Bin Laden-Bush, recht nette Bilanz

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von r0l!n9, 10. November 2007 .

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  1. 10. November 2007
    Fast hat man ihn abgeschrieben, so sehr ist das Bild Osama bin Ladens in letzter Zeit verblasst. Seinen jüngsten Videobotschaften fehlt die Verve des islamischen Kreuzzüglers. Stattdessen beklagt er die mangelnde Begeisterung der Muslime für den Märtyrertod, tadelt seine Anhänger im Irak und dient sich religionsübergreifend als Vorkämpfer gegen Kapitalismus und Klimawandel an. Vom »Terrorpaten« zum »Trittbrettfahrer« – so wurde sein Werdegang beschrieben.

    Mag sein, dass bin Laden inzwischen mehr mit dem eigenen Überleben als mit strategischen Vorgaben an al-Qaida beschäftigt ist. Aber man kann sich den Mann dieser Tage lebhaft vorstellen, wie er, mehr oder weniger komfortabel versteckt, die aktuellen Nachrichten zur Kenntnis nimmt: Selbstmordattentate in Afghanistan; eine drohende türkische Invasion im Nordirak; ein drohender amerikanischer Militärschlag gegen die potenzielle Atommacht Iran. Und, als aktuelle Zugabe, eine reale Atommacht Pakistan, deren angeschlagener Militärdiktator Pervez Musharraf mit der Ausrufung des Notstands jene militanten Islamisten befeuert, die er mit US-Hilfe bekämpfen soll.

    Sechs Jahre nach 9/11 dürfte bin Ladens Zwischenbilanz so ausfallen: Das »Imperium der Ungläubigen« reibt sich in zwei islamischen Ländern, Irak und Afghanistan, militärisch und politisch auf; in einem dritten Land, Iran, könnten demnächst amerikanische Bomben eine neue Welle des Antiamerikanismus provozieren. Und im vierten Land, Pakistan, wackelt der »amerikanische Statthalter« Musharraf, den al-Qaida ebenfalls für vogelfrei erklärt hat.

    Aus Osama bin Ladens Sicht laufen die Dinge nicht so schlecht.

    Und wie geht es seinem Erzfeind?

    George W. Bushs Popularitätswerte sind in den vergangenen zwei Jahren in den Keller gerutscht. Seine Amtszeit geht in 13 Monaten zu Ende. Seine Berater verlassen, einer nach dem anderen, ihre Stellungen im Weißen Haus. Zwei von drei Amerikanern lehnen den Irakkrieg inzwischen ab; die amerikanische Presse kommentiert die Krise in Pakistan als weiteren Beweis für Bushs gescheiterte Strategie im »Kampf gegen den Terrorismus«.

    Das ficht den Mann allerdings nicht an. Aus Bagdad melden seine Generäle weniger tote US-Soldaten, weniger tote Zivilisten und mehr tote Terroristen – oder solche, die dafür gehalten wurden. An der Heimatfront genehmigen die Kongressmitglieder zähneknirschend Haushaltszuschläge für den Krieg im Irak; im Kampf um seine Nachfolge überschlagen sich die »republikanischen« Kandidaten mit martialischer Rhetorik gegen das iranische Mullah-Regime und den »Islamo-Faschismus«. Währenddessen empfängt Bush im Weißen Haus abwechselnd besorgte europäische Regierungschefs, die seine Pläne in Sachen Iran erraten wollen, und neokonservative Intellektuelle, die ihm einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern verheißen: als weitblickenden Oberbefehlshaber, der in den letzten Tagen seiner Amtszeit nicht mehr ängstlich auf Umfragewerte schielt, sondern mannhaft den iranischen Restposten auf der »Achse des Bösen« eliminiert und folglich erst posthum für seine Größe gewürdigt werden wird.

    Osama bin Ladens Platz in den Geschichtsbüchern kann man schon jetzt ziemlich genau beschreiben: verwöhnter Millionärssohn, der sich als religiöser Kreuzritter mit Lizenz zum Massenmord neu erfand und dabei ein geniales Gespür für die Provokation einer Supermacht entwickelte.

    Wie hat bin Laden seinen Privatfeldzug gegen Bush und Amerika angelegt, wie konnte er so weit damit kommen? Ein Netzwerk islamistischer Terroristen, deren Ideologie von Heiligem Krieg und Märtyrertod vorher in keinem muslimischen Land wirklich verfangen hat, schafft einen monströs inszenierten Anschlag auf das Zentrum der einzig verbliebenen Supermacht. Ihr Anführer karikiert die USA dabei als »kriegsuntüchtige«, »verweichlichte« Nation, deren Soldaten nach wenigen Verlusten 1993 aus Somalia geflohen seien.

    Wie um den Hohn zu widerlegen, reagiert diese militärisch. Zunächst mit breiter internationaler Unterstützung in Afghanistan. Dann, gegen breiten Protest im In- und Ausland, mit einem Einmarsch im Irak. »Weil Afghanistan nicht genug war«, sagte später Henry Kissinger, der regelmäßig bei Cheney und Bush ein und aus ging. »Die radikalen Islamisten wollen uns demütigen. Und wir müssen sie demütigen.« Der Einmarsch im Irak hatte mit dem politischen Projekt der »Demokratisierung des Mittleren Ostens« mindestens ebenso viel zu tun wie mit dem kollektiven Gefühl der Kränkung. Diese psychische Schwachstelle eines Imperiums verkörperte niemand besser als George W. Bush – und niemand hat sie so scharf erkannt wie der Al-Qaida-Chef.

    Um seinerseits den Gegner zu durchschauen, hätte Bush sich wiederum von der imperialen Hybris, vom militanten Messianismus befreien müssen. Dem liegt der Glaube zugrunde, dass die Welt nicht nur in »Gut« und »Böse«, sondern auch in große Tatmenschen und bloßes Publikum aufgeteilt ist. »Zuschauer«, so hat einer seiner Berater erklärt, »sind Menschen, die glauben, man kann Probleme durch die Analyse der Realität lösen. Aber wir sind ein Imperium, wir schaffen unsere eigenen Realitäten. Die können die anderen dann studieren.« Oder sie können die Scherben aufsammeln.

    Die »eigene Realität schaffen« – das bedeutet zunächst einmal geschichtsloses Denken, totale Verdrängung der Spuren, die die USA im iranisch-irakischen Krieg (1980 bis 1988 ), im ersten Golfkrieg und beim gescheiterten Putsch der Schiiten und Kurden gegen Saddam Hussein hinterlassen haben. Nur so konnten Bush und seine Berater ernsthaft glauben, dass ihre Soldaten von jubelnden Irakern empfangen würden, dass nach der Shock-and-Awe-Strategie der Neokonservativen auch eine neoliberale Schocktherapie den Irak innerhalb weniger Jahre in eine blühende Landschaft verwandeln würde. Es kam bekanntermaßen anders.

    Hinter dieser Hybris steckt natürlich auch die Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit, von den immer segensreichen Folgen des eigenen Tuns für die anderen. So bitter es ist – hier verbucht Osama bin Laden seinen wahrscheinlich nachhaltigsten PR-Erfolg: die Anprangerung des Westens, allen voran der USA, als doppelzüngig und heuchlerisch. »Das ist eine Eurer Haupteigenschaften«, erklärte er 2002 in seinem »Brief an Amerika«: »Eure Heuchelei. (...) Eure Freiheit und Demokratie gilt nur für Euch.«

    Die Bush-Administration hat nach 9/11 ein Schattensystem außerhalb der amtlichen Justiz errichten lassen; auf US-Stützpunkten wurde gefoltert; schießwütige Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen gehen im Irak straffrei aus; der ägyptische Autokrat Hosni Mubarak genießt nach wie vor amerikanische Unterstützung, ebenso das Regime in Saudi-Arabien, und die Militärdiktatur in Pakistan, deren Geheimdienst Ziehvater der Taliban war und ist, hat seit 2001 bis zu 20 Milliarden Dollar aus Washington eingesteckt. Das Problem daran ist weniger, dass es die Propaganda eines Osama bin Laden bestätigt. Das Problem daran ist, dass damit alle jene Muslime politisch heimatlos werden, die sowohl den Dschihad als auch ihre prowestlichen Diktatoren ablehnen. Das ist die große Mehrheit. Aus ihren Reihen kommen auch die meisten Opfer des islamischen Terrors.

    Die Frage ist, wie viel Bushs Nachfolger oder Nachfolgerin an diesem Monumentalschaden reparieren kann. Wenig, steht zu befürchten. Kein Kandidat, schon gar keiner der potenziell »kriegsuntauglichen« Demokraten, kann es sich leisten, jenen mentalen und politischen Ausnahmezustand aufzuheben, den George W. Bush mit seinem zeitlich und räumlich unbegrenzten »Krieg gegen den Terror« geschaffen hat. Und keiner wird es in dieser Situation wagen, diesen militanten Anspruch amerikanischer Unfehlbarkeit infrage zu stellen. Der letzte, der das versucht hat, war 2004 John Kerry. Der trat mit seiner Biografie als (Vietnam-)Kriegsheld an, der zum Kriegsgegner mutierte und schließlich sich selbst und seine damalige Regierung öffentlich der Verbrechen beschuldigte. Kerry verlor – nicht trotz, sondern wegen dieses Lebenslaufs.

    Folglich dürfte sich Bush derzeit weder an den »Demokraten« noch an den Bedenken der Europäer stören, sollte er sich für einen Militärschlag gegen Iran entscheiden – und damit für einen »Wagnerschen Abgang«, wie es der Economist formuliert hat. Anders als bei der Vorbereitung des Irakkriegs würde Osama bin Laden wahrscheinlich keine tragende Rolle mehr spielen. Aber sein Schlag vor sechs Jahren wäre auch der Auslöser für dieses Beben.


    Quelle: USA: Der Zweikampf | ZEIT ONLINE

    soo, diskutiert mal schön
     
  2. 11. November 2007
    AW: Bin Laden-Bush, recht nette Bilanz

    Jo muss ich Unkreativ zustimmen. Guter Artikel indem mal so die Fakten zusammengetragen wurden und das Osama bin Laden sein Ziel mehr oder weniger ja erreicht hat und nun mehr und mehr Staaten anti-amerikanisch eingestellt sind. Prädikat:Lesenswert
     
  3. 11. November 2007
    AW: Bin Laden-Bush, recht nette Bilanz

    Der Artikel bringt es genau auf den Punkt.
    Da hat Mr.Bin Laden leider recht.Diese Arroganz gegenüber anderen Staaten, die die Amis verüben ist wohl der Hauptauslöser für alles.Das begann mit dem 1.Weltkrieg und hält immer noch an.
    Ich bin mal gespannt ,ob Bush wirklich Iran angreifen wird. Ich denke,dass der Angriff auf Iran Amerika in eine wirtschaftliche Krise katapultieren wird. Ihr Militärausgaben überspannen schon den amerikanischen Markt,aber einen 2.Irakkrieg kann sich Amerika einfach nicht mehr leisten.
     
  4. 11. November 2007
    AW: Bin Laden-Bush, recht nette Bilanz

    Jedoch muss man sagen, dass Herr Bush so oder so nicht mehr wieder gewählt wird und er deshalb nichts zu befürchten und zu verlieren hätte. Ich denke die Demokraten werden in keinem Fall einen weitern Krieg beginnen und er ist der einzige, der dass noch wagen dürfte. Sollte jetzt vor allem mit Pakistan eine islamistische Atommacht kommen (was nicht zu hoffen ist) so sehe ich die Möglichkeit durchaus gegeben, dass auch im Iran die Bomben fliegen, da diese Pakistan als weiteren Ans sehen würden.
     
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