Naturrecht und Moral

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von n0b0dy, 26. Juni 2010 .

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  1. 26. Juni 2010
    Da wir auf das Thema im Sarrazin-Thread gekommen sind, hier nun ein neuer Thread dazu um sich mal genauer darauf zu konzentrieren und damit auseinanderzusetzen.
    Es geht grundsätzlich um die Frage, wie man Moral bzw. Recht begründen kann, wobei Recht die (staatlich) verordnete Verhaltensregel bedeutet, welche im Fall eines Verstoßes auch sanktioniert wird. Wenn ich also im Folgenden von Recht spreche, gilt das genauso für die Moral. Ich denke ***** wird seinen Ansatz nochmal selbst darstellen, darum zunächst meine Kritik am Naturrecht nochmal zusammengefasst. Vertreter des Naturrechts meinen, dass der Mensch von Natur aus bestimmte Rechte habe. Beliebt ist etwa die Menschenrechte (im wesentlichen: Freiheit, Gleichheit, Eigentum) mit dem Naturrecht zu begründen. Eine Möglichkeit wäre aus der schlichten Existenz des Menschen das Recht auf Leben abzuleiten und daraus das Recht auf Freiheit, da ein absoluter Herrscher auch die Möglichkeit hätte das Leben des Knechts zu beenden. Aus der Möglichkeit der Arbeit leitet John Locke bspw. das Recht auf Privateigentum ab. Konkret meint er, Gott habe den Menschen zunächst das Selbsteigentum gegeben und bei der Arbeit finde durch Vermischung 'eigener' Kräfte mit dem Naturstoff eine Rechtsübertragung statt, sodass der bearbeitete Naturstoff ins Privateigentum des Subjekts übergeht "und das ohne einen ausdrücklichen Vertrag mit allen anderen Menschen" (Locke).
    Kant argumentiert dagegen, dass die Lockesche Theorie die Sachen als Rechtssubjekte personifiziere und so auf ein vorsoziales Verhältnis zwischen Person und Sache hinauslaufe, das Eigentumsrecht aber nur als Verhältnis wechselseitiger Berechtigung und Verpflichtung denkbar sei. Privateigentum ist weder eine Sache, die einer Person gehört, noch die Herrschaft einer Person über eine Sache, sondern eine Beziehung zwischen Menschen in Bezug auf eine Sache. Konkreter die Möglichkeit des Ausschlusses Dritter von der Verfügung über eine Sache. Um hingegen das moderne kapitalistische Privateigentum adäquat zu bestimmen, müsste man sich noch etwas mit Marx beschäftigen, das würde hier aber zu weit gehen.
    Was außerdem weder Locke, noch andere vernünftig begründen können ist, wieso eine die Freiheit aller achtende Koordination der Willen und kollektive Aneignung etwa des Bodens als gemeinsame Existenzgrundlage unmöglich sein soll, wieso der Übergang von Gemein- zu Privateigentum also überhaupt stattfinden muss.

    Im Rahmen einer grundsätzlichen Kritik am Naturrecht kann argumentiert werden, dass sich das faktische absolute Sein und das Sollen, d.h. ein subjektives und relatives Werturteil, auf verschiedenen Ebenen befinden, die nichts miteinander zu tun haben und strikt zu trennen sind. Somit kann letzteres grundsätzlich auch nicht aus ersterem abgeleitet werden und damit ist das Naturrecht rechtstheoretisch unbrauchbar. Diese sog. Sein-Sollen-Dichotomie wird in der Philosophie auch mit Humes Gesetz bezeichnet. Nach Hume zerfällt der menschliche Geist in Vernunft und Wille.
    Humes weitere Begründung:
    ----->
    Dies bedeutet nicht den notwendigen Verzicht auf die gesellschaftliche Formulierung von Moral- und Rechtsvorstellungen sondern nach dem positivistischen Rechtstheoretiker Hans Kelsen nur ,,dass es keine absoluten, dass es nur relative Werte, keine absolute, sondern nur eine relative Gerechtigkeit gibt, dass die Werte, die wir unseren normsetzenden Akten zugrundelegen, nicht mit dem Anspruch auftreten können, die Möglichkeit entgegengesetzter Werte auszuschließen".
    Aufgrund ähnlicher Sozialisierung können Menschen in einer Gesellschaft sich sicherlich auf gewisse Grundprinzipien einigen, welche aber keine überhistorische Geltung für alle Gesellschaften beanspruchen können. Bei gegensätzlichen Interessen ist es völlig unmöglich zu einer einheitlichen Gerechtigkeitsvorstellung zu gelangen. Nach einem "gerechten" Verhältnis von Lohn und Gewinn suchen die Gewerkschaften bis heute. Allerdings lassen sich für bestimmte Ausmaße relative Mehrheiten finden um etwa den Managerlohn auf das 20fache eines Arbeiters zu begrenzen. Solche Vorstellungen werden jedoch auch zeitlich schwanken, weshalb ich dafür plädiere nach der Ursache des Gegensatzes zu suchen, um diesen aus der Welt zu schaffen.
    Einzige Ausnahme bilden die sog. Brückenprinzipien (vgl. Hans Albert 1991) mit der sich Werte absolut kritisieren lassen. Etwa wenn sie den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen, logische Ableitungsfehler beinhalten oder gar nicht im Bereich des Möglichen liegen. Soweit von mir.
     
  2. 27. Juni 2010
    AW: Naturrecht und Moral

    das moderne naturrecht, dass sich aus dem recht auf leben, freiheit und eigentum zusammensetzt, unterscheidet sich von den vorangegangenen, älteren naturrechtskonzeptionen in der begründung: es beruft sich nicht mehr auf gott oder andere transzendentale, vom menschen unabhängige instanzen, die das naturrecht durch ihren willen legitimieren. das naturrecht gilt laut der mordernen naturrechtslehre, weil jeder einzelne mensch es will bzw. rational einsehen kann, daß er es wollen muß. (im weiteren verlauf mehr dazu.)

    besondere beachtung sollte der methodik geschenkt werden, mit welcher das naturrecht begründet werden kann. dies geschieht auf wissenschaftlicher basis, d.h. durch kausale erklärungsmuster und unter beachtung des primats der realität.

    die moderne wissenschaft erkennt nur ein einziges prinzip an, das die grundlage des ganzen rechtssystems bildet und leitet durch ein logisches verfahren alle juristischen bestimmungen aus dem ersten grundsatz her und baut ein konsequentes system, dessen teile sich gegenseitig und folgerichtig bedingen. (Scattola, Naturrecht, 215)

    das moderne naturrecht gilt, weil es rational, methodisch stringent, systematisch und säkular ist.

    • es ist einerseits rational und säkular, d.h. weltlich, weil es seine geltung auf die vernunft der menschen gründet, ohne prinzipiell einer außerweltlichen komponente zu bedürfen. (begründung)
    • es ist anderseits methodisch stringent und systematisch, weil es zur ausarbeitung seines normensystems nach dem neuen wissenschaftsverständnis des 17. jh. vorgeht. (methode)

    das also erst ein mal grundsätzlich zum modernen naturrecht.
    -

    vom sein kann nicht prinzipiell auf das sollen geschlossen werden, das stimmt. allerdings ziehe ich eine andere schlussfolgerung als du aus dieser problematik:

    sollte man jegliche ethik verwerfen? ist alles nichtig?

    ich verstehe das formelle problem des sein-sollen-fehlschlusses zwar, doch ich weiß nicht, inwiefern uns das weiterhelfen soll... denn die problematik betrifft dich ja genau so wie mich - warum sollte mein standpunkt falscher als deiner sein?

    Spoiler
    wie begründest du unter beachtung des sein-sollen-fehlschlusses und ablehnung der naturrechte, dass man andere leute nicht töten sollte?

    was sind deine schlussfolgerungen aus dem sein-sollen-fehlschluss? humes und moore vertreten die auffasung, dass man sich auf seine moralische intuition verlassen soll...

    ist der sein-sollen-fehlschluss nicht ein zirkelschluss? warum sollte ich mein naturrechtliches konzept verwerfen, nur weil es den sein-sollen-fehlschluss gibt? verstehe ich da etwas falsch?

    ich habe noch ein wenig über humes gesetz recherchiert und bin auf folgende vier logische regeln gestoßen, die sich aus humes gesetz ableiten lassen:

    also wäre eine naturrechtskonzeption legitim, wenn sie sich von der natur des menschen ableitet - vorausgesetzt, die natur des menschen ist ausreichend ergründet und gleichzeitig in der lage, das menschliche verhalten anzuordnen.

    (a) natur des menschen => (b) bestimmte gedanken, in unserem fall rechte, werden von allen menschen als gut empfunden weil jeder einzelne mensch es will bzw. rational einsehen kann, daß er es wollen muß. => (c) da diese rechte als gut empfunden werden, soll nach ihnen gehandelt werden
    -

    Spoiler
    hmmm... david d. friedman gehört der zweiten anarchokapitalistischen schule an und vertritt die auffassung, dass man menschen auch nicht dazu zwingen kann, bestimmte rechtsvorstellung oder -ideen anzunehmen. hier ein auszug:

    klingt jedenfalls interessant; damit muss ich mich mal näher befassen.
     
  3. 28. Juni 2010
    AW: Naturrecht und Moral

    Ich denke, dass es keine situations-unabhängige Ethik gibt, sondern einzig eine situativ-bezogene.
    Kant's kategorischer Imperativ ist in einer Welt, in der es reale Interessengegensätze gibt ziemlich unethisch und nahezu unmöglich. Unethisch deshalb, weil ich nach Kants Imperativ handeln soll, als wäre es ein allgemeines Gesetz. Das kann es aber z.B. nicht geben wenn es darum ging, dass jemand in der NS-Zeit Dissidenten versteckt hielt und meinte, er hätte keine versteckt. Nach Kants Logik müsste er die Wahrheit sagen, was wiederum den Flüchtlingen das Leben kosten würde.
    Das rekurrieren des modernen Naturrechts auf die menschliche Vernunft ist ja schonmal ein Fortschritt. Allerdings wird es umso problematischer je mehr man davon ableiten will, weil besonders beim Eigentum offensichtlich wird, dass es eben nicht von jedem rational eingesehen wird. Selbst die Notwendigkeit der Form des Rechts an sich wird bestritten - und zwar nicht von Geisteskranken. Außerdem bezweifel ich stark, dass es so eine objektive Vernunft überhaupt gibt und selbst wenn ja, wird sie extrem schwer zu finden sein, da widerlegbar durch auch nur eine Gegenmeinung.
    Insofern will ich keinesfalls alles Normative verwerfen, sondern nur auf der Relativität bestehen, siehe mein Hans Kelsen Zitat. Ethik, Recht usw. können durchaus sinnvoll sein, sind aber prinzipiell nur legitim zu begründen durch Übereinkunft der subjektiven Willen, sozusagen inter-subjektiv und damit zu einem gewissen Grad notwendig willkürlich.
    Ein imho sinnvoller Grundsatz, des laut Michael Schmidt-Salomon neomodernen radikalen Humanismus, der zugegebenermaßen nicht objektiv begründet werden kann, aber aufgrund seiner Schlichtheit leicht einsehbar ist und damit die Probleme der Letztbegründung minimiert, lautet:
    Alles weitere muss sich an diesem Anspruch messen lassen und wird somit hinterfrag- und kritisierbar. In gewisser Weise ist hier eine Parallele zum Marxschen kategorischen Imperativ zu finden, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." bzw. positiv formuliert, für Verhältnisse einzutreten, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (Marx)
     
  4. 9. August 2010
    AW: Naturrecht und Moral

    genau das soll durch das naturrecht erreicht werden; es wird allerdings zwischen den grundlegenden menschlichen bedürfnissen, die allen menschen gemein sind und demnach ihre natur ausmachen, und unkritisierter individueller begierde oder lust unterschieden.

    auf humes kritik am naturrecht kann man mit dem hinweis antworten, dass die werte, die durch das naturgesetz begründet werden, nicht bloße tatsachenbehauptungen sind, sondern vielmehr durch andere tatsachen begründet werden, nämlich aus der menschlichen natur, aus neigungen, deren erfüllung uns die natur vorgegeben hat; der lebenstrieb ist so eine neigung.

    innerhalb eines robinson-szenarios, in dem der isolierte mensch mit der natur konfrontiert ist, ist es ihm möglich seiner natur (siehe oben) zu folgen; um dies auch in der wirklichen welt zu ermöglichen, ist die logische konsequenz die aufstellung eines entsprechenden grundlegenden rechtesystems, welches das gesellschaftliche leben ordnet.

    zu hume lässt sich sagen, dass er in seinem werk a treatise of human nature, erkannte und akzeptierte, dass die gesellschaftliche [...] ordnung eine unerläßliche voraussetzung für menschliche wohlfahrt und menschliches glück ist; und daß dies eine ist-aussage ist [...].

    doch eine sozialordnung ist nur dann möglich, wenn der mensch begreifen kann, was sie ist und welches ihre vorteile sind. er muss auch jene verhaltensnormaen begreifen, die zu ihrer begründung und bewahrung notwendig sind, nämlich respekt für die person und das rechtmäßige eigentum anderer menschen, der das wesen der gerechtigkeit ausmacht [...] doch gerechtigkeit ist ein erzeugnis der vernunft, nicht der leidenschaften; und gerechtigkeit ist die notwendige stütze der gesellschaftlichen ordnung, und die gesellschaftliche ordnung ist notwendig für des menschen wohlfahrt und sein glück. wenn dem so ist, müssen die normen der gerechtigkeit die leidenschaften leiten und lenken, nicht umgekehrt.

    humes anfängliche 'these des vorrangs der leidenschaften' ist daher für eine sozialtheorie und politische theorie völlig unhaltbar [...] er ist gezwungen, die vernunft wieder als einen kognitiv-normativen faktor in menschliche soziale beziehungen einzuführen.
    (a. kenneth hesselberg, "hume, natural law and justice", duquesne review, fürhling 1961, s. 46-47)

    hume konstatierte selber, dass die vernunft den leidenschaften überlegen sein kann: mit dem urteil und dem verstand verschafft die natur ein gegenmittel gegen das, was in den gefühlen zügellos und nicht zweckdienlich ist (david hume, a treatise of human nature)
     
  5. 10. August 2010
    AW: Naturrecht und Moral

    Soweit ich weiß ist evolutionsbiologisch gesehen das einzige Prinzip, das bei allen Lebewesen inkl. Menschen gleich ist, das Prinzip Eigennutz, welches sich auch in Altruismus ausdrücken kann. Es zeigt sich im wesentlich in der Vermeidung von unangenehmen Empfinden zugunsten von angenehmen. Das wars dann aber auch. Was für die Individuen so empfunden wird, ist so unterschiedlich wie die jeweiligen Individuen nunmal sind. Letztlich ist das eigentlich nur Subjektivität schlechthin und das Phänomen einen Willen zu besitzen. Ich finde den Begriff des Naturrechts an sich schon problematisch, aber sofern man es auf das Recht der intersubjektiven Übereinkunft als Methodik zur Rechtsfindung begrenzt d.h. letztendlich auf das Zitat von MSS, könnte ich notfalls damit leben. Inwiefern man das überhaupt noch als "Recht" bezeichnen kann ist eine andere Frage.
    Sicher gibt uns die Natur bestimmte Triebe etc. vor, aber dennoch sagt das immernoch nichts darüber aus, ob es auch sinnvoll ist aus diesen Vorgaben ein wie auch immer geartetes Recht abzuleiten. Was ist mit Leuten, welche die genetische Veranlagung haben zu klauen, zu töten oder sonstwas? Solls geben. Gilt dann als Natur nur was gewisse Menschen willkürlich als "gesunde" Natur definiert haben? Das macht einfach keinen Sinn. Was ist eigentlich mit Tierrechten? Wir sind soziologisch gesehen schließlich auch nur Trockennasenaffen. :>
    Mich würd übrigens echt mal interessieren was du zur Diskussion über den freien Willen mittlerweile meinst.
     
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