#1 10. Dezember 2007 Selbst einer neuen Art von Bürgerbeauftragtem oder Ombudsmann will der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, den Kritikern der Online-Durchsuchung gerne zugestehen, wenn er die gesetzliche Grundlage für die umstrittene Maßnahme bekommt. Bei einer Diskussion in Karlsruhe, zu der das Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft der Uni Karlsruhe und die Jungen Juristen eingeladen hatten, warnte Ziercke einmal mehr vor den verfolgungsfreien Räumen, die die Informationstechnologie dem internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität eröffneten. Der ehemalige Bundesinnenminister Günther Baum (FDP) mahnte dagegen: "Wir haben natürlich das Problem von verfolgungsfreien Räumen, wir brauchen aber auch überwachungsfreie Räume." Baum befürchtet eine regelrechte Krise zwischen den Verfassungsorganen heraufziehen, wenn ein Bundesinnenminister schreibe, er könne mit den jüngsten Verfassungsurteilen zur Luftsicherheit, zur Rasterfahndung und zum großen Lauschangriff nicht zurecht kommen. Auch der Umstand, dass wie im Fall des Luftsicherheitsgesetzes sechs Leute ein Gesetz vor dem Verfassungsgericht zu Fall gebracht hätten, das die Mehrheit der Parlamentarier verabschiedet und damit für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt habe, stimme bedenklich. Der Bundestag habe die Fragen zur Preisgabe von Menschenleben im Fall des Luftsicherheitsgesetzes und auch die jetzt in Karlsruhe diskutierten Fragen zur Online-Durchsuchung lange nicht so ausführlich behandelt, wie man es nun in der juristischen Auseinandersetzung tue. Baum kündigte in Karlsruhe auch den nächsten Gang vor das Verfassungsgericht an. "Wir haben gerade die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung fertig gemacht und wenn das Gesetz im Gesetzblatt erschienen ist, werden wir flugs unsere Beschwerde in Karlsruhe einreichen. Ziercke konterte bei dem neuerlichen Schlagabtausch mit Baum die in der vergangenen Woche von heise online berichteten Äußerungen des stellvertretenden Generalbundesanwaltes bezüglich der mangelnden Notwendigkeit von Online-Durchsuchungen, auf die Baum verwiesen hatte. "Ich habe nochmals mit der Generalbundesanwältin telefoniert", sagte Ziercke. "Frau Harms ist ganz klar der Meinung, dass die Online-Durchsuchung notwendig, angemessen und durchführbar ist", sagte Ziercke. Eine Evaluation oder ein Verfallsdatum für eine gesetzliche Grundlage, parlamentarische Kontrolle und den Richtervorbehalt halte er für selbstverständlich und auch einen möglichen Bürgeranwalt oder Ombudsmann wolle er gerne zustimmen. Denn am Vertrauen der Bevölkerung sei den Strafverfolgern sehr wohl gelegen. Die Idee des Bürgeranwaltes stellte der Frankfurter Juraprofessor Hans-Jörg Geiger in Karlsruhe im Details vor. Der Bürgeranwalt könne bei einer Online-Durchsuchungsmaßnahme neben den Richter und den ermittelnden Staatsanwalt treten, beziehungsweise diesen gegenüber die Rechte des von der Maßnahme Betroffenen wahrnehmen, denn dieser selbst solle ja aus ermittlungstaktischen Gründen erst in Nachhinein aufgeklärt werden. Der Bürgeranwalt könne dann während der Maßnahme überprüfen, ob sie überhaupt gerechtfertigt sei nach dem dann geltenden Gesetz und ob die vom Richter im Einzelfall genehmigten Schritte in der Praxis auch eingehalten würden. Eine Art Bürgeranwalt bei verdeckten Maßnahmen gibt es laut Peter Wedinger vom österreichischen Innenministerium in verschiedenen Ministerien in der Alpenrepublik bereits. Wedinger berichtete in Karlsruhe von den Vorarbeiten für ein Gesetz zur Online-Durchsuchung, für die die österreichische Regierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt habe. Eine Ablehnung sei noch möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Allerdings sei etwa das österreichische Gesetz zur Rasterfahndung noch niemals angewandt worden. In der Heimlichkeit der Online-Durchsuchung sehen Geiger und Baum den entscheidenden Unterschied zur klassischen Beschlagnahme. Bei letzterer könne der Durchsuchte sagen: "Stopp, das hier sind meine Tagebücher". Auch in der Frage des absoluten Schutzes des Kernbereichs privater Lebensführung gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Ziercke meinte, die Strafverfolger müssten sofort alle 50 bis 80 heute in Deutschland vermutlich beschlagnahmten Rechner oder Festplatten gleich wieder ausliefern, wenn der PC wie von Baum behauptet, der Inbegriff der Privatsphäre sei. Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, bestätigte, dass Festplatten und sichergestellte Daten von PCs in vielen Verfahren eine Rolle spielten und ihre Beschlagnahme vom Verfassungsgericht anerkannt worden sei. Nach Ansicht von Baum ist in dem zu erwartenden Grundsatzurteil zur Online-Durchsuchung allerdings auch eine Neubewertung dieser Frage durchaus möglich. Quelle: Neuerlicher Schlagabtausch in Sachen Online-Durchsuchung | heise online + Multi-Zitat Zitieren