Placebo Wachstumsbeschleuniger für die europäischen Fässer ohne Boden?

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Melcos, 20. Mai 2012 .

  1. 20. Mai 2012
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 14. April 2017
    Placebo Wachstumsbeschleuniger für die europäischen Fässer ohne Boden? (Eigener Artikel)

    Die Wahl des Sozialisten Hollande zum neuen Präsidenten Frankreichs bringt eine neue Dynamik in die Eurokrisen-Politik. Die Forderungen nach Wachstum für Europa werden lauter. Die Bundeskanzlerin versucht diese Forderungen verbal abzuwehren. Zum einen dadurch, dass sie am Fiskalpakt unbedingt festhalten will.[1] Allerdings spricht auch die Bundeskanzlerin neuerdings nicht immer nur vom sparen sondern auch von Wachstum. Die Kanzlerin versteht darunter aber "keine Konjunkturprogramme, sondern Strukturreformen." Das Ganze ist also "kein plötzlicher Sinneswandel, sondern vor allem Symbolpolitik". Genau dieselben Strukturreformen, die mittels Fiskalpakt durchgesetzt werden sollen.[2]

    Zuletzt hatte auch Norbert Röttgen die Eurokrisen-Politik der Kanzlerin zur Wahlkampf-Sache erklärt. Die Wähler in Nordrhein-Westfalen würden entscheiden, "ob das Geld in Deutschland durch die Kanzlerin zusammengehalten wird, oder ob es in Europa in Fässern ohne Boden verschwindet".[3] Nach der verlorenen Wahl in NRW wurde Norbert Röttgen von der Kanzlerin entlassen.[4]

    Wachstumspakt

    Im Zuge dieses Wachstumsbeschleuniger wird bereits über einen Wachstumspakt spekuliert. Dieser soll Absprachen in der Wirtschaftspolitik verbindlich machen und die "strukturellen Wirtschaftsreformen" in Vertragsform gießen. Dadurch soll die Euro-Zone neu aufgstellt werden. Zu Lasten der Souveränität.[5]

    Woher soll das Wachstum kommen?

    Griechenland, Portugal, Italien, Spanien. Sie befinden sich alle in einer Rezession. Auch für 2012 wird mit einem Rückgang der Wirtschaftsleitung gerechnet.[6] Das einzige was zu wachsen scheint sind die Zinsen für Staatsanleihen, die Arbeitslosigkeit, die Sozialausgaben des Staates, Firmenpleiten und die Armut. Projekt-Bonds werden gefordert um die Wirtschaft anzukurbeln. Mit diesen Projekt-Bonds sollen sinnvolle Infrastrukturprojekte gefördert werden.[7]

    Ist Wachstum möglich?

    Die Gretchenfrage ist: "Wo soll das befreiende Wachstum eigentlich herkommen? Wo sollen die mit China und anderen Billigstländern konkurrenzfähigen Exportsektoren eigentlich entstehen, damit die hohen Leistungsbilanzdefizite einzelner Krisenländer verschwinden (Abb. 16819)? Alle Krisenländer sind dabei besonders exportschwach (Abb. 16820)."

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    Mit zwei Problemen muss die Krisenpolitik fertig werden: Mit China "als unschlagbar preiswerter Massenproduzent einerseits und die Konzentrierung der Einkommen und Vermögen bei den Wohlhabenden und Bestverdienern aller Länder."[8]

    Gegen China müssten Importzölle erhoben werden. Der Konzentration der Einkommen durch Umverteilung. Beides findet sich nicht auf der Agenda.
    Beide Maßnahmen werden nicht einfach und einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Erhebung von Importzöllen geht verhältnismäßig schnell, doch das Aufbauen einer Industrie dauert. Eine Umverteilung dauert ebenfalls, wenn man nicht direkt das Geld der Reichen nimmt, sondern das Arbeitereinkommen stärkt. Können die Europäer solange warten? Insbesondere die Griechen und Spanier denen das Wasser jetzt schon bis zum Hals steht?

    Teuere Energie

    Hinzu kommt, dass sich Länder wie Spanien und Griechenland in einer sehr hohen Abhängigkeit zu Erdöl und Erdgas befinden. Was die finanziellen Probleme verschlimmert, da es versäumt wurde rechtzeitig in erneuerbare Energien zu investieren.[9] Vor allem der Preis für Erdöl dürfte auf absehbare Zeit noch kräftig anziehen. Der IWF geht sogar von einer Verdoppelung des heutigen Preises im Jahr 2022 aus.[10]


    [1] Ganz Europa will nicht mehr sparen? Merkel ist das egal, www.welt.de 08.05.12
    [2] Merkels Placebo für die Euro-Partner, www.handelsblatt.com 30.04.2012
    [3] Röttgen poltert gegen Frankreich, www.handelsblatt.com 08.05.12
    [4] Merkel wirft Röttgen raus - Altmaier wird Umweltminister, www.ftd.de 16.05.2012
    [5] Wachstumsbeschleuniger - Wie Deutschlands nächstes Projekt für Europa aussehen könnte, Internationale Politik 3, Mai/Juni 2012
    [6] Europas Sorgenkinder, www.handelsblatt.com 23.02.2012
    [7] Merkels Placebo für die Euro-Partner, www.handelsblatt.com 30.04.2012
    [8] Warum der Ruf nach Wachstum die Eurokrise nicht lösen wird und auch der Rat der Ökonomen wenig hilft, www.jjahnke.net 17.05.2012
    [9] "Krise gigantischen Ausmaßes", Telepolis 29.04.2012
    [10] Oil prices could double by 2022, IMF warned, Guardian 13.05.2012

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    Mit diesem kleinen, von mir zusammengestellten Artikel habe ich versucht die deutsche Position gegenüber den Wachstumswilligen herauszuarbeiten, die Probleme dieser Wachstumforderungen und das Erdölproblem. Das Erdöl gilt als der Treibstoff der Wirtschaft. Die Verteuerung des Erdöls trifft ja nicht nur Griechenland und Spanien sondern auch Deutschland.

    Wie sind eure Einschätzungen zu den Probleme der Wachstumsforderungen und der Energiethematik? Sind neue Arbeitsplätze und Wachstum in Sicht? Oder kommt es eher zu einem Wachstum ohne das Arbeitsplätze geschaffen werden, etwa durch Automatisierung?
     
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  2. 21. Mai 2012
    AW: Placebo Wachstumsbeschleuniger für die europäischen Fässer ohne Boden?

    Die Dramatik der aktuellen Situation besteht darin, dass wir es nicht mit bloß einem Krisenphänomen zu tun haben, sondern mit verschiedensten ineinandergreifenden Krisenprozessen, die sich permanent zuspitzen. Klimawandel, Peak Oil, Finanz- und Wirtschaftskrise sowie politische Krisen sind mit dem Begriff der "multiplen Krise" gefasst worden. Wir befinden uns in einer krisenhaften Phase des Übergangs, in der das "Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann." (Antonio Gramsci)

    Für diese Probleme gibt es keine einfachen Lösungen. Fest steht nur, dass die herrrschende Regulationsweise daran grandios scheitert.
    Die herrschende politische Klasse samt Kapitalfraktionen ist weder in der Lage noch Willens, die wirtschaftlichen, demokratischen, sozialen & ökologischen Anforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Die verallgemeinerte Sparpolitik treibt Europa immer tiefer in Rezession und Massenarbeitslosigkeit. Schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme schaffen nur neue Probleme, weil diese die Krise der Staatsfinanzen noch verschärfen. Sollte Fiskalpakt & co durchgesetzt werden, dann nur flankiert mit einer autoritären Wende in Europa, in welcher der wegbrechende Konsens durch Zwangsmaßnahmen ersetzt wird, womit wir auf eine fundamentale Krise der bürgerlichen Demokratie zusteuern. Der ökologische Umbau geht unter dem privatwirtschaftlichen Diktat der Kapitalverwertung viel zu langsam vorran und schafft außerdem neue soziale Probleme.
    Das alles kann leicht dazu führen, dass die hegemoniale Krise des Neoliberalismus endlich auch das System Kapitalismus in Frage stellt.
    Die Herrschenden müssen in jedem Fall weg. Auf welchem Weg auch immer.
     
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  3. 24. Mai 2012
    AW: Placebo Wachstumsbeschleuniger für die europäischen Fässer ohne Boden?

    Es gibt tatsächlich noch Leute die nach diesem Artikel meinen, das in dieser Situation mit staatlicher Mehrverschuldung das Wachstum angekurbelt werden kann?

    Das funktioniert tatsächlich, aber in einer solchen Situation wo der Binnenmarkt nicht aufnahmefähig ist und die Zinslast extrem hoch ist, kann eine Weitere Last zu viel sein.

    Der Sozialstandart kann eben nicht auf dem Level bleiben wie er ist, wenn das Income fehlt. Bei steigender Arbeitslosenquote müssen eben mehr Steuern eingenommen werden und gleichzeitig, wenn es nicht anders geht, kürzungen geben.

    Das Wachstum für den Binnenmarkt anzukurbeln ist schwer möglich da dieser gesättigt ist.
    Also können nur noch Länder Wachsen die Exportieren.

    Der Kunde will meist günstig Einkaufen, deshalb gibt es immer mehr Massenproduktion.
    Dadurch wird der Markt schnell gesättigt... das Produkt darf also eine maximale Haltbarkeit nicht überschreiten sonst wird nichtsmehr verkauft.
     
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