#1 26. August 2007 Von seriös bis saukomisch: Videoenzyklopädien zeigen anhand von Filmchen, wie die Dinge des Alltags funktionieren. Von FOCUS-Redakteurin Sonja Billhardt Es gibt Dinge, die lernt man weder in der Schule noch stehen sie in irgendeinem Lexikon dieser Welt. Wie man einen Autoreifen montiert, ist so eine Sache, oder wie man einen BH mit nur einer Hand öffnet oder 1-a-Buletten brutzelt. Bisher konnten sich Radlose an den Mechaniker, Schamlose an den besten Freund und Geschmacklose an die Oma wenden. Seit Neuestem findet sich die Lösung für solche praktischen Probleme im Internet. Videoenzyklopädien nennen sich die neuen Wissensplattformen. Auf ihnen führen Experten in How-to-Kurzfilmen vor, wie die Dinge des Lebens funktionieren – ob nun Basketball-Legende Michael Jordan Tricks zum Körbewerfen gibt oder ein selbst erkorener Dating-Doktor erklärt, wie man Körbe vermeidet. „Wir vermitteln komplexe Zusammenhänge einfach durch Videos“, wirbt Dan Thompson, Geschäftsführer von Videojug. Das britische Start-up zählt mit einem Fundus von rund 20 000 Videos zur Spitze der Onlineratgeber wie 5min, Ehow oder Viewdo. Die Bandbreite reicht von der Kussanleitung bis zum seriösen Finanztipp. Allein im vorigen Monat besuchten etwa 210 000 Neugierige das Videojug-Angebot. Im Gegensatz zu den meisten Videoportalen finden Besucher auf Videojug keine von Nutzern gedrehte Clips unterirdischer Güte. Statt mit Laienfilmchen à la YouTube seine Zuschauer zu bespaßen, wartet das Jungunternehmen mit professionell produzierten Videos auf. „Für uns macht das Webkonzept ‚nutzergenerierter Inhalt‘ kaum Sinn. Wir wollen zwar auch unterhalten, aber vor allem ernsthaft informieren“, betont Thompson. Die Firma leistet sich dafür 120 Mitarbeiter mit Film- und TV-Erfahrung und je ein Büro in London und Los Angeles. Gedreht wird im Akkord Monatlich entstehen 5000 Ministreifen. Durch die Massenproduktion senkt Videojug die Kosten. Aber nicht die Qualität, wie Thompson beteuert: „Wir produzieren schließlich nur kurze Clips.“ Wie viel der Aufwand kostet, verrät der 46-Jährige nicht. Dafür wird der erfahrene Webentrepreneur bei seinen Plänen umso konkreter: „Bis zum nächsten Sommer wollen wir mehr als 100 000 Videos auf der Seite haben.“ Dank 30 Millionen US-Dollar Taschengeld von Privatfinanzier Coller Capital dürfte das Vorhaben zu realisieren sein. Videojug protzt nicht nur mit Masse. 300 bekannte Meister ihres Fachs konnte die Firma schon vor die Kamera locken. So erklärt US-Dermatologe Harry Saperstein von der University of California, wie man Hautkrebs erkennt, Englands Star-Comedian Stephen Fry verrät, wo er seine Inspiration herholt, und Klima-Papst Michael Oppenheimer gibt Tipps für eine grünere Zukunft. So viel Prominenz zieht große Unternehmen an. Jüngstes Beispiel ist die Kooperation mit Microsoft und MSN, für die Videojug Inhalte anbietet. Ganz auf die Beiträge seiner Nutzer verzichtet die Firma allerdings nicht. Jeder selbst ernannte Experte kann sein Wissen einschicken. Ein Mitarbeiterteam prüft jedoch jeden Inhalt genau, bevor dieser auf die Seite darf. Nur ein Prozent machen solche Privatvideos aus. Grimme-Online-Award für Hausgemacht.tv Hauptkonkurrent Expertvillage pappt sich ebenfalls das Qualitätssiegel ans Revers, verfolgt aber eine andere Strategie. Das Unternehmen aus Texas zahlt externen Hobbyfilmern 300 Dollar pro Drehtag, um optischen Murks zu vermeiden. Im Juni wurde das Startup von Richard Rosenblatt aufgekauft, der vor zwei Jahren seine Webcommunity Myspace für 649 Millionen US-Dollar Medienmogul Rupert Murdoch überließ. Rosenblatt erklärt, warum viele Geldgeber in die neue Nische investieren: „Der größte Service, den das Internet bietet, sind Informationen. Videoenzyklopädien liefern Informationen, und das schneller und interessanter als das Medium Text.“ Rat aller Art können Hilfesuchende inzwischen auch im deutschen Netz finden. Seit Ende März flimmern auf Hausgemacht.tv Streifen der Marke „Wie wird’s gemacht?“. Bereits mit dem Grimme-Online-Award dekoriert, ist der Webservice von Sat.1 mit 400 Videos allerdings noch kümmerlich bestückt. Trotzdem hat sich der Fernsehsender damit schon jetzt den crossmedialen Traum erfüllt. Ratgeberformate wie die Show „Clever!“ mit Wigald Boning verwertet Sat.1 als Zusammenschnitt auf seiner Seite und lockt potenzielle Zuschauer vom Web ins TV. „Umgekehrt wollen wir online mehr Inhalte von Zuschauern einbinden, die wir auch im Fernsehen senden können“, erklärt Ruslan Krohn, Leiter von Sat.1 Multimedia. Glotzen im Web ist hip Allein in Deutschland schauen 71 Prozent der Internetbevölkerung Filmchen laut aktueller Comscore-Studie. So springen die Macher der Videoenzyklopädien zwar auf den YouTube-Zug, fahren aber im noch unbesetzten Abteil. Zum einen vernachlässigen die großen Videoportale bisher ihre How-to-Kategorien. „Außerdem bedienen wir nicht die YouTube-Zielgruppe der Teenager“, meint Krohn. Mit dem Angebot spreche man vor allem die Generation zwischen 25 und 39 Jahren an. Medienanalystin Rebecca Jennings vom Marktforschungsunternehmen Forrester Research ist überzeugt, dass die Portale das Potenzial haben, sich in der Nische erfolgreich einzunisten: „Solche Seiten sind für Marken enorm interessant. Die Start-ups haben nicht nur die Chance, sich durch Werbung zu finanzieren, sondern auch durch den Verkauf ihrer Inhalte an Firmen.“ Jennings hat bereits eine Idee, wie das funktionieren kann: „Am Ende überlebt eben derjenige, der nicht nur dem Publikum zeigt, wie man am geschicktesten einen BH öffnet, sondern wie man am geschicktesten dessen Label in die Linse hält.“ Quelle:Internet: Videoenzyklopädien im Trend - Internet - FOCUS Online - Nachrichten + Multi-Zitat Zitieren