#1 9. September 2005 URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,373856,00.html Einen Embryo mit drei Eltern will man im britischen Newcastle herstellen. Die offizielle Genehmigung wurde jetzt erteilt. Experten sind skeptisch, ob der Ansatz wirklich den erhofften Erfolg bringt. Möglich wurde die Studie wegen eines ungenau formulierten Gesetzes. Es klingt, als wolle sich jemand einen Scherz erlauben - und doch wird das Projekt "Kind mit drei Eltern" in Großbritannien nun angegangen. Für die Genehmigung solcher Forschung ist dort die Human Fertilization and Embryology Authority (HFEA) zuständig, die sich wiederum an ein eigens erlassenes Gesetz zu halten hat - nur ist dieses, wie auch die aktuelle Entscheidung wieder zeigt, ziemlich schwammig formuliert. Der juristische Berater der Universität sagte nach der Entscheidung: "Das ist eine gute Illustration dafür, dass die Regierung dieses Gesetz überprüfen muss. Es hat 18 Monate und drei Anhörungen gebraucht, die Zulassung zu bekommen, hauptsächlich, weil das Gesetz von 1990 sehr zweideutig ist, wenn es auf diese Art Forschung angewendet wird." Im Detail geht es darum: Forschern aus Newcastle wird gestattet, den Kern eines von Mann und Frau gezeugten Embryos in die unbefruchtete Eizelle einer weiteren Frau einzusetzen. Der so entstandene Embryo hätte also drei Eltern: Zwei, deren Erbgut im Kern steckt, und eine weitere Mutter, von der die Zellhülle und das sogenannte Cytoplasma stammt. Hülle von der einen Mutter, Zellkern von der anderen Im Cytoplasma schwimmen auch die Mitochondrien, die oft als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnet werden. Sie haben ein bisschen eigenes Erbgut - und sie liegen eben außerhalb des Zellkerns. Es gibt erbliche Krankheiten, die über diese sogenannte mitochondriale DNA weitergegeben werden. Trägt die mitochondriale DNA der Mutter einen genetischen Defekt, wird er zwangsläufig weitergereicht. Deshalb wollen die Wissenschaftler die Hülle der Zelle mitsamt dem darin enthaltenen Cytoplasma und den Mitochondrien durch das einer anderen, von einer weiteren Spenderin gewonnenen Eizelle ersetzen. Die beschädigte mitochondriale DNA würde auf diese Weise nicht weitergegeben, die Krankheit könnte nicht vererbt werden. Der Neurologe Doug Turnbull und die Fortpflanzungsmedizinerin Mary Herbert werden das Team leiten. Ziel des Forschungsprojektes ist die Bekämpfung der sogenannten mitochondrialen Myopathie, einer erblichen Form von Muskelschwund, die zu Lähmungen und schließlich zum Tod führen kann. Langfristig könnte der Ansatz auch gegen andere Arten von mitochondrialen Erkrankungen eingesetzt werden, hoffen die Forscher. "Das ist sachlich eine korrekte Begründung", sagt Klaus Dietrich, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Dennoch ist er nicht von den Plänen der Briten begeistert: "Ich halte es für viel zu früh, so etwas an menschlichen Embryonen auszuprobieren." Man wisse zu wenig über die Gefahren, die ein solcher Ansatz berge. Außerdem liege der Ansatz in gefährlicher Nähe zum Klonen von Menschen. Bernhard Horsthemke, Humangenetiker an der Universitätsklinik Essen, sieht noch deutliche Unterschiede zum Klonen im klassischen Sinn, hat aber ebenfalls Bedenken. Zwar würden bei dem geplanten Projekt der Briten keine Kerne von erwachsenen Zellen, etwa Hautzellen verpflanzt, wie das beim Klonen im engeren Sinn der Fall ist. Es könne aber "Inkompatibilitäten" zwischen dem befruchteten Zellkern und der fremden Hülle geben. Beim Klonen sind die Zellen schon erwachsen Das Problem beim klassischen Klonen sei, dass "der Kern einer schon spezialisierten Zelle, eben etwa eine Hautzelle, wieder in einen sogenannten totipotenten Zustand gebracht werden muss - und das geht ganz schlecht". Totipotente Zellen sind Alleskönner - aus ihnen kann ebenso Haut werden wie Knochen, Nerven- oder Muskelzellen. Das in seinen Möglichkeiten schon sehr eingeschränkte Erbgut einer erwachsenen Zelle müsste gewissermaßen umprogrammiert werden, um wieder in der Lage zu sein, unterschiedliche andere Zellen hervorzubringen. Diese Umprogrammierung ist problematisch und fehlerbehaftet - weshalb auch heute noch bei Klonexperimenten mit tierischen Zellen viel schief geht. Selbst die koreanische Forschergruppe, die mit menschlichen Embryonen experimentiere, rate deshalb davon ab, diese Technik tatsächlich einzusetzen, um Menschen hervorzubringen, ergänzt Klaus Dietrich. Bei dem Verfahren, das die Briten planen, liegt der Fall aber etwas anders: Der frisch befruchtete Zellkern ist noch nicht erwachsen und deshalb ohnehin noch totipotent, also mit maximaler Wandlungsfähigkeit gerüstet. Die Methode könne daher eine Erfolgswahrscheinlichkeit "ähnlich der einer herkömmlichen in-vitro-Befruchtung" haben, glaubt Horsthemke. Die Probleme lägen eher anderswo. Zum Beispiel könnten Wechselwirkungen zwischen dem eingepflanzten Zellkern und seiner neuen Behausung Schwierigkeiten machen. Joachim Klose von der Berliner Humboldt-Universität hat vor einigen Jahren die Ergebnisse ähnlicher Versuche an Mäusen ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass die Neukombination zu einer genetischen Veränderung führte: "Etliche Proteine waren bei den so erzeugten Mäusen in viel geringerer Menge vorhanden", erinnert sich Klose. Die Nachkommen der Mäuse seien weniger zahlreich und auch kleiner als ihre Vorfahren gewesen. Und: Die durch den Verschmelzungsprozess aus dem Tritt geratenen Proteine wurden vererbt. Auch die Nachkommen der so gezüchteten Tiere wiesen wieder dieselben Abweichungen auf. Die Tiere waren also lebens- und fortpflanzungsfähig - aber auch genetisch künstlich verändert. "Keine präzise wissenschaftliche Bedeutung" Kloses Fazit: "Da ist auf jeden Fall eine Gefahr." Er hält die Bekämpfung der mitochondrialen Krankheiten zwar für ein ehrenvolles Ziel, aber "die Frage ist, ob man das so machen muss". Zudem, berichtet Bernhard Horsthemke, werden beileibe nicht alle mitochondrialen Krankheiten auch über die Zusatz-DNA außerhalb des Zellkerns vererbt. "Es gibt auch mitochondriale Erkrankungen, die im Kern kodiert sind", so der Genetiker. Diese wären mit der in Newcastle geplanten Methode nicht zu knacken. Generell seien diese Erkrankungen äußerst selten: "Selbst wenn das funktionieren sollte, wird es nur wenigen Paaren helfen." Vorerst planen die Briten aber ohnehin nur Forschung, keine Fortpflanzung. Der Vatikan hat das geplante Projekt bereits verurteilt. Das Experiment verstoße aus moralischer Sicht gegen drei Verbote, sagte der Präsident der Pontifikalakademie für das Leben, Elio Sgreccia auf Radio Vatikan. Die für die Forschung notwendigen Vorgänge seien moralisch "nicht nur aus katholischer Sicht" verdammenswert, kritisierte Sgreccia. In Deutschland wäre ein solches Forschungsprojekt übrigens nicht möglich - das verhindert das Embryonenschutzgesetz. In England sind die Regeln lockerer. Schon im vergangenen August hatte die HFEA Forschern, die ebenfalls an der University of Newcastle arbeiten, erstmals die Erlaubnis erteilt, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu klonen. In den USA und Korea arbeiten Forschergruppen an ähnlichen Projekten. Auch das britische Gesetz verbietet eigentlich, "die genetische Struktur einer Zelle zu verändern, während sie Teil eines Embryos ist" - eine Formulierung, die ziemlich gut auf das geplante Projekt zu passen scheint. Die Kommission, die dem Antrag aus Newcastle nun dennoch stattgab, gründete ihre Entscheidung deshalb auf eine kuriose Bedeutungslücke: "Im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Forschung wurden Experteneinschätzungen zur Bedeutung des Begriffs 'genetische Struktur' eingeholt, und das Komitee erfuhr, dass dieser Begriff keine präzise wissenschaftliche Bedeutung hat." + Multi-Zitat Zitieren