Ausgangslage und Forschungsbasis
In den vergangenen 20 bis 30 Jahren hat die Jugendkriminalität in vielen Industrieländern drastisch abgenommen. Dieses Ergebnis ist das Resultat umfangreicher Studien von Kriminologen wie Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut sowie Robert Svensson von der Universität Malmö. Polizeidata – auch Dunkelfeldbefragungen – wurden gründlich analysiert. Eigentumsdelikte erfahren einen größeren Rückgang als Gewaltdelikte – doch auch diese zeigen einen gesunkenen Trend. Früher war das Deliktsaufkommen bei Jungen signifikant höher als bei Mädchen. Der Unterschied hat sich verringert; Jungen verüben weniger Straftaten.
Ein aufschlussreicher Satz aus der Untersuchung bringt es prägnant auf den Punkt: „Jugendliche haben Besseres zu tun, als kriminell zu sein.“ Dieser Rückgang ist eng verknüpft mit einem veränderten Freizeitverhalten. Die Jugendlichen treffen sich seltener im öffentlichen Raum oder in Kneipen und trinken weniger Alkohol. Stattdessen verbringen sie mehr Zeit am Computer oder mit ihrem Smartphone – eine engere Aufsicht der Eltern wirkt zusätzlich als präventiver Faktor. Auch die Schule hat an Wert gewonnen. Die Bedeutung von Bildung ist gestiegen. Es gibt einfach Wichtigeres, als sich mit Kriminalität zu befassen.
Eigentumsdelikte versus Gewaltdelikte und der Geschlechteraspekt
Der Rückgang bei Eigentumsdelikten? Höher als bei den Gewaltdelikten. Doch auch hier sind positive Entwicklungen zu verzeichnen. In der Vergangenheit war die Kriminalitätsrate unter Jungen deutlich ausgeprägter. Heute ist das Bild differenzierter. Männliche und weibliche Jugendliche nähern sich in ihrer Kriminalitätsrate. Der positive Trend zeigt auf, dass sich die Situation für Jugendliche insgesamt erleichtert.
Ursachenfokus: Freizeit, Bildung und elterliche Kontrolle
Der Rückgang der Jugendkriminalität kann auf Veränderungen im Freizeitverhalten zurückgeführt werden. Ein Zusammenhang ist hier klar: Weniger Treffen im öffentlichen Raum und weniger Kneipenbesuche prägen das Leben junger Menschen. Zudem konsumieren sie weniger Alkohol. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Kriminalitätsstatistik. Außerhalb der Familie und Schule beziehen Jugendliche heute wesentlich mehr Zeit auf digitale Medien. Hier ist zudem eine neue Elterngeneration aktiv, die stärker auf die Aktivitäten ihrer Kinder achtet. Die Schule hat ebenfalls einen höheren Stellenwert. Bildung wird als wichtiger erachtet denn je.
Seit 2015: Ein leichter Anstieg und erste Deutungen
Obwohl die letzten Jahre einen signifikanten Rückgang der Jugendkriminalität zeigten, gibt es seit 2015 Zeichen für einen leichten Anstieg. Erste Daten deuten an, dass der Trend möglicherweise stagniert oder sich sogar umkehrt. Der geringe Anstieg vermag die starken Rückgänge der letzten Jahrzenten nicht auszugleichen. Die Ursache für diese Veränderungen bleibt ungewiss. Ein Zusammenhang mit einem Migrationshintergrund ist nicht zweifelsfrei beweisbar. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik von 2024 liegt der Anteil der nicht-deutschen, straffälligen männlichen Jugendlichen über dem von deutschen Jugendlichen. Darüber hinaus spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Oftmals erfolgt eine häufigere Anzeige aus Gründen der Kontrolle. Die Statistiken zeigen, dass in 70 Prozent der Verdachtsfälle auf eine Anklage verzichtet wird. Die Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik zur Kriminalitätslage bleibt also begrenzt.
Bleibeperspektive, Integration und Perspektiven der Analyse
Das Vorhandensein einer Bleibeperspektive beeinflusst das Verhalten von Jugendlichen nicht automatisch, so der Experte Oberwittler. Es besteht jedoch ein erkennbarer Zusammenhang: Ohne Bleibeperspektive fehlt der Anreiz zur Gesetzestreue – eine zentrale These der Untersuchung. Der Anteil von Strafverdächtigen aus nordafrikanischen Ländern lag 2024 unter 4 Prozent. Die Gesamtumstände sind tiefgründig und multifaktoriell. Mehrere Einflussgrößen erweisen sich als entscheidend in ihrer Gesamtbetrachtung.
Verrohung der Sprache und neue Gewaltdynamiken in Schulen
Bernd Holthusen vom Deutschen Jugendinstitut in München bestätigt den Langzeittrend des Rückgangs der Jugendkriminalität. Dennoch ist seit Ende der Corona-Pandemie ein Anstieg zu registrieren, besonders bei den Jungen unter 14 Jahren. Das Risiko, an Real- und Mittelschulen bei einem Raufunfall verletzt zu werden, ist drei- bis viermal höher als an Gymnasien. Es gibt zudem eine kleine Gruppe Intensivtäter, die häufiger straffällig wird. Die durch die Pandemie verursachte Distanz hat dazu geführt, dass viele Kinder gewaltfreie Konfliktlösungsmethoden nicht erlernten. Verrohende Sprache in sozialen Medien fördert den Eindruck: Der Stärkere setzt sich durch. Für die betroffene Gruppe sollten spezifische Schulungen zur gewaltfreien Konfliktbewältigung angeboten werden – Präventionsmaßnahmen waren in der Vergangenheit erfolgreich und führten zu einem signifikanten Rückgang der Jugendkriminalität von 2007 bis 2015.
Ausblick und Fazit
Die Abnahme der Jugendkriminalität bleibt stabil; dennoch sind neue Muster zu erkennen. Es bedarf langfristiger Strategien von Politik und Bildung. Die Diskussion bleibt spannend – die Datensituation erfordert eine gewissenhafte Interpretation. Die Herausforderung bleibt klar: Es gilt, Prävention weiter auszubauen und Konfliktbewältigung von Beginn an zu fördern.