Die Provider-Polizei

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von zwa3hnn, 23. Juli 2007 .

  1. 23. Juli 2007
    In welchem Internet wollen wir "leben"? Es ist nicht allzu lange her, da stellte sich eine solche Frage gar nicht. Der Online-Anbieter, dem man Monat für Monat seine Gebühren überwies, lieferte zumindest in den westlichen Ländern einen ungefilterten Zugriff auf das Netz – was der User damit machte, war seine Sache.

    Der Ansatz, dass Provider ihren Kunden allein als Anschlussvermittler für die weltweite Datenautobahn dienten, hat das Internet groß gemacht: Früher undenkbare Formen der weltweiten Kommunikation und Zusammenarbeit wurden ermöglicht – für kleines Geld. Das hatte und hat natürlich auch seine Schattenseiten: Online-Kriminalität und Piraterie machen Staat und Unternehmen im Netz zu schaffen.

    Im amerikanischen Internet wollen erste Provider nun selbst als Strafverfolger auftreten: AT&T, der Netzanbieter mit der größten Infrastruktur des Landes, arbeitet an einer Technologie, mit der Online-Piraten auf Netzebene abgeblockt werden sollen – im Gegensatz zu bisher bekannten Verfahren zuverlässig und jedes Mal. Fred von Lohmann, Justiziar der Netzbürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), hält das für eine schlechte Idee.


    Technology Review: Herr von Lohmann, im Juni hat der große US-Provider AT&T angekündigt, demnächst Polizei im eigenen Netzwerk zu spielen, um raubkopierte Inhalte künftig "herauszuhalten". Was ist da geplant?


    Fred von Lohmann: So ganz genau weiß man das noch nicht – Konkretes wurde noch nicht preisgegeben. Die Firma sagte aber, sie werde "ihre Möglichkeiten prüfen". Wenn die vorliegen, werden wir reagieren.

    TR: Was haben Sie dagegen, dass Provider gegen Piraterie vorgehen? Zumindest auf den ersten Blick scheint das doch die moralisch richtige Entscheidung zu sein.

    Von Lohmann: Wenn wir aus den Providern die Copyright-Polizei des Internet machen, begeben wir uns schnell aufs Glatteis. Jeder mit etwas technischem Wissen wird Ihnen bestätigen, dass es eigentlich unmöglich ist, den Tausch von Dateien zu verhindern – wer Urheberrechte verletzen will, entwickelt einfach eine noch schlauere Methode, sich vor Entdeckung zu schützen. In der Zwischenzeit werden die Provider in einen nicht enden wollenden Teufelskreis aus immer schärferen Überwachungsmaßnahmen hineingezogen – und zwar bei der gesamten Kommunikation aller Nutzer. Das ist schlecht für den Schutz der Privatsphäre und wird außerdem technische Innovationen verhindern, weil darin enorme Ressourcen investiert werden müssen.

    TR: Die Hollywood-Studios sprechen von sehr hohen Verlusten, die sie durch die Internet-Piraterie erleiden – mehr als zwei Milliarden Dollar jährlich.

    Von Lohmann: Da sollte man sich nicht verwirren lassen. Die Filmkonzerne leiden keineswegs so sehr, wie etwa ihre Brüder aus der Musikindustrie. Die Verlustzahlen werden oft aufgeblasen und beziehen häufig kommerzielle Piraterie und gefälschte DVDs mit ein. Hollywood erlebt im Gegensatz dazu zusammengenommen gerade die bislang besten Jahre seiner Geschichte – sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn.

    TR: Es ist recht neu, dass Internet-Provider in den USA bei der Piraterieverfolgung direkt mit großen Medienkonzernen und Hollywood zusammenarbeiten – bislang unterstützte man diese sogar eher ungern. Was motiviert AT&T dazu?

    Von Lohmann: Das müssten Sie AT&T selbst fragen. Viele spekulieren aber, dass dies Teil einer Umwerbung Hollywoods ist, weil der Telekommunikationskonzern gerade in den digitalen Videomarkt einsteigt.

    TR: IT- und Internet-Konzerne standen bislang oft in Opposition zu den großen Medienfirmen – Technologie ist ihnen wichtiger als Inhalteschutz-Maßnahmen. Wechselt AT&T hier die Seiten?

    Von Lohmann: Das wird die Zukunft zeigen. Wir hoffen aber, dass AT&T sich bewusst wird, wer bei ihnen die Rechnungen zahlt – die Kunden und nicht Hollywood.

    TR: Spielt das Thema Netzneutralität, gegen die AT&T mehrfach argumentiert hat, auch in die Debatte hinein?

    Von Lohmann: Ich glaube nicht. Internet-Provider müssen bereits jetzt mitziehen, wenn sie von Urheberrechtsverletzungen erfahren – das US-Copyright-Gesetz DMCA macht es möglich. Hollywood hat bereits die Ressourcen, diejenigen zu verfolgen, von denen es annimmt, dass sie gegen Copyrights verstoßen. Tausende von Einzelpersonen wurden bereits verklagt, weil sie Filme herunter geladen haben. Es ist schwer zu verstehen, warum die Provider nun die Strafverfolger spielen sollen.

    TR: In den USA beherrschen immer weniger Telekommunikationskonzerne den Internet-Zugang der Bevölkerung. Sehen Sie hier neue Monopole?

    Von Lohmann: Wir müssen abwarten, wie sich der Markt weiterentwickelt. Es ist sicherlich unschön, dass die meisten Amerikaner nur ein oder zwei verschiedene Firmen zur Auswahl haben, wenn sie zuhause einen Breitband-Zugang haben wollen. Andererseits gibt es aber auch Märkte wie San Francisco, wo es fünf Wettbewerber gibt – Konkurrenz ist also möglich. Die Frage bleibt, ob diese marktwirtschaftlichen Bedingungen auch auf den Rest der Nation übertragen werden können.

    TR: Die aktuelle Situation ließe sich als Status Quo zwischen "Big Media" und den Piraten beschreiben – Nutzer werden verklagt, gleichzeitig werden bezahlte Inhalte immer wichtiger. Wer gewinnt, ist ungewiss. Das Angebote ist aber zumindest in Europa noch nicht breit genug – so werden etwa in den hiesigen Filialen des Apple-Medienladens iTunes noch immer keine Fernsehserien und Filme angeboten. Sehen Sie eine Lösung für diese Probleme in naher Zukunft?

    Von Lohmann: Wir bei der EFF haben uns immer für kollektive Lizenzierungslösungen ausgesprochen – besonders im Bereich digitaler Musik. Das würde bedeuten, dass die Musikfans eine monatliche Gebühr an die Copyright-Inhaber zahlen würden und dafür dann so viele Songs herunter laden könnten, wie sie möchten – egal aus welcher Quelle und mit welcher Software. Ich glaube, dass es zu einer solchen Lösung keine Alternative mehr gibt – die CD-Verkäufe befinden sich in einer Art Todesspirale und der legale Online-Absatz kann dies nicht wieder ersetzen. Die Fans haben sich schon mit ihrer Maus entschieden: Sie ziehen in der Statistik unautorisierte Filesharing-Netze und den Tausch von CDs mit ihren Freunden digitalen Musikläden wie iTunes deutlich vor.

    Bei Filmen sieht es etwas anders aus. Die Studios sind weiterhin hochprofitabel, DVDs verkaufen sich nach wie vor ordentlich und die Konzerne bieten immer mehr Möglichkeiten, Filme online zu erwerben. Es könnte sein, dass sich diese Angebote im Markt gegen Filesharing durchsetzen und die Kunden aus den unautorisierten Angeboten zurück gelockt werden.

    Die Unterhaltungsindustrie steht im Wettbewerb mit kostenlosen Inhalten, auch wenn sie illegal sind. In einer solchen Welt leben wir nun einmal. Es gibt keine 100prozentige Lösung für dieses Problem, das die Internet-Provider einsetzen könnten, um diese Realität zu verändern. Die beste Möglichkeit, gegen solche unautorisierten Angebote vorzugehen, sind legale, kostenpflichtige Dienste, die einfach besser sind. Die Musikindustrie ist hierbei bislang gescheitert. Wenn Hollywood aus diesen Fehlern gelernt hat, wird den Studios klar werden, dass sie einfach ein schmackhafteres Essen kochen müssen als die Piraten. Die Gesetzeskeule hilft hier nicht.


    quelle: Technology Review
     
  2. 23. Juli 2007
    AW: Die Provider-Polizei

    Ich bin ja gespannt, wie man das überhaupt realisieren wollte, wenn sie nur
    die Datenpakete nach Dateinamen überwachen, sind sie bei umbenannten Rar
    Dateien ja wohl ziemlich machtlos oder wie sollte man das sonst versuchen?

    Ich denke ich will in einem freien Internet leben, das nicht tausendfach überwacht wird,
    ein gewisses Maß der Überwachung muss es sicherlich geben, denn
    radikale Propaganda und reelle Gewalttaten die ins Netz gestellt werden müssen nicht sein...

    Das mit der der konstanten Gebühr an Copyrightinhaber habe ich mir auch schon überlegt,
    und es wäre an sich keien schlechte Idee, nur ich würde das nicht nur grundsätzlich auf die
    Musik beziehen. Die Frage die sich mir dann aber stellt, ist wie man das Geld gerecht aufteilen
    sollte, klar bekommt zuerst einmal das Musiklabel oder der Vertreiber wie auch immer das GEld,
    aber man kann ja nicht mehr von einer genauen Statistik ablesen wer am meisten "verkauft"
    bzw verteilt hat.

    Trotzdem interessante Dinge in dem Text muss ich sagen.
     
  3. 23. Juli 2007
    AW: Die Provider-Polizei

    Es wird IMMER Wege und Mittel geben um Daten unerkannt zu tauschen. Oder wollen sie etwa jedes "Urlaubsbild" überprüfen, ob es auch wirklich eins ist?


    Vollkommen blödsinnig und nicht realisierbar. Damit steigern sie höchstens den Gewinn der kommerziell verkauften Raubkopien.
     
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