China: Leben in der schmutzigsten Stadt der Welt

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von xxxkiller, 30. April 2007 .

  1. 30. April 2007
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    Dreck gehört zum Leben in der chinesischen Millionenstadt Linfen dazu. Das Wasser ist schwarz. Die Luft riecht nach Schwefel. Und Arsen-Vergiftungen gibt es hier besonders häufig. An eine "saubere Zukunft" wenigstens für die Enkel glauben in Linfen nur wenige Menschen - obwohl die Regierung in Peking mehr Umweltschutz angemahnt hat.

    Willkommen in Linfen - der schmutzigsten Stadt der Welt. Hier sieht man die Hand nicht vor den Augen. Stattdessen: eine Giftsuppe aus den Schornsteinen der Eisen-, Stahl- und Kohle-Fabriken. Tausende Schlote verpesten die Luft der nordchinesischen Millionenstadt. Britische Experten verglichen Linfen sogar mit Tschernobyl. Nur dass hier vier Millionen Menschen leben.

    Jiang Yafeng ist eine ihrer Bewohnerinnen. Wenn sie von ihrer Morgengymnastik kommt und im Bad den Wasserhahn aufdreht, rinnt eine dreckige Brühe von Händen und Gesicht. Weiße Handtücher benutzt Frau Jiang nur noch selten, denn dort, wo sie wohnt, hinterlässt jeder Spaziergang deutliche Spuren: "Überall ist Dreck: Ruß und Abgase aus den vielen Fabriken. Auch das Taschentuch ist jedes Mal schwarz, wenn ich mir die Nase putze. Ohne Mundschutz ist es noch schlimmer, wir atmen täglich eine Extra-Portion Gift", sagt sie.

    Zwei Drittel der Kinder von Linfen leiden unter Erkrankungen der Atemwege. Laut Statistik sterben sie hier zehn Jahre früher als anderswo in China. "Unsere ganze Familie ist ständig krank. Mein Mann und meine beiden Schwestern leiden unter Atemnot", erzählt Frau Jiang. Ihr dreijähriger Enkel hat bereits eine beachtliche Krankengeschichte hinter sich: eine Mandeloperation, jetzt Bronchitis - und zwar nicht die erste in seinem Leben. "Auch ich spüre häufig so ein Brennen im Hals, und dieser trockene Husten ist bei uns schon fast normal", sagt sie.

    Linfens Stolz: neue Abgasfilter

    Damit soll es bald besser werden. Die Regierung in Peking hat den Umweltschutz entdeckt und verlangt Erfolge - auch von Linfen. Inspektor Yi Weihua vom städtischen Umweltamt steht also mächtig unter Druck. Erste Weichen sind immerhin gestellt, zum Beispiel in der Vorzeigefabrik Lingang. Elftausend Arbeiter produzieren hier Koks und Stahl. Früher war die Fabrik die größte Dreckschleuder der Stadt. Heute ist ihr ganzer Stolz ein neuer Abgasfilter.

    "Unsere Regierung hat schon viel getan, um dieses Schandmal ‚schmutzigste Stadt’ loszuwerden", sagt Inspektor Yi. "Lange haben wir es nicht genug beachtet, aber jetzt wird es besser", versichert er. Linfen stehe nicht mehr an der Spitze: "Wir sind nur noch auf Rang zwei der 100 schmutzigsten Städte Chinas."

    Das zweite Problem: Bestechung

    Viele Fabriken, vor allem die Umweltsünder, müssten bis Jahresende dichtmachen, sagt Yi. Etwa 100 illegale Kokereien wurden bereits zerstört - allerdings auch mit wirtschaftlichem Verlust. "Allein bei dieser Aktion betrug der wirtschaftliche Verlust 200 Millionen Yuan, etwa 20 Millionen Euro. Trotzdem werden wir auch in diesem Jahr wieder die umweltschädlichsten Fabriken schließen", versichert der Umweltinspektor. Natürlich seien dabei Proteste unvermeidlich, so Yi. "Es stehen immerhin Existenzen auf dem Spiel." Denn China weiß auch: Ohne Kohle kein Wirtschafts-Boom.

    Und so entstehen für jeden gesprengten Schornstein anderswo zwei neue. Dass mit diesem Wirtschaftsboom vielen Bauern die Existenzgrundlage entzogen wird, kümmert wenige. Wo einst ihre Felder waren, stehen nun Fabriken. Für den Profit von ein paar gut vernetzten Industrie-Bonzen sind sie ihrer Existenz beraubt.

    "Seit es die Fabrik gibt, ist unser Wasser schwarz und die Luft riecht nach Schwefel", erzählt einer. "Mit Bulldozern sind sie damals gekommen und haben unsere Schößlinge platt gewalzt." Protest? Das habe es kaum gegeben. "Das bringt doch nichts", meint er. "Wir wissen, dass die Regierung mit den Fabrikbesitzern unter einer Decke steckt."

    Statt Trinkwasser nur noch Kloaken


    Der Fen-Fluss, Trinkwasserquelle für Millionen Menschen in der Region um Linfen, ist heute eine Kloake. Sogar die Hälfte aller Brunnen in der Provinz ist verseucht. Auch bei den Laborantinnen im Umweltamt ist der Dreck allgegenwärtig. Sie müssen erst die Messgeräte vom Staub befreien, bevor sie das Trinkwasser auf Rückstände untersuchen können. Genau einmal im Monat tun sie das. Arsen-Vergiftungen sind besonders häufig in der Provinz. Das belegen internationale Studien. Inspektor Yi jedoch wiegelt ab. Für ihn ist das reine Panikmache: "Bisher war das Wasser immer in Ordnung," versichert der staatliche Umwelthüter. "Der vorgeschriebene Grenzwert wurde noch nie überschritten."

    Genau das hat Frau Jiang schon viel zu oft gehört. Sie befürchtet ganz im Gegenteil, dass in Chinas schmutzigster Stadt auch ihr Enkel keine Chance auf eine saubere Zukunft hat.

    Quelle: tagesschau.de
     
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