Brasilien startet Aufstieg zur Öl-Großmacht

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von bushido, 22. Juni 2010 .

  1. 22. Juni 2010
    Riesige Erdöl-Projekte

    Brasilien startet Aufstieg zur Öl-Großmacht

    Erschienen am 22.06.2010 | Spiegel Online

    t-online, Spiegel Online

    Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva spricht von einem "Geschenk Gottes", seine mögliche Nachfolgerin Dilma Rousseff von einem "Weg in die Zukunft". Gemeint sind die gewaltigen Rohstoffschätze, die in der Tiefsee vor Brasiliens Küste schlummern. Seit ihrer Entdeckung träumt das Land vom Aufstieg zur Wirtschaftsgroßmacht. Realisieren soll diesen Traum Petroleo Brasileiro, genannt Petrobras . Schon jetzt ist das Unternehmen, an dem der Staat gut ein Drittel des Gesamtkapitals hält, ein Ölgigant: 2009 erzielte der Konzern einen Gewinn von umgerechnet gut 16,6 Milliarden Dollar, er produziert rund ein Fünftel des weltweit vor den Küsten gewonnen Öls und gilt als Technologieführer für Tiefseebohrungen.

    Petrobras investiert Milliarden

    Dabei ist das noch bescheiden im Vergleich zu den Vorhaben, die Petrobras in den kommenden Jahren umsetzen möchte. Laut aktuellem Business-Plan will der Energieriese bis 2014 sagenhafte 224 Milliarden Dollar in die Erkundung und Förderung neuer Tiefsee-Ölfelder investieren, gut 45 Milliarden Dollar pro Jahr. An diesem Dienstag geht es los. Auf einem außerordentlichen Treffen sollen die Petrobras-Aktionäre zwei gigantische Kapitalerhöhungen absegnen - und so den Grundstein für Brasiliens Energiezukunft legen.

    Fünf Milliarden Barrel für Petrobras

    Konkret sind folgende Maßnahmen geplant: Das brasilianische Parlament verkauft Petrobras fünf Milliarden Barrel Öl aus dem sogenannten Pré-Sal-Gebiet, das sich über 800 Kilometer entlang der brasilianischen Küste erstreckt. Als Gegenleistung erhält der Staat neue Aktien des Ölkonzerns. Der genaue Preis, den Petrobras für die Reserven zahlen soll, steht noch nicht fest - Analysten rechnen mit einer mittleren zweistelligen Milliardensumme. Gleichzeitig will Petrobras neue Aktien im Wert von bis zu 25 Milliarden Dollar an Privatanleger ausgeben. Schon im kommenden Monat könnten die Papiere platziert werden. Sechs Institute - Banco Bradesco, Itau Unibanco, Citi , Bank of America , Merrill Lynch und Morgan Stanley - bereiten die Kapitalerhöhung vor.

    Staatlich besicherte Kapitalerhöhung

    Die Zustimmung der Aktionäre gilt als sicher, da die brasilianische Regierung über einen Großteil der Stimmrechte verfügt. Die Kapitalerhöhung ist eine der gewaltigsten überhaupt. Die bislang größte schaffte laut "Börsenzeitung" der japanische NTT-Konzern im Jahre 1987 - mit 36,8 Milliarden Dollar. Trotz der riesigen Dimension hat die Aktienplatzierung gute Chancen. Ein Regierungsvertreter habe signalisiert, dass der Staat alle Aktien kaufen werde, die Petrobras nicht an Privatanleger verkaufen kann, berichtet die Zeitung "O Estado de São Paulo". Präsident Lula käme das entgegen: Er will Brasiliens Energiesektor, der in den neunziger Jahren privatisiert wurde, wieder stärker staatlich kontrollieren. Petrobras wird dadurch für Brasilien immer stärker zu dem, was Gazprom für Russland ist.

    Keine Reaktion auf BP-Desaster

    "Doch auch für private Investoren ist Petrobras ein attraktives Anlageziel", sagt Bill Farren-Price, Chef der Londoner Firma Petroleum Policy Intelligence und seit 15 Jahren Beobachter der Branche. "Die Geschäftsaussichten des Konzerns sind stabil - trotz des Desasters im Golf von Mexiko." Tatsächlich dürfte die Havarie von BPs Ölbohrplattform "Deepwater Horizon", deren Explosion eine der verheerendsten Umweltkatastrophen aller Zeiten verursachte, Brasiliens ehrgeizige Energiepläne nicht stoppen. Zwar hat US-Präsident Barack Obama nach dem Desaster neue Tiefseebohrungen für ein halbes Jahr verboten - Brasilien jedoch sendet keinerlei Signale, Konsequenzen zu ziehen. Petrobras schweigt auf seiner Web-Seite zu dem Unglück.

    Riskantere Bohrungen als bei BP

    Dabei sind die Projekte, die Petrobras plant, noch viel riskanter als die von BP im Golf von Mexiko. Der Konzern stößt bei der Erschließung des Pré-Sal-Gebiets in bislang unerschlossene Tiefen vor: Bis zu 2000 Meter unter dem Meeresspiegel will sich der Konzern durch eine kilometerdicke Salzschicht bohren, manche Vorkommen liegen 7000 Meter tief.


    Tiefbohrung unter dem Ozean

    Petrobras selbst brüstet sich mit der "technologischen Revolution", die der Konzern schaffen werde. Experten dagegen sind besorgt. "In solcher Tiefe ist das Wasser extrem kalt, das Öl-Gas-Gemisch ist extrem heiß, und der Druck ist extrem hoch", sagt Steffen Bukold, Geschäftsführer von Energy Comment und Autor des Buchs "Öl im 21. Jahrhundert". "Es gibt kaum Erfahrungswerte, was bei solchen Bohrungen passiert. Das Verhalten des Zements, die Stabilität der Fördertechnik, die Tücken der Geologie - alles wird hier zum Experiment." Bestenfalls verzögere sich die Förderung, da Materialien öfter ausgetauscht werden müssen als gewohnt - schlimmstenfalls drohe eine noch viel verheerendere Umweltkatastrophe als im Golf von Mexiko.

    Unfälle auch bei Petrobras

    Petrobras versichert, bei der Förderung internationale Richtlinien, Normen und Praktiken zu befolgen. Doch auch der Offshore-Technologieführer hat schon gewaltige Umweltkatastrophen mitverursacht. Am 15. März 2001 explodierte die seinerzeit größte Ölbohrplattform P-36 im Roncador-Ölfeld, rund 125 Kilometer vor der brasilianischen Küste. Elf Menschen kamen ums Leben - wie beim "Deepwater Horizon"-Unglück. Am Morgen des 20. März versank P-36 im Meer und hinterließ einen gewaltigen Ölteppich - den die Strömung aufs offene Meer hinaustrieb.

    Traum vom Aufstieg zur Wirtschaftsgroßmacht

    Brasiliens Politiker werden sich den Traum vom Aufstieg zur Ölgroßmacht trotzdem nicht vermiesen lassen. Zu viel steht für sie auf dem Spiel: Die Förderung in der Pré-Sal-Region ist eines der größten Konjunkturprogramme der Republik. Zahlreiche Industrien wie die Petrochemie, die Werftindustrie und Zulieferbetriebe sowie zahlreiche Dienstleister sollen einen gewaltigen Schub bekommen, Zehntausende Jobs sollen entstehen. Durch die Erschließung der Tiefseefelder will Brasilien zudem zu einem der größten Ölexporteure der Welt werden. Derzeit produziert Petrobras rund zwei Millionen Barrel pro Tag (ein Barrel sind 159 Liter) - genug für die Selbstversorgung Brasiliens. Bis 2014 will der Konzern die Produktion auf gut 3,15 Millionen Barrel ausweiten - bis 2020 gar auf 4,15 Millionen Barrel. "Petrobras wäre dann nach Saudi-Arabien, Russland und den USA der weltweit viertgrößte Ölproduzent", sagt Bukold.

    Brasilien sieht sich als Mega-Exporteur

    Das überschüssige Öl will Brasilien exportieren und damit den eigenen Aufstieg vom Schwellenland zur Wirtschaftsgroßmacht finanzieren. Die Exporte würden Brasiliens Handelsbilanz deutlich verbessern - und mit dem Geld könnte das Wachstum in anderen Wirtschaftssektoren angekurbelt werden. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Brasilien seine Offshore-Ambitionen herunterschraubt - selbst die Katastrophe im Golf von Mexiko wird daran wohl nichts ändern. "In den USA ist der Offshore-Ölboom vorerst gestoppt, in anderen Teilen der Welt ist die Euphorie ungebrochen", sagt Bukold. "Brasilien eröffnet gerade die nächste Front."

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    Ein weitere Nation neben Afghanistan entpuppt sich als Rohstofffundgrube. Es wird interessant zu sehen sein inwiefern die Industrienationen auch hier versuchen werden Einfluss zu nehmen, auf welche Art und Weise auch immer. Der Artikel spiegelt das Dilemma in welchem sich vor allem die USA befinden, deren Erdölresourcen sich dem Ende entgegen neigen, der Unfall im Golf von Mexiko hilft in der Hinsicht überhaupt nicht und verschärft das Problem zusätzlich.
     
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