Googles Lauschangriff auf TV-Zuschauer

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von Melcos, 19. September 2006 .

  1. 19. September 2006
    Googles Lauschangriff auf TV-Zuschauer

    Die Computer der Suchmaschine Google dürften längst wissen, welche Lieblingssuchbegriffe ihre Nutzer verwenden, welche Websites sie anschließend anklicken und welche Themen sie in ihren E-Mails bevorzugen - schließlich tauchen ja auch Textanzeigen in Googles Angeboten auf, die jeweils zum dargebotenen Bildschirminhalt passen. Bald schon könnte die Suchmaschine nun auch erfahren, welche TV-Sender ihre Nutzer sehen - um ihnen dann unter anderem ergänzende Informationen sowie passende Online-Werbung anzuzeigen.

    Die neue Google-Technik wäre personalisiertes TV ohne kostspielige Zusatzhardware, die bei bisherigen (und nicht selten erfolglosen) Projekten im Bereich des interaktiven Fernsehens benötigt wurden. Ein erster Prototyp der Software wurde bereits im Juni auf einer Konferenz in Europa gezeigt. Sie nutzt das in nahezu jedem Computer eingebaute Mikrofon, um die Geräusche in einem Raum auszuwerten.

    Dann werden jeweils fünf Sekunden lange Tonschnipsel aufgenommen, aus denen der Fernsehton extrahiert wird. Dieser wird dann in einen digitalen Fingerabdruck umgewandelt, der dann mit einem Internet-Server abgeglichen werden kann, der digitale Fingerabdrücke zahlreicher bereits vorher aufgezeichneter Sendungen enthält. Ist ein Treffer gefunden, werden dann Informationen, Chatmöglichkeiten oder Werbung angezeigt, die zu der laufenden Sendung passen.

    Googles Lauschangriff aufs Wohnzimmer klingt zunächst nach einem Albtraum für Datenschützer. Man erinnere sich nur an den Konkurrenten AOL, der angeblich zu Forschungszwecken Suchdaten von fast 700.000 seiner Mitglieder im Internet veröffentlichte. Seither sind viele Nutzer wesentlich stärker sensibilisiert, was die von Suchfirmen erfassten persönlichen Daten angeht.

    Doch die digitale Fingerabdruckstechnik im Google-Prototypen mache es zum Glück unmöglich, auch andere Dinge im Raum abzuhören, beispielsweise persönliche Gespräche, heißt es vom Google-Forscherteam. Zum Schluss bliebe nur ein Datensatz übrig - Treffer oder nicht Treffer.

    Google-Forschungsdirektor Peter Norvig glaubt, dass aus diesem Research-Ansatz durchaus ein Produkt werden könnte. Die Audioidentifikationskomponente stammt übrigens nicht von Google - sie wurde extern zugekauft. Die eingesetzte Datenbank mit den digitalen Fingerabdrücken älterer Aufnahmen ist dabei recht groß. Ein Erfolg wird dem Projekt vor allem dann zugetraut, wenn die Verbindung aus TV- und Web-Inhalten tatsächlich funktioniert. Momentan befindet sich Google jedoch noch im Frühstadium.

    Michael Fink, der das TV-Projekt bei Google Research leitet, betont, dass es der Firma zunächst vor allem um das Konzept ging, nicht um ein fertiges Produkt. Der Forscher arbeitet eigentlich am Interdisciplinary Center for Neural Computation an der Hebrew University in Jerusalem, verbringt seinen Sommer aber bei Google. Sinn des Projektes sei es, den Menschen Umgebungsgeräusche als Medium zum Auffinden von Webinhalten aufzuzeigen, erläutert Fink.

    Computerwissenschaftler Yan Ke und seine Kollegen an der Carnegie Mellon University haben die Audio-ID-Technik erfunden, die die Google-Technik antreibt. Ihre Software reduziert Tonsegmente auf sehr kleine digitale Fingerabdrücke. Das Programm läuft bereits auf herkömmlichen PCs und wandelt Audioschnipsel in zweidimensionale Kurven um.

    Spezielle Algorithmen dienen dazu, Hintergrundgeräusche herauszufiltern, und reduzieren die Kurven anschließend zu wenigen Kernbereichen, die dann in elektronische Bits umgesetzt werden können. Auf diese Art entspricht eine Sekunde Audio nur vier Byte an Informationen. Der digitale Fingerabdruck eines ganzen TV-Jahres würde so laut Fink nur einige Gigabytes einnehmen.

    Bei Googles Prototypen werden nun die ermittelten digitalen Fingerabdrücke vom PC des Nutzers zur Audiodatenbank des Unternehmens geschickt. Darauf befinden sich die digitalen Fingerabdrücke von fast 100 Programmstunden. Ein spezieller Algorithmus von Fink und seinen Google-Kollegen Michele Covell und Shumeet Baluja reduziert dabei die Anzahl an Fehltreffern. Solche "False Positives" lagen bei ein bis sechs Prozent der analysierten Sequenzen. Das bedeutet rein mathematisch, dass in maximal 6 von 100 Fällen der falsche Audioschnipsel erkannt wurde - und es dann zu einer Darstellung fehlerhafter Informationen auf dem Bildschirm kam.

    Die Technik ist somit eigentlich akkurat genug, damit die TV-Zuschauer die von Google dargebotenen Zusatzinhalte als nützlich erachten. Fans von Nicole Kidman könnten dann beispielsweise erfahren, von wem ein Kleid ist, das die Aktrice gerade in einer TV-Show trägt - und Google blendet gleichzeitig die passende E-Commerce-Werbung ein. Oder es läuft der Actionfilm "The Italian Job", in dem ein Mini Cooper vorkommt - und immer dann, wenn das Gefährt auftaucht, bekommt man eine entsprechende Anzeige vorgesetzt.

    All das würde allerdings nur dann funktionieren, wenn sich jemand vorab notiert hat, was wann genau auf dem Schirm zu sehen war. Mit der großen Menge an neuen TV-Shows und Sendungen, die jeden Tag auf uns einströmen, wäre dies ein harter Job. In einigen Fällen könnte es sich für Google und die Werbepartner aber durchaus lohnen, wie Fink meint: "Stellen Sie sich vor, ich bin ein Werbetreibender und würde gerne immer dann meine Website als Link eingeblendet wissen, wenn eine spezifische Episode von "Seinfeld" läuft. Wir können sogar einen Bieterwettkampf für solche Programmstellen starten." Das Google-Modell, bei dem Werbetreibende auf passende Suchbegriffe und Worte auf Websites bieten, ließe sich somit auch auf das Fernsehprogramm übertragen.

    Die Informationen, die Google verschickt, können außerdem interaktive Inhalte enthalten - so könnte man Zuseher beispielsweise einladen, parallel zum Programm einen Chatraum zu betreten oder an einer Umfrage teilzunehmen.

    Als die ersten Infos zu dem neuen Google-Projekt an die Öffentlichkeit drangen, reagierten einige Blogger und Technikbeobachter allerdings zunächst negativ - sie fürchteten, dass die Geräusche, die aufgezeichnet werden, gleich ganz an die Google-Server überstellt würden. Der Ansatz mit dem digitalen Fingerabdruck mache dies aber so gut wie unmöglich, heißt es von Fink und Kollegen: Bei vier Byte pro Sekunde enthalten diese Daten nicht genügend Informationen, um das Originalgeräusch zu rekonstruieren.

    "Einige Leute bekamen den Eindruck, dass man es hier mit einem offenen Mikrofon zu tun hätte, mit dem Google sie abhört", sagt Norvig. Das sei aber nicht das, was man wolle. "Wir übertragen nur einen digitalen Fingerabdruck, der in Übereinstimmung mit bestehenden Daten gebracht werden kann, aber sich nicht zurückzurechnen ist." Es stimme aber natürlich, dass die Nutzer damit mehr Daten an Google übergeben würden: "Deshalb müssen sie natürlich selbst wissen, ob sie das wollen."

    Es ist noch völlig unklar, ob die Nutzerschaft diese neue Form der TV-Interaktivität annehmen wird. Die Einnahmenseite sieht Google da schon wesentlich klarer - jedenfalls dann, wenn das System tatsächlich funktioniert. "Es ist ein teuflisch schlauer Weg, sowohl alte als auch neue Medientechnologien zu verbinden", meint etwa Michael McGuire, Online-Medien-Analyst bei Gartner Research. Doch alles hänge davon ab, wie genau Google die TV-Geräusche auswerten könne. "Wenn die Firma nur ein kleines bisschen daneben liegt, wird das die Leute verrückt machen. Sie bekommen dann falsche Anzeigen und Informationen." Und wenn das passiert, würden die Nutzer womöglich irritiert oder gar erbost reagieren.

    Das Team um Fink arbeitet deshalb derzeit daran, die "False Positives"-Rate weiter abzusenken, damit Nutzer nicht etwa Chips-Werbung eingeblendet bekommen, während Hochkultur läuft. Eine andere Herausforderung ist die Usability: Bietet man Zusatzinhalte an, lenkt man den Nutzer vom Fernsehen natürlich auch ab. "Die TV-Sender und Werbetreibenden werden es nicht unbedingt mögen, wenn am Computer etwas angeboten wird, was die Leute aus der eigentlichen Sendung herauszieht", meint McGuire.

    Und selbst wenn die Zielgruppe der Websurfer bereits daran gewöhnt sind, "Multitasking" zu betreiben: "Wenn das, was aus dem Online-Kanal auf sie einströmt, zu sehr stört, werden die Zuschauer es entweder ignorieren oder blockieren." Google muss daher eine Balance zwischen Informationsüberflutung und funktionierender Werbung finden - und das wird sicher keine leichte Aufgabe.

    Quelle: Technology Review
     
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