Ergebnisse der Forschung an der IBS
Wissenschaftler des Institute for Basic Science (IBS) in Südkorea entdeckten, dass anhaltender Stress die Art und Weise verändert, wie Proteine im medialen präfrontalen Kortex (mPFC) mit Sialinsäure – einem Zucker-Molekül – versehen werden. Diese Zuckerketten, bekannt als Glykane, werden nach der Synthese von Proteinen angeheftet. Dieser Prozess wird als Glykosylierung bezeichnet. Glykosylierung ist nicht neu. Ihrer Wirkung auf die Krebsentwicklung wurde viel Beachtung geschenkt. Jüngste Forschungen konzentrierten sich auch auf neurodegenerative Erkrankungen.
Ein spezifischer Typ von Glykosylierung ist die O-Glykosylierung. Sie ermöglicht es Zuckermolekülen, sich an Sauerstoffatome bestimmter Aminosäuren in einem Protein zu binden. Diese molekulare „Zuckerschicht“ nimmt eine zentrale Rolle bei der Regulierung der neuronalen Verbindungen ein. Lange Zeit blieb diese Thematik in der psychischen Gesundheitsforschung unbeachtet. Jüngste Erkenntnisse zeigen jedoch, dass Stress diese Zuckermuster stören kann. Es verknüpft die Gehirnzellen-Kommunikation neu.
Die Rolle von St3gal1 in der Stressreaktion
In dieser Studie identifizierten die Forscher ein einzelnes Enzym namens St3gal1. Es führt den letzten Schritt der „Zucker-Beschichtung“ durch. Dieser kleine, aber bedeutende Schritt beeinflusst die Lebensdauer der Proteine und ihre Interaktion an den Synapsen. Und wenn dieser Prozess gestört ist, scheint es, dass dies depressive Verhaltensweisen auslösen kann. Zu diesem Zweck verwendeten die Forscher hochleistungsfähige Massenspektrometrie, um die Muster der O-Glykosylierung in neun Hirnregionen gesunder Mäuse zu kartieren.
Jede Region hatte eine eigene Zuckersignatur. Diese spiegelt den spezifischen zellulären Bauplan wider. Ein Vergleich mit den Daten von chronisch gestressten Mäusen offenbarte signifikante Unterschiede im präfrontalen Kortex, einem Gebiet, das mit der Regulierung der Stimmung verknüpft ist. Stress führte hier zu einer auffälligen Reduktion dieses entscheidenden O-Glykosylierungsprozesses und schloss die Expression von St3gal1 ein.
Das vollständige Ausschalten von St3gal1 in gesunden Mäusen führte zu depressiven Symptomen. Dabei kam es zu einem Verlust an Motivation und gesteigerter Angst. Andererseits zeigte sich bei einer Steigerung von St3gal1 in gestressten Mäusen eine gegenteilige Wirkung und das Verhalten besserte sich. Dies belegte die Schlüsselrolle des Enzyms in der Stressreaktion des Gehirns.
Folgen für die Diagnostik und Therapie
Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass St3gal1 dafür zuständig ist, die Zuckermarkierungen auf Neurexin-2 zu bewahren. Neurexin-2 ist ein Protein, das die Kommunikation zwischen Neuronen unterstützt. Bei gestressten Mäusen verschwanden diese Markierungen. Das führte zu einem Verlust der normalen neuronalen Signalübertragung. Das Wiederherstellen von St3gal1 brachte die Zuckermarkierungen zurück.
Boyoung Lee, Forschungsmitarbeiterin, erläuterte: „Diese Studie zeigt, dass abnormale Glykosylierung im Gehirn direkt mit dem Ausbruch von Depressionen verbunden ist.“ Dies könnte den Weg für die Identifizierung neuer diagnostischer Marker und therapeutischer Ziele jenseits von Neurotransmittern ebnen.
C. Justin Lee, Direktor des IBS, fügte hinzu, dass Depressionen eine erhebliche soziale Last darstellen. „Trotzdem bleibt die Auswahl an aktuellen Behandlungen begrenzt.“ Die bisherigen Antidepressiva beeinflussen die Serotoninwerte – sei es durch eine Erhöhung oder durch Veränderungen im Signalverkehr. Allerdings gibt es Hinweise, dass es nicht nur an einer Über- oder Unterproduktion von Serotonin liegt.
Unterschiede zwischen Geschlechtern
Interessanterweise zeigten weibliche Mäuse, die chronischem Stress ausgesetzt waren, Verhaltensänderungen. Ihre St3gal1-Werte blieben jedoch unverändert. Das legt nahe, dass Männchen und Weibchen unterschiedliche molekulare Pfade nutzen, um mit Stress umzugehen. Dies eröffnet den Wissenschaftlern eine weitere Forschungsrichtung.
Obgleich die Ergebnisse nur bei männlichen Mäusen belegt wurden – und die neuronalen Netzwerke beim Menschen weitaus komplexer sind – bietet diese Forschung neue Perspektiven für die Untersuchung von Depressionen und deren Behandlung.
Fazit und Ausblick auf die Forschung
Das erworbene Wissen könnte nicht nur zur Therapie von Depressionen, sondern auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen und Schizophrenie helfen. Zukunftsweisende Therapieansätze können den Einfluss auf die Psychotherapie verbessern. Der Weg zur Aufklärung der biologischen Mechanismen hinter psychischen Erkrankungen ist lang. Die Ergebnisse dieser Forschung legen jedoch den Grundstein für potenzielle neue Behandlungsmethoden und therapeutische Strategien.
Quelle: Science Advances