Die Presse glaubte nicht an Hitlers Aufstieg

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von subx, 2. Januar 2008 .

  1. 2. Januar 2008
    um Jahreswechsel 1932/33 wähnten sich Deutschlands Journalisten sicher: Die „Hitlerei" ist gebannt, die NSDAP am Boden, die Republik gerettet. Tatsächlich waren die Nazis in einer Krise. Und doch: Vier Wochen später wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

    Adolf Hitler: Die Journalisten glaubten zunächst nicht an seinen Aufstieg.

    Adolf Hitler setzte sich gegen alle Widerstände durch.
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    Hitler? Erledigt. Die NSDAP? Eine Partei in Auflösung. Der Nationalsozialismus? Ein Spuk, der vorüber ist. Zu Neujahr 1933 ist in der deutschen Presse Erleichterung zu spüren. Einmütig geben die drei angesehensten Zeitungen Deutschlands Entwarnung: „Der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat ist abgeschlagen“, schreibt die „Frankfurter Zeitung“ in ihrer Ausgabe vor 75 Jahren. Die Attacke der Hitler-Partei sei „durch einen mächtigen Gegenangriff aus der Sphäre Papen/Schleicher beantwortet worden, der zwar manche Anforderungen an unsere Nerven stellte und manchen Schaden mit sich brachte, der aber in die Reihen der NSDAP große Verwirrung getragen hat: Millionen von Anhängern sind dieser Bewegung verloren gegangen.“
    Ähnlich urteilt in der traditionsreichen „Vossischen Zeitung“ Chefredakteur Julius Elbau: „Die Hyperpolitisierung des letzten Jahres, das die Nationalsozialisten um jeden Preis zum ,Jahr der Entscheidung' machen wollten, war zu jäh, um echt zu sein. Was Feuer schien, war Fieber. Umso größer ist jetzt die Ermattung.“ Das bürgerlich-liberale Blatt sieht ruhigere Zeiten auf Deutschland zukommen: „Die Republik ist trotzdem gerettet worden. Nicht, weil sie verteidigt wurde, sondern weil sich die Angreifer wechselseitig erledigten.“

    Auch das eher linksliberale „Berliner Tageblatt“ unter dem legendären Chefredakteur Theodor Wolff zeigt sich erfreut vom Niedergang der NSDAP. In der Neujahrsausgabe spottet die Zeitung: „Überall, in der ganzen Welt, sprachen die Leute von¿ wie hieß er doch schon mit Vornamen: Adalbert Hitler. Später? Verschollen!“
    Alle drei liberalen Qualitätsblätter erscheinen in Verlagen, die wesentlich von jüdischen Deutschen geprägt waren – schon deshalb sind sie unverdächtig jeder Sympathie für die dumpf antisemitischen Schläger der Hitler-Partei. Doch auch andere Zeitungen auf der konservativen wie auf der linken Seite des politischen Spektrums unterscheiden sich in der Bewertung der Aussichten für 1933 kaum von den Flaggschiffen des Pressewesens, soweit es um die Zukunft der Hitler-Partei geht.
    Die streng katholische „Kölnische Volkszeitung“ etwa merkt am 1.Januar 1933 an, inzwischen sei ihre Prognose aus der vorangegangenen Neujahrsausgabe, die NSDAP werde nie an die Macht kommen, ein Gemeinplatz geworden. Für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“, die Reichskanzler Kurt von Schleicher unterstützt, ist das „Kernstück aller Betrachtungen“ über das neue Jahr, „ob und wie es gelingen wird, die nationalsozialistische Bewegung doch noch in den Staat einzubauen“. Wohlgemerkt: „einzubauen“ – was, wie jedem politisch aufmerksamen Zeitgenossen unmittelbar klar ist, die persönliche Beteiligung von Adolf Hitler ausschließt.
    Selbst der ungewöhnlich klarsichtige Hans Zehrer, seit einigen Monaten Herausgeber der „Täglichen Rundschau“, nach dem Zweiten Weltkrieg Gründer und 1953 bis 1966 Chefredakteur der WELT, sieht in seinem Leitartikel zu Neujahr 1933 eine Lösung der politischen Dauerkrise diesseits der NSDAP: „Der autoritäre Staat ist an die Herrschaft geschoben worden, und er hat sie schließlich angetreten, als nichts anderes mehr da war.“ Freilich weiß Zehrer, dass diese Entwicklung erst am Anfang steht: „Damit ist die Umwälzung im Staatlichen nicht etwa beendet; sie wird noch manche Dinge nach sich ziehen. Die Grundentscheidung aber ist bereits gefallen, der Boden ist abgesteckt, auf dem in Deutschland in Zukunft regiert wird. Es wird autoritär regiert werden!“ Autoritär, aber nicht diktatorisch – Zehrer rechnet also mit einer Fortsetzung der Präsidialkabinette ohne Mehrheit im Parlament, wie sie die Weimarer Reichsverfassung durchaus zulässt, aber nicht mit Schlimmerem.
    Auch links der politischen Mitte spielt Hitler in den Ausblicken auf das Jahr 1933 eine eher geringe und wenn, dann eher hämisch angelegte Rolle. In der Neujahrsnummer des sozialdemokratischen „Vorwärts“ beschreibt ein Artikel auf der Titelseite ausführlich „Hitlers Aufstieg und Niedergang“ im Verlauf der vergangenen zwei Jahre. Noch nie sei eine politische Bewegung „in solchem Umfang“ eingebrochen wie im zweiten Halbjahr 1932 die „Hitlerei“. Allerdings fügt der „Vorwärts“ an: „Wir sind uns darüber klar, dass die schwersten Folgen des Hitler-Wahns sich wahrscheinlich erst dann zeigen werden, wenn der Auflösungsprozess in der SA noch größere Ausmaße angenommen hat. Landsknechte, Prätorianer, die keinen Sold mehr bekommen und auf die Straße gesetzt werden, sind für den Staat und den Staatsbürger eine ebenso große Gefahr wie ein Privatheer, das wenigstens diszipliniert ist.“
    Die „Rote Fahne“, das Kampfblatt des KPD-Zentralkomitees, schimpft in einem anderthalb Seiten langen Pamphlet zum Jahresbeginn auf die SPD statt auf die Nazis. Viel mehr als die übliche und völlig falsche Gleichsetzung der „Sozialfaschisten“ (so das Schmähwort der Thälmann-Partei für die Sozialdemokratie) mit den Nazis fiel dem Autor nicht ein.
    Autoren und Journalisten liegen daneben
    Nicht nur die stets gestressten Redakteure der Tageszeitungen liegen zum Jahreswechsel 1932/33 mit ihren Einschätzungen der Gefahr durch die NSDAP daneben. Den Autoren der wichtigen Zeitschriften ergeht es nicht anders. In der dezidiert linken „Weltbühne“ zum Beispiel lobt Herausgeber Carl von Ossietzky am 3.Januar den innerparteilichen Konkurrenten des „Führers“, Gregor Strasser, der „ohne Zweifel kein halbseidener Jammerlappen wie der große Adolf“ sei. Die großbürgerliche Kulturzeitschrift „Der Querschnitt“ kleidet ihre Vorschau auf 1933 in die Gestalt eines politischen Horoskops: „Laufend ungünstig sind die Jahreseinflüsse wieder für Hitler¿ So hat zum Beispiel Adolf Hitler die günstige Tendenz seiner Jupiter-Trigonal-Stellung Mitte August 1932, die sich in dem Angebot des Vizekanzlerpostens und zweier nationalsozialistischer Ministersitze äußerte, abgelehnt. Wäre er astrologisch beraten gewesen, hätte er unbedingt annehmen müssen – die Folgen wären für ihn und seine Partei günstig gewesen.“ Der „Querschnitt“-Autor Artur Schumacher urteilt: „Jedenfalls kann festgestellt werden, dass Deutschland mit Ende dieses Jahres in eine bedeutend günstigere Zeit kommt – hoffentlich gelingt es einer Regierung, in dieser Zeit den neuen und dauernden Aufstieg des Landes zu begründen!“
    Es kommt anders. Das Jahr 1933 markiert den Beginn der schlimmsten Diktatur in der deutschen und mitteleuropäischen Geschichte. Als die zitierten Artikel und andere, im Tenor ähnliche Texte geschrieben werden, trennten nur noch wenig mehr als vier Wochen Adolf Hitler von der Ernennung zum Regierungschef. Binnen weniger Wochen nach dem 30.Januar sind alle liberalen oder linken Zeitungen und Zeitschriften entweder verboten oder „gleichgeschaltet“, viele ihrer Autoren sitzen entweder in „Schutzhaft“ oder sind schon emigriert.
    Warum haben Deutschlands Journalisten von links bis rechts, von ideologisch fixiert bis hochintellektuell die aufziehende Katastrophe nicht erkannt? Hermann Ullstein, ehemaliger Miteigentümer des liberalen deutsch-jüdischen Ullstein-Verlags („Vossische Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „Der Querschnitt“) klagte 1942 im Rückblick seine Branche, sein Haus und sich selbst unnachgiebig an: „Obgleich die hitlerfeindliche Presse bei Weitem die größere Leserschaft besaß, versagte sie doch restlos in ihren Bemühungen, der nationalsozialistischen Bewegung das Wasser abzugraben. Es hat keinen Zweck, die Tatsache zu leugnen, dass die Presse versagte!“
    Angesichts der offenkundigen Blindheit selbst der klügsten deutschen Journalisten jener Zeit fällt es schwer, Ullsteins Verdikt nicht zuzustimmen. Doch der amerikanische Historiker Henry A. Turner kommt zu einem anderen Ergebnis: Im Januar 1933 sei die „Zuversicht der Nazigegner keineswegs unberechtigt“ gewesen.
    Trotzdem steckte hinter dem Gerücht ein Fünkchen Wahrheit
    Tatsächlich ist die Lage für die NSDAP im Winter 1932/33 höchst gespannt. Die hochkonservative „Preußische Kreuzzeitung“ verbreitet am 1. Januar 1933 „vorläufig mit allem Vorbehalt“ eine „sensationelle Neujahrsüberraschung“: Die NSDAP-Reichstagsfraktion stehe vor der Spaltung, denn Reichskanzler Kurt von Schleicher sei sich mit dem Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser einig; er werde Mitte Januar als Vizekanzler präsentiert. Mindestens 40 der 196 Naziabgeordneten würden Strasser folgen.
    Allerdings hatte Hitler den innerparteilichen Machtkampf mit Strasser bereits vier Wochen zuvor gewonnen, der zweite Mann der NSDAP war zurückgetreten, hatte sich dem „Führer“ unterworfen und war in einen dreiwöchigen „Krankheitsurlaub“ nach Bozen aufgebrochen.
    Trotzdem steckt hinter dem Gerücht ein Fünkchen Wahrheit: Zum Jahreswechsel rumort es in der Hitler-Bewegung gewaltig. Die Partei ist faktisch zahlungsunfähig, das Massenheer der SA kann nicht mehr unterstützt werden, während sich gleichzeitig Hitler und seine Entourage dauerhaft in Berlins teuerstem Hotel, dem „Kaiserhof“, einquartiert haben. Und tatsächlich gibt es um den Jahreswechsel 1932/33 Versuche, den beurlaubten NS-Spitzenfunktionär doch noch als Vizekanzler zu gewinnen. „Das Ansehen, dass Strasser in der SA, vor allem auch in Preußen, genoss, hätte es Hitler erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht, die SA geschlossen zu einem Staatsstreich gegen eine Regierung Schleicher-Strasser zu führen“, schreibt der Strasser-Biograf Udo Kissenkoetter.
    Genau das spüren auch die politischen Kommentatoren der Zeitungen – und geben es in Form ihrer milde gestimmten Jahresausblicke an ihre Leser weiter. Anfang Januar 1933 fehlt tatsächlich nicht viel, damit Deutschland und der Welt der Nationalsozialismus erspart geblieben wäre. Schon auf dem Höhepunkt der Strasser-Krise hatte Hitler mit Selbstmord gedroht, ähnlich wie schon nach dem Scheitern seines Putschversuchs 1923. Wahr macht er seine Ankündigung jedoch erst mehr als zwölf Jahre und 60 Millionen Tote später.
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