Minimaler Komfort
Wer sich für einen Urlaub im Zelt entscheidet, der verzichtet auf minimalen Komfort, hat dafür aber den maximalen Kontakt zu seinen Mitmenschen und zur Natur. Das mag auf den ersten Blick romantisch klingen, wird aber bei näherer Betrachtung sehr schnell zu einem Problem. Wer quetscht sich schon freiwillig in ein kleines Zelt, schläft auf einer harten Luftmatratze, ernährt sich von dem, was die Dosen hergeben und duscht gerne in Gemeinschaftsduschen, die vielfach alles anderes als sauber sind? Es sind erstaunliche viele Menschen, die sich nach eigenen Angaben frei fühlen wollen oder die das einfach nur toll finden. Ein Regenguss reicht aus, damit sich alles klamm anfühlt und muffig riecht, Insekten finden in den Zelten reiche Beute und wenn im Nachbarzelt laut genug gestritten wird, dann fällt das unter die Rubrik Unterhaltungsprogramm. Dabei reden wir ja nur vom Sommer, an Winterurlaub mit Zelt ist da erst gar nicht zu denken, oder man ist schon mit Polarexpeditionen erfahren.
Der Sinn des Lebens
Ein echter Camper ist vernünftigen Argumenten gegenüber unzugänglich und wird immer wieder vom letzten Zelturlaub in einem verklärten Tonfall sprechen. Das Leben im Zelt wird zu einer Grenzerfahrung, zu einer Suche nach dem Sinn des Lebens und das Kühlen der Bierdosen oder Prosecco-Flaschen wird wie die Erfindung des Rads gefeiert. Da stört es nicht, dass alles bequemer ist als eine Nacht im Zelt und dass die ständigen Reparaturarbeiten am Equipment nicht nervtötend, sondern eine Herausforderung für alle Freizeit-Asketen sind. Sicher sind Ameisen störend, wenn sie das Zelt bevölkern, aber dafür ist man ja schließlich in der Natur. Komischerweise regen sich immer diejenigen am wenigsten darüber auf, die beim letzten Urlaub im Ferienclub an Bulgariens Goldstrand noch laut nach einem Preisnachlass geschrien haben, als eine tote Fliege in der Dusche lag.
Von Mensch zu Mensch
Wenn die Wahl auf den Urlaub im Zelt gefallen ist, dann sollte sich jeder darüber im Klaren sein, dass diese Ferien auch eine sehr zwischenmenschliche Seite haben. Vielleicht spielt die Jugendgruppe in den Zelten nebenan gerne Gitarre und sing dazu lautstark oder die Nachbarn auf der anderen Seite sind echte Feierfreunde, die bei Grillwürstchen und jeder Menge Bier die Nacht auch gerne mal zum Tage machen. Eine hochsommerliche Nacht in einem stickigen Zelt ohne Schlaf, aber mit jeder Menge Lärm wird viele, die das Abenteuer Zelt wagen, sehr schnell in die Flucht treiben. Immer wieder ein erhabenes Erlebnis ist ein Starkregen mit Sturm auf dem Campingplatz. Wer mit ein bisschen Glück noch ein (Zelt) Dach über dem Kopf hat, der wird mit ziemlicher Sicherheit frustriert seine durchnässten Sachen einpacken und das Weite suchen.
Kein Privatleben
Alle, die Urlaub im Zelt auf dem Campingplatz machen, geben ihr privates, intimes Leben an der Garderobe ab. Wer am Morgen in den gemeinschaftlichen Sanitäranlagen alleine sein möchte, der muss schon sehr früh aufstehen, denn wer zu spät kommt, der wird mit schreienden Kindern, nervenden Müttern und nörgelnden Rentnern bestraft. In diesen Momenten wünscht sich jeder, der diese Situation weder romantisch noch pragmatisch sieht, nichts mehr als eine Tür, die man hinter sich zuschließen kann. Hartgesottene Zelturlauber verklären die Gemeinschaftswaschräume und ihre grenzenlose Befreiung von Privatsphäre wunderbar, denn hier wird bewiesen, wie harmonisch das Volk der Camper doch ist.
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein
Als Goethe seinen „Faust“ schrieb, dachte er sehr wahrscheinlich nicht an die Ferien auf einem Campingplatz. Sein berühmtes Zitat „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“, passt aber nicht nur zum „Osterspaziergang“, sondern auch auf den Campingplatz. Selbst in den eigenen vier Wänden sitzt kaum jemand in Unterwäsche am Abendbrottisch, auf dem Campingplatz ist das vollkommen normal und ein sichtbares Zeichen dafür, wie schön entspannt der Urlaub im Zelt doch ist. Ob man in Unterhosen aus Feinripp und einem dazu passenden Unterhemd eine gute Figur macht, spielt keine Rolle, denn schließlich ist man im Urlaub und darf man sich endlich mal als Mensch fühlen.
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