Warum Tränen und Wutanfälle zum Job gehören

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Dw4rf, 17. September 2008 .

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  1. 17. September 2008
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 15. April 2017
    Über Gefühle spricht man nicht – schon gar nicht im Berufsalltag. Da geht es um Bilanzen und Verkaufszahlen, nicht um weiche Themen. Wer das findet, der sollte seine Einstellung überdenken. Denn Gefühle hängen oft eng mit dem Erfolg im Berufsleben zusammen.

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    Wenn man seine Gefühle nicht unterdrückt, kann das auch zu einem entspannteren Umgang mit den Kollegen führen.

    Gefühle sind keine Störfaktoren, sie gehören zum Berufsleben, vielleicht sogar noch viel mehr als das: Sie sind dort ausgesprochen wichtig. Und auch Karriere machen geht nur mit Gefühl.

    Oft wird das Thema Gefühle am Arbeitsplatz aber verdrängt: „Man hat Angst vor dem Thema Emotionen am Arbeitsplatz“, sagt Tanja Wranik. „Emotionen gelten immer noch als irrational und unkontrollierbar“, erläutert die Psychologin von der Universität Genf. Bis in die 80er-Jahre hinein sei die Meinung verbreitet gewesen, dass Gefühle im Berufsleben nichts zu suchen haben. Dabei seien Emotionen am Arbeitsplatz alltäglich: Stolz, Wut, Ärger, Aufregung zum Beispiel. Und auch bei jeder Entscheidung, die getroffen wird, spielten emotionale Aspekte eine nicht unerhebliche Rolle.

    In vielen Situationen sei es ausgesprochen wichtig, Gefühle zu erkennen und mit ihnen umgehen zu können. „Emotionen sind wie Signale“, sagt Tania Wranik. Sie geben zum Beispiel in Verhandlungssituationen Hinweise darauf, wie die Erfolgschancen stehen, welche Strategie vielversprechend ist oder ob eine Taktik besser geändert werden sollte.

    Viele wollen die Bedeutung von Emotionen allerdings nicht wahrhaben. Diese Erfahrung macht der Trainer Ingo Vogel immer wieder bei seiner Arbeit: „Im Berufsalltag wird über das Thema nicht öffentlich geredet.“ Dabei hat sich längst herumgesprochen, dass zum Erfolg auf alle Fälle mehr gehört als fachliche Qualifikation: „Ich treffe regelmäßig Menschen, die hochkompetent sind, aber wenn sie Emotionen und Leidenschaft zeigen sollen, dann sind sie ratlos“, sagt der Trainer aus Esslingen bei Stuttgart. „Die wissen dann wirklich nicht, wie das geht.“

    Umfrage
    Ergebnis
    65% = Ja, man sollte nicht immer alles in sich reinfressen
    35% = Nein, Gefühle zeigen ist unprofessionell
    23 abgegebene Stimmen


    Nun klingt die Forderung nach mehr Leidenschaft eher nach einem Beziehungs- als einem Berufsratgeber. Aber nach Vogels Überzeugung kann es davon auch im Beruf nicht genug geben: „Wenn wir Emotionen zeigen, wirken wir authentisch – und wer authentisch rüberkommt, überzeugt auch mehr.“ In Geschäftsgesprächen oder Verkaufssituationen kann genau dies das entscheidende Detail sein. „Je rationaler wir sind, umso austauschbarer und weniger unverwechselbar sind wir auch“, sagt Ingo Vogel. „Das gilt über alle Branchen hinweg.“ Gefühle sind allerdings oft peinlich: Denjenigen, die sie haben und denen, die mit ihnen umgehen müssen.

    „Es gilt als unprofessionell, sie zu zeigen“, sagt Christine Öttl, die als Coach in München arbeitet. Das kann auch seine Berechtigung haben. „Unkontrollierte Gefühlsausbrüche haben im Beruf beispielsweise nichts zu suchen“, sagt Öttl. Seiner Wut freien Lauf zu lassen, komme beim Gegenüber genauso merkwürdig an wie hemmungslose Tränen.

    Aber häufig werden Gefühle auch da unterdrückt, wo sie normal sind: „Bei Bewerbungsgesprächen zum Beispiel“, sagt Öttl. „Das ist eine hochemotionale Situation, und trotzdem denken die meisten, da müsse man ganz cool wirken und dürfe auf keinen Fall Gefühle zeigen.“

    Das geht dann oft schief: Denn wer aufgeregt ist, genau das aber niemanden merken lassen möchte, kommt in den meisten Fällen eher verkrampft rüber – oder wird noch aufgeregter. In solchen Fällen hält Christine Öttl es für besser, seine Gefühle nicht zu verstecken: „Nervosität darf man ruhig zeigen.“

    Nicht verklemmt sein bei Bewerbungsgesprächen
    Das könne sogar ganz im Gegenteil offen und sympathisch wirken und Bewerbern Pluspunkte einbringen. Bewerbungsgespräche scheiterten oft genau daran: „Es gibt Bewerber, die sind fachlich top und rhetorisch geschliffen, aber sie schaffen es nicht, emotionalen Kontakt zum Gegenüber aufzubauen.“ Personaler merken das – und senken dann den Daumen. Emotionen schätzten auch Kunden im Verkaufsgespräch, sagt Ingo Vogel. Sie wollten mit Menschen mit Ecken und Kanten zu tun haben, also auch mit Gefühlen.

    Gerade im Verkauf gilt nach Vogels Erfahrung: „Je schwächer Sie emotional sind, umso eher redet man nur noch über den Preis.“ Vor allem, wenn das Produkt, über das verhandelt wird, kein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal hat, sei es wichtig, dass man den Gesprächspartner als Persönlichkeit überzeugt. „Die eigene Stimmung hat großen Einfluss“, sagt Vogel, „bis hin in die Körpersprache.“ Wer lustlos und leidenschaftslos wirkt, behindert sich selbst: „Wenn wir uns besser fühlen, fallen uns die meisten Dinge leichter“, sagt er. „Gut gelaunt sind wir erfolgreicher.“

    Gute Gefühle zu entwickeln, lässt sich trainieren. „Man kann sich zum Beispiel bewusst an ein positives Erlebnis erinnern oder fünf angenehme Situationen aufschreiben“, erläutert Ingo Vogel.

    Dann übt man regelmäßig vier Wochen lang dreimal am Tag an eines der positiven Erlebnisse zu denken. Auf diese Weise lässt sich aus der Erinnerung daran das positive Gefühl selbst „reaktivieren“. Und mit diesem guten Gefühl können dann in der Regel auch beruflich schwierigere Situationen besser gemeistert werden. Beim Umgang mit Emotionen gibt es mehrere Fähigkeiten, die allerdings bei jedem Einzelnen unterschiedlich ausgeprägt sein können. Das Wahrnehmen, Verstehen, Regulieren und das Einsetzen von Gefühlen gelten als emotionale Kompetenzen. „Manche Menschen können zwar das eine sehr gut, aber nicht das andere“, sagt die Schweizer Psychologin Tanja Wranik von der Universität Genf. „Deshalb ist es auch besser, von emotionalen Kompetenzen zu sprechen und nicht von emotionaler Intelligenz.“

    Für die Vorstellung, dass die einzelnen Kompetenzen miteinander verbunden sind, gebe es noch keinen Hinweis. Und anders als beim Intelligenzquotienten fehlen bisher auch Messinstrumente und eine verbindliche Skala.

    Quelle: Welt.de
     
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