Mit Botox gegen Depressionen

Artikel von Tommy Weber am 29. Juli 2021 um 10:17 Uhr im Forum Gesundheit & Körperpflege - Kategorie: Wissenschaft

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Mit Botox gegen Depressionen

29. Juli 2021     Kategorie: Wissenschaft
Botox hat sich als Faltenkiller einen Namen gemacht, jetzt taucht der Name aber als Heilmittel wieder auf, und zwar gegen Depressionen. Kann das Mittel, was die unliebsamen Falten verschwinden lässt, ein wirksames Antidepressivum sein? Welche Wirkung erzielt das gefährliche Nervengift Botulinumtoxin auf die Psyche und wie reagieren die Patienten, die mit Botox behandelt werden? Botox als Mittel gegen Depressionen ist nicht unumstritten, denn es gibt viele Stimmen, die sich gegen den Faltenkiller als Heilmittel aussprechen.

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Botox hat vor allem eines: Eine lähmende Wirkung, und genau das machen sich Ärzte zunutze, um Depressionen zu lindern.

Für eine glatte Haut
Die lähmende Wirkung des Nervengifts sorgt dafür, dass bei vielen, die die 50 bereits locker überschritten haben, die Gesichtshaut noch so glatt ist wie in sehr jungen Jahren. Die Mimik leidet zwar etwas darunter, denn es fällt schwer, mit Botox im Gesicht zu lächeln, wichtig ist jedoch nur das jugendliche Aussehen. Botox oder Botulinumtoxin, wie das Nervengift mit richtigem Namen heißt, wurde vor rund 25 Jahren als Faltenkiller entdeckt und ist seitdem ein Standardmittel für ein faltenfreies Aussehen. Ob dieser Effekt aber sinnvoll ist, darüber lässt sich streiten.

Botox wird aus einem Bakterium mit Namen Clostridium botulinum gewonnen und blockiert die Botenstoffe zwischen den Muskeln und den Nerven. Je nach Höhe der Dosierung bleiben die Muskeln dabei bis zu vier Monate gelähmt. Botox verdankt seine Entdeckung einem Zufall. Anfang der 1990er Jahre behandelte ein Arzt in Kanada eine Patientin, die einen Lidkrampf hatte, mit Botox. Erstaunt stellte der Arzt fest, dass sich die Falten rund um das Auge der Patientin entspannten und kaum noch sichtbar waren. Es wurden weitere Untersuchungen mit Botox vorgenommen und so fiel praktisch der Startschuss für die ästhetische Medizin.

Ein Mittel gegen schwere Krankheiten
In der Welt der Medizin ist Botox schon sehr lange ein bekannter Begriff, denn das Nervengift wird mit Erfolg gegen einige schwere Krankheiten eingesetzt. Dass es auch gegen Depressionen hilft, war nicht abzusehen. Jetzt wird die gesellschaftliche Debatte rund um den Nutzen des Mittels wieder neu entfacht. Vielleicht kritisieren viele Ärzte zu Recht, dass zu fahrlässig mit Botox umgegangen wird. Als Faltenmittel radiert es die individuellen und natürlichen Gesichtszüge aus und legt die komplette Mimik still. Auf der anderen Seite ist Botox das Heilmittel, was beispielsweise Patienten mit Schlaganfall hilft, deren Hände bedingt durch einen Krampf, ständig zu Fäusten geballt sind. Dank Botox können diese Menschen ihre Hände wieder öffnen und damit normal greifen. Das Faltenmittel hilft ferner denjenigen, die eine überaktive Blase oder eine Harninkontinenz haben. Es wird in die Muskulatur der Blase gespritzt und die Patienten müssen nicht mehr ständig zur Toilette gehen.

Ein bewährtes Mittel ist Botox, um Spannungen im Bereich des Kiefers, des Halses, des Nackens und der Füße zu reduzieren. Inzwischen sind es 15 Erkrankungen, für die Botox als medizinisches Mittel zur Behandlung zugelassen ist.

Eine Hoffnung bei Depressionen
Dass das Nervengift jetzt auch für die Behandlung von Depressionen eingesetzt wird, bedeutet für die Medizin nicht nur einen kleinen weiteren Schritt, es ist vielmehr eine Art Quantensprung. Immer mehr Menschen sind nach Auskunft der Krankenkassen von Depressionen betroffen. Seit der Jahrtausendwende hat die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von Depressionen um mehr als 70 Prozent zugenommen. Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO war die psychische Erkrankung im Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste Volkserkrankung.

Selbst Ärzte können sich nicht richtig vorstellen, wie ein Muskel, der durch ein Nervengift gelähmt wird, einen depressiven Menschen wieder glücklich machen soll? Wie soll Botox wieder für mehr Tatendrang und mehr Ausgeglichenheit sorgen? Vielfach wird angenommen, dass jemand, der besser aussieht, sich zugleich automatisch besser fühlt, aber darum geht es beim Thema Botox gegen Depressionen nicht.

Wie wirkt Botox bei einer Depression?
Es ist die sogenannte Facial-Feedback-Theorie, auf der die Wirkung von Botox bei Depressionen beruht. Dieses Zusammenspiel von Mimik und Gefühl ist nicht neu, es wurde bereits vor mehr als 100 Jahren von Charles Darwin und William James entdeckt. Menschen die wütend sind, ziehen automatisch ihre Augenbrauen zusammen, Menschen, die fröhlich sind, lächeln hingegen. Dass jedoch ein absichtliches Lächeln die Laune heben kann und dass negative Gefühle gemildert werden, wenn die entsprechende Mimik dazu gehemmt wird, war lange Zeit nicht vorstellbar.

Dieser Rückkopplungseffekt wurde in einer Studie der Medizinischen Hochschule als Basis verwendet. Das Ergebnis ist erstaunlich, denn im Bereich des mittleren bis unteren Stirnbereichs, dort wo die Zornesfalten entstehen, werden negative Gefühle ausgedrückt. Wird dort die Rückkoppelung unterbrochen, die durch verspannte Muskeln entsteht, ist eine Muskelanspannung nach einer Injektion mit Botox nicht mehr möglich. Automatisch werden dann auch die negativen Gefühle weniger.

So etwas bedeutet aber nicht, dass der Schmerz und die Trauer ebenfalls weniger werden, da es sich hier um normale Reaktionen handelt, die beispielsweise auf einen Verlust folgen. Depressionen haben jedoch nicht immer etwas mit wirklichen Anlässen zu tun. Ein pathologisches Übermaß an negativen Emotionen kann in vielen Fällen mit Botox gelindert werden.

Sorgt Botox für eine Verbesserung?
Für die Behandlung gegen Depressionen wird eine größere Menge Botox verwendet, als es bei Faltenunterspritzungen der Fall ist. In der ästhetischen Medizin wird ein natürliches Aussehen bevorzugt, was eine bestimmte Restmimik zulässt. Kommt Botox bei Depressionen zum Einsatz, dann wird der Muskel zwischen den Augenbrauen vollständig lahmgelegt. Die muskelentspannende Wirkung setzt nach drei Tagen ein, nach einer Woche ist sie vollständig entfaltet. Wenn der Patient auf die Therapie anspricht, wird er nach zwei Wochen eine deutliche Besserung verspüren.

Viele Menschen, die unter Depressionen leiden, müssen aktuell sehr lange auf einen Termin bei einem Therapeuten warten. Sie nehmen Antidepressiva, die vielfach gravierende Nebenwirkungen haben. Versuchen es mit alternativen Entspannungsmethoden wie Meditation oder Yoga, die aber nur unterstützend helfen. Dass sich viele Menschen, die unter Depressionen leiden, für die neue Therapie mit Botox interessieren, ist daher nicht weiter verwunderlich. Diese Therapie ist nicht nur wirksam, sie hat zudem kaum Nebenwirkungen. Vereinzelt kann es zu Kopfschmerzen kommen oder dort, wo gespritzt wurde, ist ein kleiner blauer Fleck zu sehen.

Offen bleibt jedoch eine wichtige Frage: Wie oft kann das Nervengift eigentlich gespritzt werden? Die Wirkung lässt ja wieder nach. Kommt es zu einer mehrfachen Anwendung, dann kann es passieren, dass das Immunsystem aufmerksam wird und damit beginnt, Antikörper zu bilden. Diese würden die Wirkung abschwächen oder im schlimmsten Fall komplett unterbinden.

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