#1 29. August 2007 Dagmar Reim hat die Digitalstrategie der ARD gegen heftige Kritik aus Wirtschaft und Politik verteidigt. "Es kann nicht sein, dass alle anderen sich publizistisch aufmachen können ins Internet, nur wir nicht", sagte die Intendantin des RBB bei der Eröffnung des Medienforums Berlin-Brandenburg am heutigen Mittwoch in der Hauptstadt. Zugleich kündigte sie an, dass die Pläne wie angekündigt teilweise bereits im Rahmen der IFA im Lauf der Woche umgesetzt würden. So starte die ARD etwa mit einer Mediathek, in der sich "jeder Gebührenzahler" künftig unabhängig von Zeit und Raum die Tagesschau oder Fernseh-Dossiers anschauen könne. Es handle sich dabei um ein "programmbegleitendes Angebot", betonte Reim. Der Durchschnittszuschauer der ARD sei zwar 60 Jahre alt, doch der Sender wolle jüngere Zielgruppen gerade über die neuen Verbreitungswege wie Internet oder Mobilfunk ansprechen. Dass der öffentlich-rechtliche Sender für seine "vermeintliche Offensive" bereits derart viel Prügel einstecken musste, ist Reim nicht erklärlich. Da gäbe es nun "ein paar Audios und Videos im ARD-Netz – und schon bekommen Spiegel Online und Süddeutsche.de Muffensausen", meinte die Intendantin. Die Öffentlich-Rechtlichen würden sich dagegen nicht darüber beklagen, dass Verleger "kleine, nette Videos zeigen und Artikel als Audios ins Netz stellen". Radio und Fernsehen würden also viele ausprobieren wollen – und zwar "ohne dass ihnen Landesmedienanstalten dabei etwas sagen". Letztlich sei dagegen im momentanen Stadium wenig einzuwenden, denn "das Internet gehört allen". Die ARD könne ihren Verfassungsauftrag "nur dann erfüllen, wenn uns die Verbreitungswege genauso offen stehen wie allen anderen". Die private Konkurrenz hätte es der RBB-Chefin zufolge gern, "wenn wir mit dickem Schwarz-Weiß-Fernseher unterwegs wären", während man selbst etwa mit dem Handy-TV punkte. Gegen eine solch enge Auslegung des Auftrags der "Grundversorgung" wehrte sich Reim: "Wir machen nicht Dosenbrot für Bundeswehrangehörige, sondern Information, Aktualität und Unterhaltung." Dabei gehe es nicht um eine sinnlose Expansion. Vielmehr "verbreiten wir das, was wir ohnehin machen, auf neue Weise". Zugleich betonte die Intendantin, den Mehrwert der Öffentlich-Rechtlichen in Form eines "Public Value" herauszustellen. "Wir sind der Versuch einer Schadensbegrenzung", stichelte sie mit einer Anleihe bei Jürgen Habermas insbesondere gegen den gegenwärtigen Renditekurs und die Einsparungen bei Nachrichtensendungen bei ProSiebenSat.1. Bei der ARD werde nicht das Rennen um ein paar Prozent mehr Gewinn groß geschrieben, sondern "Inhalte" und das Programm stünden im Vordergrund. "Der öffentlich-rechtliche Grundverordnungsauftrag richtet sich nicht darauf, was möglich ist", hielt Tobias Schmid, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL Television. und Vizepräsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) dagegen. Die Öffentlich-Rechtlichen "könnten sicher gute Zeitungen produzieren, es ist aber eben nicht ihr Auftrag". Keiner streite ab, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in neuen Verbreitungswegen stattfinden werde. Dies rechtfertige aber "keinen einzigen neuen Inhalt", sondern nur die Wiedergabe der alten in neuer Form. Der Vorsitzende der Medienkommission des SPD-Parteivorstands, Marc Jan Eumann, sprach von einem "Eifersuchtsdrama zweier Qualitätsinstitutionen in Deutschland". Sowohl der öffentlich-rechtliche als auch der private Rundfunk sind führ ihn beide wichtige Faktoren für die Demokratie in Deutschland. Zugleich erinnerte er daran, dass die Veranstalter von Radio und Fernsehen hierzulande eine öffentliche Aufgabe erfüllen müssten, "was nicht automatisch mit den Renditevorstellungen von Fonds korreliert". Investmentfirmen wie den neuen ProSiebenSat.1-Eignern Permira und KKR warf er vor, "zuviel Geld aus dem System zu nehmen". Das reiche nicht für Qualität. Eumann verteidigte daher einen Vorschlag der SPD, wonach sich ausländische Investoren nur noch mit 25 Prozent hierzulande an Medienunternehmen beteiligen dürften. Presse und Rundfunk könnten "nicht den üblichen Marktregeln übergeben werden". Eine zentrale Medienanstalt der Länder solle zudem die Kompetenzen der Medienregulierer bündeln und offene Standards im Digital-TV durchsetzen. Die Vorstöße der Sozialdemokraten zum künftigen Umfeld für Medieninvesteure hielt David Liddiment, Kreativdirektor bei der unabhängigen, auch in Deutschland investierenden britischen Fernsehproduktionsfirma All3Media, für inkonsequent: "Sie können keinen halben Markt haben, entweder einen ganzen oder keinen", gab er zu bedenken. Götz Mäuser, Partner der Frankfurter Permira Beteiligungsberatung und damit zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von ProSiebenSat.1, beteuerte dagegen, dass "Investoren bei uns nichts zu sagen haben". Die Beteiligungen würden von seinem Haus direkt geführt, die 28 beteiligten Partner seien zudem alle im Internet mit Telefon und Adresse aufgelistet. Die Frage nach Hintermännern erklärte der Manager damit für zwecklos. Als Möglichkeiten zur weiteren Wertschöpfung nannte er den mit der Übernahme der europäischen Senderkette SBS Broadcasting eingeschlagenen Internationalisierungskurs sowie die Erschließung neuer Einkommensquellen jenseits von Werbeerlösen. Dass ProSiebenSat.1 nun auf einem Schuldenberg von rund drei Milliarden Euro sitzt, sieht Mäuser angesichts von Reserven beim Eigenkapital nicht als Problem: "Ein transformatorischer Schritt ist nicht umsonst zu haben". "Ganz schön steil, was sie da machen", kommentierte Reim den Ansatz der "Heuschrecke". Medienunternehmen würden Information vertreiben, und diese seien "keine Ware wie Jeans oder Butter". Konstantin Urban, Vorstandssprecher von Holtzbrinck Networks, erläuterte derweil den Ausweitungskurs traditioneller Verleger im Netz. Holtzbrinck will demnach mit Internetplattformen wie Parship oder StudiVZ am Wachstum des Internetmarktes partizipieren, die Netzangebote aber lieber "losgelöst vom Stammgeschäft" im Printbereich betrachten. Für sein Haus könne er sich vorstellen, in den kommenden Jahren 500 oder 600 Millionen Euro zu erzielen. "Mehrwert" im Internet heißt für Urban, dem "Kunden das zu bieten, was er sucht". Für die Nutzer sowie die Werbekunden, Aktionäre und Mitarbeiter "die besten Werte zu erbringen", hat sich auch Terry von Bibra, Geschäftsführer von Yahoo Deutschland zum Ziel gesetzt. Zählen würden dabei nur die Inhalte, nicht, welcher Inhaber einer Plattform dahinter stehe. (Stefan Krempl) / (jk/c't) Quelle:http://www.heise.de/newsticker/meldung/95134 + Multi-Zitat Zitieren