Zielrechner gelangte, erläuterte er nicht. Die Prüfungen und Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung zu der Frage, ob die bestehenden und zur Anwendung gelangten gesetzlichen Regelungen zur so genannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung "eine Präzisierung" erfahren sollten, seien zudem noch nicht abgeschlossen. In der SPD gibt es Stimmen, die hier eine zusätzliche Rechtsgrundlage für nötig halten. (Stefan Krempl) / (anw/c't) Quelle:http://www.heise.de/newsticker/meldung/97243 + Multi-Zitat Zitieren